Violette

Als Frau wirst du angestarrt, entweder weil du schön oder weil du hässlich bist.
Diese Erkenntnis der Protagonistin Violette Leduc, Emannuelle Devos, der man gerne zuschaut, obwohl sie die beiden Anstarrreize Schönheit wie Hässlichkeit bewusst zu vermeiden scheint, hat Martin Provost, der mit Marc Abdelnour und René de Ceccatti auch das Buch zu diesem Biopic aus dem Literaturgeschäft geschrieben hat, vorangestellt.

Der Satz macht auf einen grundsätzlichen Zwiespalt des Charakters dieser Frau aufmerksam, die nach harten Anfängen Karriere macht dank aktiver Mithilfe von Simone de Beauvoir. Sandrine Kiberlain spielt diese, als wolle sie ein Feedback zur deutschen Sarah Wagenknecht geben.

Die Charakterisierung von Violette erinnert an die Charakterisierung von Hans Söllner in einer Folge der Bayerischen Fernsehreihe Lebenslinien (3. Absatz). Für ein Drama, für einen Kinofilm ist ein in sich zerstrittener Charakter ein Glücksfall. Hier einer der ständig Konflikte hat und provoziert, andererseits ständig vergeht vor Liebessehnsucht und doch die Liebe kaum geschehen lassen kann, egal ob mit Mann oder Frau, und dann noch von Sehnsucht nach literarischer Anerkennung getrieben ist.

Da Provost sich in Regie und Inszenierung diesem Charakter anzunähern versucht und dabei recht unbefangen den Darwinismus im Literturbetriebe analysiert, ergibt sich außerdem ein grelles Schlaglicht auf das Geschäft mit den Büchern und den Texten; wie wird Literatur gemacht, wie wird ein Literaturstar gemacht und warum kennen wir alle Simone de Beauvoir, nicht aber Violette Leduc? Ist es wirklich der literarische Unterschied? Oder ist der Mainstream Mainstream weil ihn das Geschäft dazu gemacht hat?

Ein Film über einen unglücklichen Menschen, der im Schreiben einen Ausgleich findet wie auch Kontakte, obwohl daraus keine Freundschaften entstehen können. Wie Violette sich in Simone verliebt, sie aggressiv stalkt, ihr Blumen vor die Tür legt, bis sie eines Tages ihr Manuskript liest und es sogar weiterreicht; aber selbst zur Erkenntnis gelangt, dass eine Freundschaft zu Violette nicht möglich sei. Das Düstere, fast Unheimliche dieses Charakters schlägt sich in düsteren Bildern nieder. Provost scheint mit wenig Kunstlicht gearbeitet zu haben und wenn, dann auf äußerster Sparflamme, so dass gelegentlich Dinge kaum mehr zu erkennen sind.

Der Film fängt im ausgehenden Zweiten Weltkrieg an. Violette lebt noch auf dem Lande und hält sich mit Schwarzmarktaktivitäten über Wasser. Sie ist mit Maurice zusammen. Der aber hat einen Freund und geht nach Deutschland, wo er erschossen wird, nachdem Violette sich geweigert hat, unzutreffendererweise zu bestätigen, dass sie von ihm schwanger sei, was ihm hätte das Leben retten können. Maurice ist Autor und Violette stört ihn vor allem beim Schreiben.

Aber Paris ist attraktiv.
Violette als eine Getriebene mit ihrer ständigen, hektischen Energie, mit fast zackigen Bewegungen, nichts Rundes, nichts Ausgeglichenes, nichts Harmonisches. Und immer wieder diese Musikuntermalung, die mit grellen Streichern Unglückstöne beschwört. Bis auf eine Stelle, wo Jazz kommt, sehr spät und dann noch fast am Schluss, wenn sie die Provence und deren guten Einfluss auf ihre Seele entdeckt, wie sie am Steuer eines Autos leichte Musik hört auf dem Weg zu ihrer Datsche, wo sie nach Ende des Filmes noch mehrere Erfolgsbücher schreiben wird. Es scheint kein grenzenloses Glück, ein Glück mehr, das sich seiner sehr wohl bewusst ist und dessen Ausflippigkeit sich in Grenzen hält.

So konzentriert wie Violetta ständig von ihrem Unglück auf Trab gehalten wird, so konzentriert sich Provost auf den Fortgang der Geschichte ohne viel Aufmerksamkeit zu verschwenden auf Ausstattung und Ausleuchtung, der Zeit entsprechend vor allem bescheidene Innenräume bis ärmlich. Auch Beauvoir wird erst nach dem Erfolg von „Le Mandarine“ in eine richtig schicke Wohnung umziehen.

Es wäre sicher interessant gewesen, Genaueres über den Schreibstil von Violette Leduc zu erfahren und den Vergleich zur Schreibe einer Simone de Beauvoir, ob da ein markant stilistischer wie substanzieller Unterschied besteht oder ob es dabei wirklich nur um literarische Machtpositionen geht.

Das erste Buch von Violette „L’Asphyxie“ wurde in einer Nachwuchs-Reihe mit kleiner Auflage von Albert Camus bei Gallimard herausgegeben; die Einbände waren braun und in den Buchhandlungen waren die Bände gar nicht erhältlich. Hier scheint Camus vor allem für den eigenen Ruhm gearbeitet zu haben.

Hat die miese Behandlung des Vaters Violette so unglücklich gemacht, sie zum Unglück verdammt mit nur wenig Möglichkeiten zur Schmerzlinderung, eben dem Schreiben; Lebenskunst als der erarbeitete Umgang mit unheilbarem Schmerz? Auch der Masochismus. Wehleidigkeit: mir rollt keiner den roten Teppich aus. Der Teppich, den Provost hier posthum für Violetta ausrollt, der ist ohne jeden Glamour, mit kaum Fröhlichkeit, sie ist motorisch getrieben von einem Need, den Schmerz zu lindern.

Die einzige „normale“ Liebesszene ist die mit dem Landburschen, da gönnt Provost dem Zuschauer ein paar Takte Jazz; aber der Bursche ist verheiratet, sein Bruder jedoch wäre brennend interessiert: leider beruht das Interesse auch hier nicht auf Gegenseitigkeit.

Violetta scheint kein Leuchtturmmensch zu sein, kein darwinistisches Alphatier; ein schlichter Mensch, der mit schlechten Voraussetzungen Liebe sucht, ohne jede intellektuelle Durchdringung oder Frisierung oder Falschheit, Anpassung. Der Konsument aber will Alphatiere, in der Literatur, im Kino.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert