Ein 3-Sterne amerikanisch-indisch kulinarisches Gefühlskino mit Ansage auf europäischer Anrichte präsentiert, das den Zuschauer wie auf Luftkissen trägt und ihm mit sanfter Sicherheit die Akupunkturnadelstiche punktgenau in die Tränendrüsen stößt. Kein Wunder, wenn als Produzenten Steven Spielberg, Oprah Winfrey und Juliet Blake figurieren.
Zur europäischen Komponente gehört nicht nur der Regisseur, Lasse Hallström, auch Helen Mirren als Titelfigur Madame Mallory, als verhärmte, auf spitzes Gesicht getrimmte Chefin des Feinschmeckerlokales „Le Saule Pleureur“ in einem kleinen Ort im Süden Frankreichs. Schnell und unkompliziert wird die Handlung des Filmes dorthin geführt.
Der Beginn des Films ist in Indien. Wir erleben und erfahren den Hintergrund der Migrantenfamilie Kadam, die durch politische Unruhen alles verliert und nach England umzieht. Der Vater mit seinen Kindern, dem ältesten Sohn Hassan. Die Mutter ist gestorben.
In England betreiben sie einen kleinen Imbiss, direkt unter der Anflugschneise des Flughafens. Wenn bei Regen ein Flugzeug in wenig Metern Höhe über ihren Stand fliegt, schüttet es das ganze Wasser aus, das sich auf dem Zeltdach gesammelt hat. Es ist kalt und regnerisch. Ungemütlich. Hier ist nicht gut sein.
Vater Kadam, Om Puri, eine ungewöhnlich glaubwürdige Leinwandpersönlichkeit, entscheidet, mitsamt der Familie in einem Kleinbus nach Südfrankreich umzuziehen. Ohne jede Härte, aber trotzdem genau, werden ein paar Zollszenen gezeigt, die deutlich machen, wie schwierig das Unternehmen ist. Sie wollen in Frankreich einen indischen Imbiss eröffnen.
Sie fahren mit Sack und Pack, Kind und Kegel nach Süden. Es folgt die entscheidende Szene, die der Papa als schicksalshaft interpretiert, dass sie nämlich dort bleiben sollen („Mama would say, breaks break for a reason“). Die Bremsen im Auto sind kaputt, in rasender Fahrt geht es die kurvige Straße abwärts. Eine Fahrt, die atemberaubend gut endet, inklusive Bekanntschaft mit einer hübschen Französin.
Das Schicksal hat gesprochen. Hier lässt Familie Kadam sich nieder. Nun will es die Dramaturgie des Romans von Richard C. Morais genauso wie die Drehbuchbearbeitung von Steven Knight, dass Familie Kadam ein leer stehendes Restaurant findet, das 30 Meter gegenüber einem Sternelokal liegt, das von Madame Mallory betrieben wird. Die Spiele des kulturellen Unterschiedes können auf engstem Raum beginnen, auch die der kulinarischen Konkurrenz; die nicht immer fair ausgetragen werden, das geht von der Betriebsspionnage bis zur Brandstiftung; wird aber mit einer guten Dosis sensiblem Weichzeichner zum Dahinschmelzen schön erzählt.
Angereichert wird dieser Erzähltraum mit zwei Liebesgeschichten. Hinzu kommt der Traum von den Michelin-Sternen. In so einem Film, sind solchen Träumen keine Grenzen gesetzt. So sind die Wege geebnet für einen Aufstieg in ungeahnte, emotionale und kulinarische Höhen. Denn Hassan ist ein Ausnahmekochtalent, er hat von Muttern gelernt. Sein Vater ist ein pragmatischer, wacher Zeitgenosse, der jeglicher Gewalt und der meisten Sturheit, außer derjenigen, die eigenen Ziele durchzusetzen, abhold ist.
Om Puri spielt die unbeirrbare Vaterfigur, die Halt und Vertrauen in die Geschichte und in den Film gibt. Zu sehen war er in West is West.
In Great Britain the vergetable has no soul, no life.
Man kann also nicht sagen, der Film spart das Böse aus, allein, es wirkt nie beängstigend, nie bedrohlich.
Der Film zeigt, wie Sujets, Requisiten zu Weiterträgern einer Geschichte werden können. Die bandagierten Hände von Hassan, der den Brand mit blossen Händen bekämpft, wie er Madam Mallory vorkochen will, muss er sie bitten, selbst die Eier zu zerschlagen und wie es später knifllig wird mit den französischen Köchin, der Schönheit, ihren Kopf sanft zu halten, um einen Kuss zu bewerkstelligen. Oder das aus dem Brand in Indien gerettete Kästchen mit dem entscheidenden Vermächtnis der Mutter. Wie solche Requisiten das Spiel der Beziehungen unter den Menschen beeinflussen und befördern (vergleiche dazu den uninspirierten und kopfigen Umgang in Dominik Grafs Die geliebten Schwestern)
Und ist doch nicht nur eine Geschichte über das Kochen, sondern auch eine über kulturelle Vorurteile, auch über Geschmacksvorurteile. Wobei zu fragen wäre, wenn die so leicht zu bewältigen, zu versöhnen sind, warum haben wir dann Irak, Ukraine, Palästina, Syrien, Somalia, Sudan und und und?
Ist es nur eine schöne Scheinwelt, die uns die Kino-Exklusiv-Confiseure Spielberg und Co. hier einfühlsam und sanft einhauchen wollen? Ein Traummodell zum Thema menschliche Konfliktlösung? Ein schöner Hoffnungsspuk? Gar eine Utopie zum Ablenken von den schier unlösbaren, unversöhnlichen Konflikten? Säuselnde Kompensation statt Bewältigungshilfe? Gewinnbringender Verkauf von unrealistischer Hoffnung?
Der Terror, mit dem uns die Medien täglich aus der angeblich realen Welt konfrontieren, der kommt hier nur als witzige Bemerkung vor: wie Hassan in Paris Erfolg hat mit Kochen und es auf die Titelseiten kulinarischer Zeitschriften schafft, meint sein Vater zum Foto: er schaue aus wie ein Terrorist. Ganz kann das Thema also auch so ein Gefühlskino nicht ausblenden; vielleicht macht es das ja bewusst und geschickt, es hinter dem Hochglanzprodukt zu kaschieren.
Lyrischer Kommentar von Helen Mirren zu einem Spaziergang mit Papa Kadam: wir haben Pilze gesucht und Blumen gefunden.