Der Zerstreute (TV, arte, Mittwoch, 13. August 2014, 20.15 Uhr)

Der Zerstreute, den Pierre Richard sich 1970 auf den Leib geschrieben und mit sich als Protagonisten selbst inszeniert hat, erinnert von der Haltung zur Unterhaltung her an Thomas Gottschalk und von der traumhaften Sicherheit der Performance her an den jungen Beckenbauer von damals.

Der Film soll Richard selbst und den Zuschauern Spaß machen, Weltergründungskrampf und Weltschmerz sind absolut tabu. Mit kindlicher Freude und durchaus orientiert an den Vätern der Klamotte werden liebevoll Gag an Gag und Slapstick an Slapstick aneinandergehängt, altbekannte Tricks, die Verwechslung des Hutes, der Blindenstab, der am Nicht-Blinden hängen bleibt, so geht dieser automatisch eine Weile durch das verkehrsreiche Paris von 1970, welches die schwere Geburt der 68er Revolution bestens überlebt zu haben scheint und sich in einer Aufblühphase ein Vierteljahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges befindet. Durch den Erfolg des Geschäftes und des Geschäftens wird dieses und das Machen von Geld wichtiger, damit auch die Werbung für unnötige Artikel aller Art („Clistax, der Beutel mit den tausend Beuteln für Tüten“) und somit Thema für eine Filmkomödie.

In diesem aufhippenden Milieu siedelt Pierre Richard seine Figur Pierre Malaquet an. Er spielt ihn nicht als einen realistisch zerstreuten Professor, sondern als einen Entertainer, der seine Gags gezielt setzt und damit zu verstehen gibt, dass er sich amüsiert über den aufkommenden Bierernst in diesen aufsprießenden GeldmelkBranchen, über den verordneten „Gleichschritt zum Erfolg“; da schafft er noch jedes Mal den Tritt daneben, gründlich daneben, bis der Erfolg eo ipso megagroß wird; so gehört es sich für eine Trottel-Komödie, wobei der Trottel eben keine Trottel, sondern im Tiefinneren ein unbeirrbares Genie ist.

Im Zusammenhang mit dieser gewissen Unverbissenheit und diesem Laissez-Faire wirken die Original 70erJahre Outfits noch überzeugender als sonst, interpretieren sozusagen sich selbst.

Hier muss das Hundefutter Casimir genau so beworben werden wie der Vin du Corsaire oder fluoreszierende Damenslips, aufplaunzender Wohlstand. Pierre nennt seine eigene Werbeagentur Jericho. Die Trompeten, die Mauern zum Einstürzen bringen. Scharf genug sind seine auf Super-8-gedrehten Muster: Zigarettenwerbung mit Erschießungsszenen oder ein Werbefilm für Rottweiler, in welchem Jagd auf die Gattin gemacht wird.

Seine Karriere macht Pierre als Zerstreuter selbstverständlich gerade nicht über die Leiter, von der er gerne redet, und die er auch mal rumträgt, sondern durch die Hintertüren, über die eigene Mama und die Gattinnen oder Töchter der Chefs, obwohl er sich auch da prinzipiell nur daneben benimmt; aber so herzlich und charmant, dass er die Gunst der Damen gewinnt.

Ein schönes Beispiel für das Verhältnis zum aufkommenden Wohlstand und Schick ist das Miniauto von Pierre, verbeult bis dorthinaus und einsteigen muss er durchs Dach. Wobei dem Zerstreuten das Missgeschick passieren kann, dass er so zerstreut ist, und vergisst, dass er übers Dach aussteigen müsste und dann funktioniert die Türe ganz normal.

Dass so eine Leichtigkeit möglich war, muss an der Zeit gelegen haben, in einer Zeit wie der heutigen, in der die verbissene Ökonomisierung alle Lebensbereiche vor sich her treibt, ist das kaum mehr vorstellbar. Die 70er scheinen da wie eine hohe Zeit der Légèrté, der Ausgewogenheit zwischen Ernst und Spaß gewesen zu sein. Man konnte es sich leisten, den Pierre durch seinen Chef in einen Keller zu verdonnern, wo dieser sämtliche Kanarienvögel, Wellensittiche und Papageien seiner Frau weggesperrt hatte und Pierre, statt sich aufzuregen, fängt an mit einem Stab das Vogelkonzert zu dirigieren. Leichtigkeit mit diesem leicht schlacksigen Charme.

Die deutsche Synchro scheint von dieser schwebenden Atmosphäre angesteckt, als ob die Ökonomie gerade so vorm Abheben sei, ein Glanzlicht im Vergleich zu den heutigen Nachsprechereein, denen meistens der Kostendruck der Studios dick anzuhören ist.

Wie Pierre Werbefotos mit wenigen Filzstiftstrichen einmalig und auffällig macht, wie er sich in der Wohnung irrt und den Hausherrn, der sein Gesicht voller Rasierschaum hat, bittet, er möchte sich doch wie zuhause fühlen, wie der den Flic auf der Kreuzung in tief nachdenklicher Pose zurücklässt, und der altbekannte Slapstickgag mit der Tischplatte, die er unterm Arm trägt, und wie die Passanten sich drum herum oder ihn drehen, hundertfach schon erfolgreich gezeigt, aber wunderbar eingesetzt, und Wortverdrehungen und Identitäsverdrehungen und Kleiderverwechslungen, statt den Mantel des Gastes an den Haken hängt er ihn sich selbst um. Altes charmant und als Ausdruck einer einmaligen Zeit vorgeführt – heute für den vergnüglichen Sommerabend.

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