Wenn der Nachwuchs des deutschen Kinos das Träumen anfängt, wenn er von Cannes träumt, dann gibt es bestimmt ein total verregnetes Festival wie letztes Jahr, wie 2013.
Eine deutsche Filmstudentin, Isabell Suba, ist mit einem Kurzfilm zum Wettbewerb „Next Generation Short Tiger“ (geht es in Cannes nicht um Palmen?) eingeladen. Sie lässt eine Kollegin unter ihrem Namen hinfahren. Selbst akkreditiert sie sich als Journalistin für die Märkische Zeitung und nutzt den 5-Tagesaufenthalt, um einen Fake-Doku zu drehen über sich als Eingeladene und Hoffnungsvolle, um ein im Pfründenland, wie mir scheint, tabuisiertes Thema zumindest anzukratzen: wovon träumt das deutsche Kino, wovon träumt der Nachwuchs des deutschen Kinos? Welches sind die Koordinaten des Nachwuchses im deutschen Kino? Das Drehbuch zu diesem Film hat sie mit Lisa Glock geschrieben.
Cannes, sicher, ist ein Kinoeichmaß. Fatih Akin, der war in Cannes schon in der Jury und hat einmal die Goldene Palme gewonnen (das war 2007). Es gibt in diesem Film eine weitere, filmhistorische Referenz: im Hotelzimmer der Studenten hängt ein Plakat von Fellinis „Dolce Vita“. Aber das wars dann schon mit den filmgeschichtlichen Eckpfeilern.
Subas Unternehmen fehlt nicht die Selbstironie, das ist vielleicht sogar die größte Stärke: die beiden Filmemacher, Regisseurin Isabell Suba, als eigenwillig nicht geschmiert Spurende gespielt von Anne Haug, und Nachwuchsproduzent David Wendlandt, dargestellt von Matthias Weidenhöfer, sind ein chaotisches Paar, recht desorientiert im Alltag, im Festival, in der Filmgeschichte ebenso wie in den Träumen. Sie schlafen im selben Bett, in dem sich nichts tut. Sie trägt gerne T-Shirts, die sie als Lesbierin ausweisen. Die beiden sind pünktlich zu Verabredungen – leider an unterschiedlichen Tagen, sie verpassen Termine, weil sie verschlafen. Sie schaffen immerhin ein Interview mit Elvira Rafizadeh von der Internetplatform out-takes. Sie bringen – endlich mal – im deutschen Film eine Originalfigur aus dem herrschenden Funktionärstum, den Hintermännern und Hinterfrauen des deutschen Kino-Pfründenlandes vor die Kamera: Barbara Häbe von der Redaktion Spielfilm von arte, die mit schnellen, entschiedenen und klaren Reaktionen aufwartet und nach wenigen Sätzen checkt, dass das Projekt, was die beiden Youngsters „pitchen“ wollen, ein abstruses Konstrukt aus unverträglichen, noch dazu diffus definierten Genres ist.
Der Titel des Filmes ist darauf zurückzuführen, das Isabelle Suba in Cannes erschrocken festgestellt hat, dass der Wettbewerb einmal mehr in rein männlicher Hand ist, dass nicht eine Regisseurin darin vertreten ist; tja, die Männer zeigen Filme in den Festivaltheatern und die Frauen ihre Brüste am Pool. Da gibt’s eine köstliche und wie die meisten offenbar recht improvisierte Szene mit einer Blondine, die als amerikanische Touristin Molly in den Credits aufgeführt wird und mit der sich die beiden Filmemacher über Waffen und das Schießen unterhalten. Oder die Frauen zeigen ihre Brüste auf der Croisette.
Unsere beiden hoffnungsvollen Nachwuchsfilmer kommen nicht bei jedem Empfang rein, immerhin zum arte-Empfang auf einer großen Yacht schaffen sie es und natürlich zum Studentenempfang. Sie stellen ihre Konfusion angesichts des Festivalbetriebes und der Festivalwichtigtuereien und -aufschneidereien recht plausibel, beinah mitleiderregend realistisch dar.
Oft hängen sie in Stühlen auf dem Balkon ihres Hotelzimmers mit Meeresblick. Das Zimmer teilen sie mit anderen Gestrandeten, die sie samariterhaft bei sich wohnen lassen, überbelegte Bude, sie strecken die Beine über die Brüstung man sieht das Meer, bis eine weitere Szene in dieser Location deutlich macht, dass zwischen Meer und Hotel vor einem Häusermeer eine Bahnlinie verläuft und darauf laut ratternde Güterwaggons vorbeigezogen werden. Brutal zerschneidet die Realität das Traumbild.
Die Visionen für eine Filmwelt, für ein künftiges deutsches Kino in diesem Film fallen dürftig aus, Es wird einmal gejammert über den Gendermalus der Frauen, aber das wird auch nicht vertieft. Es gibt Diskussionen über Genres, RomCom oder Buddy-Movies, Western-Komödie, ein Schwestern-Thema wollen sie in ihrem nächsten Projekt behandeln.
Cannes ist der Himmel der Kinowelt noch vor Hollywood. Irgendwie amüsieren sich diese jungen Leute durchaus auch über ihre Unbedarftheit, finden es andersrum wiederum geil, in Cannes einen Film zu drehen. Und die beiden, David und Isabell werden wie ein altes, ewig streitsüchtiges Ehepaar durch Dick und Dünn durch diesen Film und das Cannes-Chaos gehen.
Der möglicherweise wahrste Satz fällt in einem Gespräch zu dritt auf dem Nachhauseweg durch leere Gassen (das Hotel muss ganz schön abseits liegen; auch das eine späte Desillusionierung). Es geht um die vielen Leute, die an so einem Festival rumhängen und dass es vermutlich nur ganz wenige seien, die wirklich wichtig sind, die meisten jedoch seien nur leere Hülsen und ahnungslos. Da dürfte ein wahrer Kern drin sein. Die Regisseurin möchte Gefühle spüren.
Ein schönes Schlussbild, ein offenes Bild für die Zukunft des deutschen Kinos, wie die drei Protagonisten, zu David und Isabell hat sich inzwischen häufiger die neue Mitbewohnerin Eva Bay als Viola Vaughn dazugesellt, nachdenklich auf großen Felsbrocken am Meer sitzen. Dazu lässt die Regisseurin schöne tiefe Hörner, tiefsinning in der Tiefe forschend oder aus der Tiefe schwer verständlich berichtend, auf der Tonspur erklingen. Vielleicht ist jetzt der Weg frei, Wesentliches zu entdecken – oder gar Wesentliches zu tun?