Stiller Sommer

Schöne Grüße aus dem Deutschen Filmförder- und Zwangsgebührenkosmos. In gediegen lavendel-provencalischer Farbgebung und mit einigen schönen französischen Chansons garniert versucht die Regisseurin und Autorin Nana Neul die deutsch-bürgerliche Idee von der kaputten Familie von erhaben weltfremd-intellektueller Warte herab für das Untertanenpublikum leinwändisch zu dozieren.

Ein Themenfilm also, der auf eine Hauptfigur verzichtet und auf Konflikte ebenso, wie auch auf die Geschichten der Figuren. Ein Stötzner-Film auch, Ernst Stötzner, der Subventions- und Zwangsgebührenstar, der entlaubte Baum im deutschen Förderfilm, der impermeabel gegen jede Rolle, gegen jeden Stoff zu sein scheint, gegen jeden Film und jedes Team, insofern überall einsetzbar. Einen Beruf hat seine Figur auch nicht. Eine Tochter Anna hat er mit Dagmar Menzel, die hat einen Beruf. Sie ist Auktionarin. Das ist die formal intakte, inhaltlich längst geschlissene Familie.

Wobei wir die Bilder der Intaktheit, und damit der Angst, dass etwas kaputt gegen könnte, gar nicht erst geliefert bekommen. Die Absicht der Filmemacherin ist unkaschiert und laut: ich zeige Euch wie kaputt Familie ist. Zuerst ist die Stimme von Kristine, so heißt die Rolle von Frau Menzel, kaputt. Das hat zwar den Reiz, dass sie über weite Strecken eine stumme Rolle spielt. Wie sie allerdings mit dieser Stummheit umgeht, das muss nicht unbedingt die Ideal- oder Einziglösung für so ein schauspielerisches Problem sein. Lässt aber ihren gelegentlichen Seidenblick gut wirken.

Die Familie hat in den Cevennen ein seit Jahren nicht mehr benutztes Ferienhaus. Den Stimmverlust will Kristine dort auskurieren. Ohne ihr Wissen findet sich bereits ihre Tochter dort, die mit dem Franzosen Franck für eine Prüfung lernen will. Und was Männlein und Weiblein sonst an so einem lauschigen Ort miteinander treiben. Jetzt kommt mit Kristine ein weiteres Weiblein, 50 und sexuell hungrig, unbefriedigt in das Arrangement. Und es passiert, was die Regisseurin so fasziniert. Franck und Kristine fühlen sich zu einander hingezogen. Die ersten der Seitensprungfantasien in den Varianten Kanufahrt oder geheimes Treffen in einer Hausruine.

Bald taucht ohne weiteren Grund, ein Handlungsfaden ist in solchen Themenfilmen, die von der verbindlichen Kraft ihrer Themensetzung überzeugt sind, nicht nötig, ihr Mann Herbert, Ernst Stötzner, auf. Auch er hat, erfahren wir nach und nach, eine Seitensprunggeschichte hinter sich, eine zum eigenen Geschlecht. Hier verzettelt sich das Arrangement der Regisseurin schnell; es kommt zu einem Seitensprungverzetteln, denn es kommt die Erinnerung an ein weiteres schwules Verhältnis von Papa Herbert in der Vergangenheit dazu, das mit einem Toten in einem in einen Fluss gestürzten Auto endete. Die Seitensprungfantasien der Regisseurin haben nun zur Folge nicht allzu attraktive Liebesszenen quer Beet und Bett und zu Hauf über die Generationen und die Geschlechtergrenzen hinweg. Diese Verzettelung wirkt umso verzettelter, als Schnitte wie Zeitsprünge zurück eingefügt werden, die aber die hilfreiche Funktion von Rückblenden nicht erfüllen können.

Schon beim Lesen einer kurzen Inhaltsangabe im Presseheft vor der Filmvorführung, kam mir das alles sehr bekannt vor, als hätte ich diesen Film schon hundertmal im deutschen Studienratskino gesehen, wo es wirkt, als seien die Schauspieler auf einem Workshop und versuchen nun, kaputte Familie zu mimen, weil den Figuren die Geschichte und dem Film der dramaturgische Faden fehlt, weil es ein Themenfilm und kein Film mit einer Hauptfigur mit einem die Spannung festzurrenden Konflikt ist.

Insofern wirken Farbgebung der Kamera und die Chansons als die Mini-Highlights. Schon einer der ersten Sätze ist „was machst Du da?“, ein inzwischen im deutschen Kino untrügliches Indiz für welt- und kinofremde, papierene Drehbuchkonstruktion. Die Menschen werden dadurch zu abstrakten Figuren, die sich nur ihrer schauspielerischen Mittel bedienen können, die aus diesem Grund jedoch extrem ausgestellt/workshophaft wirken und nicht selten unbeholfen. „Spielen Sie eine Stumme!“. „Spielen Sie Eifersucht““. „Spielen Sie Schwule!“. „Spielen Sie Seitensprung!“. „Und jetzt sind wir lustig auf Kommando!“ (die beiden Freundinnen Barbara und Kristine, wenn sie die Klamotten von einem Mann verbrennen, nachdem sie auf eine Zielscheibe mit Menschenfigur geschossen haben). Wen interessiert so etwas? Spielen Sie Rausch durch Psilocybin (ein Pilzgift). Wen interessiert das, außer den Kursteilnehmern und den Organisatoren des Kurses, sprich den Filmförderern, die hier wieder fahrlässig mit öffentlichem Steuergeld und Rundfunkzwangsgeld umgehen. Dass solche Filme auch nur entfernt mit dem Rundfunkauftrag etwas zu tun haben, das müsste erst noch bewiesen werden.

Motto des Workshops: „Einer verschwindet und alles gerät aus dem Gleichgewicht“. Vergleich des schiefen Mobiles. Als solches wirkt der Film. Es gibt kein Ziel der Handlung, es gibt keinen Spannungsbogen. Aber die Film- und Medienstiftung NRW (Dr. Frauke Gerlach, Vorsitzende des Aufsichtsrates), der Deutsche Filmförderfonds (DFFF, Vorstand Peter Dinges)), das Kuratorium Junger Deutscher Film (Andreas Schardt, Vorsitz) und Stefanie Gross (SWR) haben solches wieder ganz toll und fördernswert gefunden. Widerspruch zumindest des Zwangsgebührenzahlers ist nicht zu erwarten; er schaut sich das gar nicht erst an.

Es gibt auch kaum konkrete Vorgänge, man sitzt und trinkt Wein, schlachtet ein Wildschwein, geht spazieren, liegt im Bett, oder Herr Stötzner ist irgendwo hoch an einem Gittertor wie hingetuckert und macht eine offensichtlich sinnlose Handbewegung, die Szene wird später sogar wiederholt, kaum zu glauben, oder man schreibt mit Zahnpasta das Wort „eifersüchtig“ auf den Badezimmerspiegel, die verliebten Männer duschen unter der Freiluftdusche ohne jede Erotik. Ein Film ohne Exposition und Ziel. Illustration der Behauptung: diese deutsche Familie ist nur Fassade, jeder hat unerfüllte Liebessehnsüchte. Wie aufregend. Das hätten wir nun nie gedacht. Dafür zahlen wir gerne Zwangsgebühren. Wir fahren jetzt alle mal mit dem ganzen Team nach Südfrankreich und spielen dort im Urlaub deutsche Familienkrise. Oder spielen wir: deutsches Kino in der Krise?

Willst Du nicht Tschüss sagen, er hat dir eben das Leben gerettet.
Und dann noch am Pool eine pseudoernsthafte Unterhaltung über das Glück, handlungsmäßig vollkommen unmotiviert. Studienratskino, am nicht abgestaubten Computer ausgedacht. Nur ja nicht die Menschen studieren für einen Film.

Fett symbolisch für das Diabolische, was überall in der Bürgerlichkeit lauert, lassen wir anfangs und Ende des Filmes noch eine Katze über den Weg gehen oder platzieren sie sogar neben Kristine und Herbert. Und bei der Auktion muss es um eine Katze gehen. Noch Fragen?

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