Den Sensationsgehalt seines dänischen Mystery-Horrorfilmes handelt Jonas Alexander Arnby mit wenig Kunstblut und ganz nebenbei ab, den Horror, der passiert, wenn Marie in dem kleinen, dänischen Fischerdorf an ihren dumpfen Mobbern als Werwolf Gerechtigkeit übt.
Es geht Arnby nicht um Trash, nicht darum, sich in den Effekten einer Gruselstory mit möglichst viel Kunstblut zu suhlen. Ihm geht es darum, einen fast poetisch zu nennenden Blick in eine kleines, überschaubares, menschliches Biotop zu werfen, abseits der Komplikationen und Vertusch- und Betäubungsmechanismen einer hochzivilisierten Gesellschaft. Er konzentriert sich auf die Familie von Marie, deren Vater, Lars Mikkelsen, und deren pflegebdürftige Mutter im Rollstuhl, Sonia Richter.
Handlung und Dialog sind wenig. Der spärliche Dialog ist pfleglich und dem Film zugeneigt sorgfältig. Wie in dem Film überhaupt alles stimmig scheint, die Musik, die Atmosphäre erzeugt statt sie zu interpretieren oder vorzukauen, die Kamera, die oft den Eindruck von verschwommenem Bewusstsein erweckt, die Schauspieler, deren pflegliche Auswahl und Inszenierung.
Die Handlung fängt mit einer Untersuchung von Marie an, die an einer Stelle unterhalb der Brust einen merkwürdigen Hautausschlag hat. Sonst ist nichts Ungewöhnliches an der faszinierenden Sonia Suhl mit den blonden Haaren und dem gewissen Silberschein auf den Augen, dem klaren, aber verschlossenen Gesicht, einem Strauß an Geschenken für die Leinwand.
Sie soll in der Fischfabrik arbeiten. Dort laufen in Windeseile die Blicke zwischen den vorwiegend männlich Mitarbeitern und der attraktiven Lehrtochter. Die Blicke sind nicht alle gutmeinend. Aus Blicken wird Mobbing, aus Mobbing wird Stalking und aus Stalking werden Tätlichkeiten. Sie aber wehrt sich nicht. Aber sie kann sich das auch nicht bieten lassen.
Manche Menschen können andere Menschen (manche Männer können Frauen) offenbar schwer tolerieren, wenn sie sie sich nicht gefügig machen können. Es geht um Macht und Beherrschung und dagegen um Gerechtigkeit. Der Werwolf ist das Mittel, mit dem Marie sich wehren kann.
Einzig Daniel, der anständig ist und sie liebt, der wird bei ihr sein, wenn sie bei der finalen nächtlichen Fahrt aufs Meer keinen ihrer Kollegen verschont. Die Liebe siegt.
Malerisch allein das Bild des motorisierten Fischerbootes mit seinem Lichtlein, das nächtens ins Meer hinausstößt, ein Gemälde wie von einem großen Landschaftsmaler. Und so gibt es noch einige eingestreute, meisterhafte Landschaftsbilder zwischen den menschlichen Abgrundgeschichten. Diese Bilder wirken jeweils wie Balsam.
Es spielt noch ein Arzt mit, auch keine rühmliche Rolle mit einem unrühmlichen Ende. Denn er ist nicht in der Lage, das wahre Problem von Marie zu analysieren. Die Schulmedizin halt. So wie der Arzt am Anfang Marie untersucht, so untersucht Arnby die menschlichen Abgründe, er jedoch nicht mit den stumpfen Mitteln der Schulmedizin, sondern mit denen eines ungewöhnlich stilbewussten, kreativen, in sich stimmigen, fast schmeichelhaften Kinos. Das Bild mit Marie und den Bunkertrümmern am Meer.
Mutter stirbt auch eines wohl nicht ganz natürlichen Todes in der Badewanne. Nordlichtbeerdigung und Leichenmahl im Gemeindehaus sind starke Atmosphärenbilder. Kindlich naiv erscheint der Webteppich mit dem Hasen über Maries Bett. Das Glas, das sie zerbeißt, die rot unterlaufenen Fingernägel, die sie an sich sieht.
Film als gemäldehafte, grandiose Bebilderung eines Blicks in einen verschlierten, menschlichen Abrund, dessen Diffusität von einem unbeirrbaren, nicht zum Verstummen zu bringenden Gerechtigkeitssinn, der sich mit Naturgewalt seinen Weg bahnt, gegegengewichtet wird. Hinter der Schönheit von Marie versteckt sich ein Werwolf. Es geht um Leben und Leben lassen. Und wer das nicht kann, der kommt darin um. Die Dumpfheit der unbelebten Figuren gegen das Leben. Das Leben wehrt sich gegen die Totheit von Routine und Geistlosigkeit. Rat des Vaters: Schön bist Du, Marie, lass Dir nichts gefallen.
Ein Film, der durch seine Bildstärke, seine Musik und seinen verhaltenen Dialogeinsatz vielfältig fühl- und interpretierbar ist.