Jersey Boys

Was macht den Reiz von Clint-Eastwoods Alters-Filmen aus?

Clint Eastwood würde seinen Zuschauer nie persönlich anfassen und wenn, dann nur mit Glacéhandschuhen. Vielleicht ist das eine der definierenden Eigenschaften seines Alterswerks: durchdrungen vom „guten“ Geist Hollywoods, Kino begriffen als ein erstklassiger Dienstleister und bedingungslos am Kunden orientiert. Dieser soll sich, egal welches Thema behandelt wird, wohlfühlen im Kino wie in einem 5-Sterne Hotel. Er soll sich noch beim grausamsten Thema umsorgt und umhegt fühlen, er muss das Gefühl haben, ihm kann nichts passieren dabei. Der Filmemacher tritt hinter seinem Werk zurück, ist aber mit vollem Einsatz und großem Können für es da. Wobei er in seiner Kinoschrift durchaus eine Art Orthodoxie vertritt, eine Kinorechtschreibung wie sie sich in so einem feinem Milieu herauskristallisiert und bewährt hat, eher einem Benimm-Code, der auch Unkonventionellem nicht abgeneigt ist, zu vergleichen. Der Filmemacher ist diskret vorhanden, aber er selbst hat keine Wichtigkeit, die sich in irgendwelchen technischen oder Computermätzchen zu formulieren versucht. Die perfekte Handschrift ist ihm wichtig. Und die von Eastwood ist großartig. Jahrzehntelang geübt. Das Produkt soll dem Zuschauer munden und ohne viel Kauen nur so runterflutschen, aber es soll nicht substanzlos sein. Eastwood spart die Probleme nicht aus.

Hier nun erzählt Eastwood die Geschichte der Musikgruppe „Frankie Valli and the Four Seasons“ von deren Anfängen in den frühen Fünfzigern bis zum Eintritt in den Rockhimmel, in die „Rock and Roll Hall of Fame“, anfangs der Neunziger des letzten Jahrhunderts. Die Geschichte kann nachgelesen werden bei Wikipedia auf Englisch oder auf Deutsch.
Der Film wurde von zwei Mitgliedern der Band, von Frankie Valli und von Bob Gaudio selbst mitproduziert.

Das Drehbuch von Marshall Brickman und Rick Elice scheint redlich, versucht sich an das Authentische zu halten, spart die Mühsal und Schwierigkeiten eines solchen Aufstieges nicht aus, Ehe, die in Brüche geht, Kind, das sich umbringt, dubiose Geschäftsleute im Umfeld, fragwürdige Verträge, Rückschläge, 200 Abende im Jahr tingeln durch die Provinz, auftreten vor jedweder Gesellschaft in jedwedem Lokal, um Schulden zu tilgen und dagegen setzen die Autoren den Traum von der Ruhe, die Sehnsucht nach einem Zuhause, nach Stetigkeit. Der Preis für das Ziel, berühmt werden zu wollen, ist hoch. Ein Thema, was demnächst noch zwei weitere Filme nicht ganz so schonungsvoll und pfleglich behandeln werden: David Cronenberg mit „Maps to the Stars“ und Mike Myers mit „Supermensch – Wer ist Shep Gordon“.

Auch gibt Eastwood jungen Stars, die ihre ersten Sporen bereits verdient haben, wunderbare Vorzeigerollen: Vincent Piazza als Tommy DeVito, John Lloyd Young als Frankie Valli, Johnny Cannizzaro als Nick deVito, die hier schöne Rollen bekommen für ihre Biographien und die über die Arbeit mit Eastwood an die Kultur des guten, alten Hollywood andocken können – in dieser Hinsicht wirkt der Film ein bisschen wie von einem höheren Fortbildungs-College.

Die makellose Kinohandschrift von Clint Eastwood zeigt sich allein schon in der perfekten Schilderung von Outfit und Atmosphäre der 50er Jahre: die Frisuren der jungen Männer, ihr Benimm, ihr Verhalten, der Widerspruch zwischen Boy und Mann. Absolut glaubwürdig, deckt es sich mit dem Bild der 50er Jahre, wie wir es zumindest aus dem Kino kennen. Eastwood schwimmt im Kino wie ein Fisch im Wasser, kennt jede Strömung, den Auftrieb, den Abtrieb.

Mit der genau gleich vornehmen, Vertrauen wie ein erfahrener Landarzt erweckenden Art hat Eastwood in den letzten Jahren brisante gesellschaftliche Themen in schonungsvoller Kinohandschrift, die von der heutigen Computerwelt aus besehen vielleicht eine Sütterlin-Schrift wäre, behandelt: Baseball in Back in the Game, über den Geheimdienstchef Hoover in J. Edgar, das Thema „Jenseits“ in Hereafter, Kindsmissbrauch in „Mystic River“, über Nelson Mandela und die Apartheid in „Invictus“, Rassismus in „Gran Torino“, über den Krieg in „Flags of our fathers“ und „Letters from Iwo Jim“, über das Boxen in „Million Dollar Baby“.

Allerdings bleibt zu fragen, wen interessiert hier und heute bei uns die Geschichte der „Four Seasons“ in säuberlichster Sütterlin-Handschrift dargestellt?

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