Die geliebten Schwestern

Gediegen elaborierter Klassik Analog-Käse, geruchlos, mit Amphibitamin aufblasbar gemacht, mit einer Schillerdauerschlaufe auf der Tonspur versehen und garniert mit schönen Frauen.

Der dehnbare Spannbeton in diesem Amphibienprodukt (Kinoversion 140′, Festivalversion 170′, Fernsehversion 2×90 = 180′) ist in Verehrung und Zuneigung zum deutschen Nationaldichter Friedrich von Schiller die Sprache. Sie läuft unentwegt über den ganzen Film, sei es als Dialog, sei es als Voice-Over, sei es als Picture-Over Dialog aus dem Off. Sie läuft auch unentwegt visuell in immer derselben, der gleichen alten Handschrift in unendlichen Briefen, die unterschrieben, gefaltet, verpackt, versiegelt und per reitendem Boten verschickt werden, um dann wieder aufgefaltet, gelesen zu werden und so ihren Input zum nächsten Dialog zu geben.

Das Wort wird in diesem Film verehrt mit vielfältigen Einblicken in die Druckkunst und ihre Entwicklung, das Gießen der Buchstaben, das Zusammenstellen der Texte auf den Druckplatten und das Reflektieren darüber, wie die Entwicklung der Druckerkunst auf die Verbreitung von Texten sich auswirke.

Glück für den Dichter. Glück für den Schreiber. Schillersch aufgeschäumtes Molekularkino. Und wenn die Texte, die schillerangelehnt entworfen sind, nicht gerade vom Schreiben handeln, dann bleibt noch eine lockere Handlung oder sagen wir eher ein Beziehungsdreieck zwischen dem anfangs des Filmes noch zu habenden, mittellosen Dichter Schiller und den beiden Schwestern Lengefeld, eine verheiratet, eine nicht, beide schön. Die sind die Titelfiguren. Sie wollen sich wirklich vertragen die Schwestern und auch die Liebe zum Dichter ungetrübt teilen, immerhin eine reizvolle Ménage-à-trois-Konstellation. Nicht ohne Pikanterie. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Amphibienprodukt.
Volker Schlöndorff hat sich vor einiger Zeit um die Regie von „Die Päpstin“ gebracht, weil die Produzenten von ihm ein ebensolches Amphiebienprodukt wie das vorliegende verlangt haben und weil er sich erlaubt hat, öffentlich über die Unart von Amphibienprodukten nachzudenken. Dominik Graf will da schlauer sein. Er meint im Presseheft „den Film zu drehen war eine Freude“. Wer genau hinhört, merkt allerdings, dass er vom Drehen und nicht vom Schneiden spricht. Denn das kann sehr wohl ein Problem sein, aus einer bestimmten Materialmenge gleichzeitig einen Film von 140, 170 und 180 Minuten zu schneiden. Walter Hill gab in diesem Jahr anlässlich des Filmfestes München in einem Interview mit Fritz Göttler und David Steinitz in der SZ eindeutig zu verstehen, dass ein Kinofilm eben seine Länge hat.

Eine Amphibienprodukt geht nicht ohne Amputationen, ohne Verletzungen, ohne Qualitätsminderungen. Diese werden bei Dominik Graf gegengewichtet mit pausenloser Zutexterei im Stile Friedrich Schillers, so dass der geneigte Stadttheaterabonennt sagen würde, wir haben den Klassiker so, dass wir ihn wieder erkennen: keine Experimente. Graf hebt den Klassiker auf den Amphibiensockel. Im Gegensatz zu Anne Fontaine, die den Klassiker Flaubert mit ihrer Bovary-Adaption „Gemma Bovary“ (Kinostart 18. September) auf Bäckers Brottisch runterholt – sie tut es mit Humor.

Was passiert nun in diesem Film? Ein brauchbares Stadttheater-Ensemble bringt die Texte fehler- und pausenlos, trägt sie vor, trägt den Film weiter, lenkt den Geist ab vom Bild, das doch auf kümmerliche Mittel schließen lässt: Nahaufnahme folgt auf Nahaufnahme selbst bei Szenenwechsel höchstens mal kurz ein Blick auf eine Landschaft. Der Film macht schmerzlich deutlich, wie armselig die Auswahl an historischen Locations in Deutschland ist, erweckt den Eindruck von kinematographischer Beengung, mindert den Kinogenuss erheblich; vermittelt das Gefühl eines Schulungs- und Seminarraumes mit Schillertonschlaufe beschallt.

Fängt gleich mit einer Nahaufnahme in einer Kutsche an. Dann sieht man kurz, dass die sich auf einem Weg bewegt. Für die Expostion einer spannenden Kinogeschichte ein gewagtes Unternehmen, was meiner Ansicht nach hier nicht aufgeht. Aber der Macher Graf dürfte überzeugt davon sein, dass er es nicht nötig hat, alles vorzubereiten, was später Spannung herstellen soll, Emotionen erzeugen soll. Er setzt auf den liturgisch-ritualhaften Effekt des pausenlosen Tönens und Textens – wie die lateinische Messe; wobei die Sprachregie keinesfalls hervorragend oder gar brillant zu nennen ist. Zeit dafür gibt die Amphibie nicht her.

Graf, der geschmackvolle, stilsichere Ästhet mit einem Faible für impressionistische Pastelltöne, für schöne Frauen, hier Henriette Confurius und Hannah Herzsprung als die beiden Schwestern, und gibt sich hier noch dazu als historisierender Requisitenfetischist zu erkennen.

Eine Aufführung nach dem Geschmack des Theaterabos blau oder grün oder gelb oder violett oder Dienstag oder Donnerstag. Kino als ein Ort der Hingabe an Kunst statt Kunst selber. Kino als Ausgeburt von Förderstrukturen, das nicht von sich aus stimmig sein muss. Graf, einer der Haus- und Hauptgötter im Kinopfründeland. Graf und Schiller: da gehen alle Förderer in die Knie, da ist der Kulturgottesdienst gerettet, die Kulturnation im siebten Himmel, egal, ob der unvoreingenommene Zuschauer dem Film etwas abgewinnen kann oder auch nicht.

Ist ja eh nur für die Matinee oder als Folterinstrument für den Schulunterricht gedacht. Aber man sieht dem Film, und das ist ja auch eine positive Feststellung, an, dass in der hiesigen Filmkultur jedes Feeling für das Höfische abhanden gekommen ist. Und eben auch für den gepflegten, bewussten Sprachduktus und die entsprechende Sprachmeisterung; die ist dann doch mehr beeinflusst vom Nuscheln und dem lässigen Wegsprechen, vom „S“, das leicht lispelt, denn von bewusster Artikulation („nach Jena“ hört sich an wie „nach China“). Macht die Chose wenig remarkabel.

Statt-Theaterkino. Abhandlung statt Handlung. Insofern sind viele emotionale Szenen schwer zu spielen, weil ihnen die Basis fehlt, die Charakterisierung der Figur. Insofern wirken sie komisch. Unfreiwillig. Vielleicht hätten vor dem Dreh zum Test des Drehbuches wenigstens Readings veranstaltet werden sollen. Da wären möglicherweise schnell Schwachstellen entdeckt worden, die den Insidern längst selbstverständlich waren, die aber für den nicht Informierten Verständnisschwierigkeiten und damit die Gefahr des Aussteigens aus dem Film bergen.

Gelegentlich kam ich mir vor wie der verletzte Höhlenforscher im Riesending. Chancenlos zugepackt und durch eine nicht enden wollende Höhle transportiert. Es ist auch kein Besetzungshighlight. Noch ist bei dieser Art Macherfilmarbeit die Chemie zwischen den Darstellern von Interesse.

Und: deutsches Liedgut muss sein „Oh wie wohl ist mir am Abend“. Deutelungsvoll vielleicht.

Oder das Gefühl, man kriegt immer nur einen Ausschnitt aus der Geschichte mit. Weil drum herum alles Neuzeit ist. Oder Kino wie Briefmarkensammlung. Graf zeigt uns eins ums andere seiner Glanzstücke, man kommt vom Lupenblick kaum los. Vertüdelt sich im Detail. Dabei ist der größte Drehbuchlapsus: keine Hauptfigur. Davor schreckt das deutsche Kino immer noch zurück. Insofern scheint mir der Schillerdarsteller Florian Stetter oft mehr Schauspieler als Dichter.

Auch die Musik ist, wie der Geschmack von Graf überhaupt, einwandfrei, lupenrein, tadellos kulturell. All diese Zutaten summieren sich für mich zum Begriff eines Biedermeierkinos. Was eine urkomische Kontradiktion zum Begriff Kino ist, eine enorme Einschränkung der Möglichkeiten des Kinos. Hier wirkt Kino wie ein Kriechtier, ein Wurm, der aus beliebig vielen Segmenten bestehen kann: richtig: Amphibie. Sie will uns 140, 170 oder 180 Minuten fesseln … Refrain – und fesselt dadurch gar nicht. Dominik Grafs geschmacksvolles Biedermeierkino.

Nach etwa einer Stunde in der Kurzfassung von knapp 140 Minuten schält sich empirisch nachvollziehbar die Grundkonfliktkonstellation etwas heraus, soweit wichtige Sätze nicht im Rauschen und Gischten des Rheinfalles versenkt worden sind.

Bei den Requisiten wurde darauf geachtet, dass sie möglichst museal perfekt-sauber und gut sichtbar, ohne jeden Hinweis auf Verwendung, ausgebreitet wurden. Auch auf Distanz ergibt sich mir in dem Film nicht mehr Sinn, als kulturelles Ergötzen, ergibt sich nichts, was mich im Hinblick auf unsere Zeit auch nur eine Sekunde über den Film hinaus beschäftigt. Bestenfalls könnte ich versucht sein, wie in der klassischen Musik, Noten zu verteilen, und da wäre eine ganze Bandbreite zu vergeben über die Sprechkunst beispielsweise, Kunst der Haltung und des sich Bewegens in höfischen Kostümen, Kunst der Gestik in ebensolchen; Kunst der Alltäglichkeit in solchen Umgebungen; über die Glaubwürdigkeit oder Theatralität der Figuren.
Dadurch wirkt der Film auf mich außerordentlich hackelig, Schnitt, stößt mich eher ab als dass er mich reinzieht; aber das wollen wir ja auf keinen Fall, das könnte ja, denn der Stoff ist nicht ohne, wenn er denn kinogründlich bearbeitet worden wäre, ein richtiger Kinoerfolg draus werden. Aber das wollen wir im Pfründenland doch bittschön vermeiden, sonst könnten wir uns gar noch aus dem Pfründengespinst befreien, was nichts anderes bedeuten würde, als selbst Verantwortung zu übernehmen.

Mir fällt bei diesem Film folgende Anekdote ein: ein gestandener mit diversen Bühnentricks gewaschener Schauspieler erzählte einmal, er habe eine Technik entwickelt, wie er Hänger in klassischen Texten überbrücke: er spreche einfach im Rhythmus weiter, wobei er einen unverständlichen Verhau an Silben produziere, bis er wieder in den vorgegebenen Text einspure, das habe noch jedes Mal funktioniert und kein Mensch habe das je bemerkt.

Dem Schillerdeckmäntelchen und dem Namen Graf konnten von Seiten des Zwangsgebührenfunkes als Förderer nicht widerstehen: WDR, Intendant Tom Buhro, BR, Intendant: Ulrich Wilhelm, Degeto, verantwortliche Gechäftsführer: Christine Strobl, Stefan Lux, arte, Präsidentin: Véronique Cayla,
von Seiten staatlicher deutscher Filmförderer:
Mitteldeutsche Medienförderung, Intendantin Prof. Dr. Karola Wille,
Film- und Medienstiftung NRW, Vorsitzender des Aufsichtsrates Prof. Dr. Werner Schwaderlapp,
FilmFernsehFonds Bayern, Geschäftsführer Prof. Dr. Klaus Schaefer,
Filmförderungsanstalt, Vorstand Peter Dinges,
Deutscher Filmförderfonds, Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters.

Rote Karte des Zwangsgebührenzahlers.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert