Ida

Ausgehend von einem bevorstehenden Gelübde der Novizin Ida in einem Nonnenkloster in den 60ern des letzten Jahrhunderts wirft Pawel Pawlikowski, der mit Rebecca Lenkiwicz auch das Drehbuch geschrieben hat, ein stechend scharfes Schlaglicht auf einige geschichtliche Signifikanten Polens zwischen Zweitem Weltkrieg und heute anhand einer übersichtlichen Menschenkonstellation und asketisch erzählt.

Das fast quadratische Leinwandformat, das er gewählt hat, bestärkt den Eindruck von einem Film, der entfernt an das Memoryspiel erinnert. Jede Szene steht für eine Karte. Anfangs des Filmes liegen sie alle mit der Rückseite nach oben. Der Film deckt nun eine Karte nach der anderen auf in der Hoffnung, dass auch der Zuschauer Memory-Arbeitet leistet, nicht vergisst, was auf den vorhergehenden Karten gewesen ist. Memory-Training sowohl im cineastischen Sinne als auch im historischen, nicht zu vergessen, was passiert ist, diese Gedächtnisarbeit ist aber weder sentimental verschwurbelt noch im üblichen Weltkriegsdekor ertränkt.

Nach kurzen 80 Minuten ergibt sich ein Zusammenhang zwischen einigen Figuren, der Schockierendes aus der Geschichte prägnant ans Tageslicht geholt hat, was aber wiederum verdaulich gemacht wird durch die Musik der Beat-Generation, die vor Polen nicht halt machte und die bei Gelegenheit immer wieder aus Wiedergabegeräten oder von einer Band mit Saxophonisten produziert wird.

Der Saxophonist ist das Link zu unserer kleinen, überschaubaren Geschichte. Ihn nimmt Wanda im Auto mit, wie sie mit ihrer Schwester Ida unterwegs ist, um etwas über ihre im Krieg getöteten Eltern zu erfahren (in Polanskis erstem Langfilm „Das Messer im Wasser“ kommt die entscheidende Personenkonstellation auch durch Mitnahme eines Trampers im Auto zustande).

Die Recherchefahrt der beiden Schwester wiederum wurde durch den Nonnenorden in Gang gesetzt, bei dem Ida in Kürze ihre Gelübde ablegen will. Die Schwester Oberin wusste von einer Verwandten von Ida und hat den Vorschlag gemacht, sie möchte diese doch vor dem Gelübde noch besuchen, um vielleicht mehr über ihre Familie zu erfahren.

Ida erfährt über ihre Schwester, dass sie Jüdin ist. Das setzt aber nicht gleich einen Glaubenskonflikt bei ihr in Gang. Ungerührt davon suchen sie und Wanda nach dem Grab ihrer Eltern. Sie werden auch deren Mörder begegnen. Sie kennen ihn. Von früher. Diese Begegnungen laufen in diesem Sinne schier gespenstisch ab, als eben die Gespenster nicht gespielt werden. Wir erhalten die Info. Wir sehen, wie der Mörder selbst die Gebeine der Getöteten ausgräbt. Wie die beiden ungleichen Schwestern sie auf dem Familiengrab wieder beisetzen.

Ungleich sind die Schwestern durch ihre Biographie, durch ihren Lebenswandel. Ida, die ihr Gelübde ablegen will, Wanda, die eine Richterin und stramme Parteisoldaten nach dem Krieg war, die Todesurteile unterschrieben hat wie andere Leute Fliegen töten und die auch ein Nuttenleben führt. Außerdem trinkt sie und fährt das Auto einmal in den Straßengraben.

Im Hotel, in dem sie logieren, spielt auch die Band. Hier begegnet Ida dem attraktiven Saxophonisten wieder. Pawlikowski spielt aber den Konflikt zwischen Liebe und Glaube nicht voll aus. Er signalisiert ihn mit seinen Spiel- oder Szenenkarten. Die Nutte und die Heilige.
Erstaunlich ist der sachliche Umgang zwischen den beiden Schwestern und dem Mörder ihrer Eltern: sein Angebot: „Verzichten Sie auf das Haus und ich zeige Ihnen, wo sie begraben liegen“, unter Radikalverzicht auf jede Emotion. Das will einem die Emotion schier zusammenschnüren.

2 Gedanken zu „Ida“

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