Russisches Seelendrama von Svetlana Proskurina aus der heutigen Range-Rover-Klasse über eine gepflegte, damenhafte Frau, die viel Zeit für Gefühl, für Glück und Unglück zu haben scheint. Ihr Mann heißt Alexej und arbeitet in einem nicht näher erläuterten Geschäft. Die Einnahmen reichen für ein nobles Leben, für eine feine, geräumige Stadtwohnung mit automatischem Staubsauger und einer Datsche auf dem Land am Meer mit der Bediensteten Vera. Sein Auto ist ein bulliger Range-Rover. Er selbst ist mehr der versonnene Typ, der im Umgang mit Gefühlen nicht souverän ist; er scheint seine Frau Anna und seinen Sohn Senyozha zu lieben.
Der Film fängt mit der Geburt von Senyozha an, mit den damit verbundenen Schwierigkeiten. Erst mal ist die Spitaltür verschlossen, dann ist keiner da im Spital, ein Hinweis vielleicht auf das russische Gesundheitswesen (davon wird es weitere geben: später wird ein Geräteabstellraum als Warteraum genutzt und ein Blick in den Hinterhof des Spitals ist auch nicht erbaulich).
Nach den Titeln erfolgt ein Schnitt auf einige Jahre später. Der Bub dürfte jetzt im Schulalter sein. Anna hat viel Zeit, da sie offensichtlich nicht arbeitet. Ganz glücklich scheint sie nicht zu sein. Sie hat ein Pferd und beim Reiten begegnet sie dem Stallbesitzer, ebenfalls einem Alexej; die Gefühlsirritation ist groß und dramatisch, der Irrationalismus der Sehnsüchte nach einem richtigen Leben masslos. Das bleibt dem Ehemann nicht verborgen. Er schleicht seiner Frau nach, er beobachtet die kleinen Gesten und Bewegungen zwischen seiner Frau und dem Rivalen Alexej. Die sind eindeutig, voller Hunger nach flüchtiger Berührung, nach Liebe.
Es kommt zum Gespräch zwischen den Eheleuten. Der Bub soll nichts mitkriegen. Anna gesteht ihrem Mann, dass sie leben möchte. Womit sie ihm zu verstehen gibt, dass das mit ihm wohl kein Leben sei. Alexej schluckt das mit großen Augen in sich hinein, wie er denn vor allem durch seine großen, stumme Blicke hervorsticht.
Die Liaison zwischen Anna und dem Pferdemenschen entwickelt sich magnetisch, nicht zu bremsen, bis ein Mädchen unterwegs ist und sie eine schwere Geburt hat, in die Intensivstation kommt und Bluttransfusionen braucht. Kurzfristig schaltet sich bei ihr der Verstand ein, sie möchte bei der Familie bleiben, vom Pferde-Alexej nichts mehr wissen.
Aber die Gefühle, die Gefühle, die können unangemeldet in die Quere kommen. Urplötzlich verschwindet sie samt dem Mädchen. Den Buben lässt sie bei Vera im Landhaus zurück. Mithilfe der Nachbarin Lida belügt Ehemann Alexej seinen Sohn, lügt ihm vor, dass Mutter gestorben, unter den Zug gekommen sei. Dem widerspricht der Bub heftig. Pech für die Lügner, dass die Mutter plötzlich Sehnsucht nach dem Buben bekommt, ihn sehen möchte.
Zum Glück hat in Russland die Kirche noch einen gewichtigen Stellenwert – der Bub ist inzwischen an einer christlichen Schule – so kann die Enochgeschichte die Brücke zu einem glaubwürdigen Wunder schlagen und die Mutter wieder auferstehen lassen. Aber nie wird der Bub bei Mutter und Vater zugleich leben können. Vater scheint sich bereits an Lida zu orientieren.
Der Film selbst wirkt auf mich als ob er selbst ein Ausstattungsteil des mondänen Milieus sei, in welchem dieser unlösbare Liebeskonflikt angesiedelt ist.
Alexej wird als ein guter Mensch apostrophiert; er kommt rüber als ein passiver Melancholiker in privaten Dingen mit wenig Handlungsfähigkeit, der niemandem was Böses will; der zuschauen muss, wie ihm sein Glück wegläuft, wobei er dieses offenbar nicht allzu reflektiert als gegeben genommen hat und nicht als eines, das man sich immer wieder erkämpfen muss.
Die musikalische Untermalung des Filmes ist sensibel, gepflegt, gekonnt.
Harte Wahrheitsäusserung von Anna zu ihrem Mann: ich schaue dich an, aber ich denke an Alexej.
Anna zu Alexej: es ist passiert, das ist alles, meinst Du ich wollte das?
Die schicksalshafte Dimension der Liebe.
Selbstzitat von Anna: I am not human. Sie leidet und quält sich.
Auch der Pferde-Alexej behauptet: er liebe sie und könne nicht ohne sie leben.
Wie sie krank ist, kümmert Alexej-Ehemann sich liebevoll um sie. Doch die Differenz zwischen Lieben und Kümmern kann er damit nicht aus der Welt schaffen. Illustration dazu ist eine schöne Duschszene der beiden.
Moral: ein guter Mensch zu sein reicht nicht unbedingt aus für die Liebe.
Schuldgefühle von Ehemann Alexej, dem widerspricht Lida. Er wusste auch nie, was sie wollte. Ist ihre Undurchsichtigkeit schuld an dem Desaster?