Die Frau des Polizisten

Filmkünstlerisch in einer kompromisshaften Mischung zwischen Bela Tarr (ganz genau hinschauen, ob und was sich tut) und den Gebrüdern Dardennes (den Akteuren hautnah auf die Pelle rücken) dann doch systematisch-deutsch-themenhaft-lehrhaft behandelt Philip Gröning das Thema Gewalt in der Familie.

In 59 Kapiteln, die immer mit Schwarzbild geöffnet resp. geschlossen werden, öffnet er Hingucker auf das Leben der Polizistenfamilie Perkinger (David Zimmerschied als Uwe, der Vater, Alexandra Finder als Christine, die Mutter und Töchterchen Clara). Diese Kapitel sind teils auch Lektionen. Das System wirkt wie ein ruhiges Kreisen eines Leuchtturmscheinwerfers, der immer wieder an und ausgeht und dabei kurz innehält.

Gleich das erste Kapitel ist die Lektion zum Hinschauen. Fast eine Nature Morte, ein Stilleben im Wald. Geäst. Ein Baumstamm mit einer roten Farbmarkierung. Nichts rührt sich. Die Tonspur hält sich mit Waldleben zurück. Festpositionierte Kamera. Da. Eine kleine Schärfeveränderung bei der Kamera. Und noch eine. Und noch eine. Ah, wir müssen ganz genau hinschauen. Und eine Ankündigung für den Naturmystizismus, der ein durchgehendes Thema sein wird. Ein Hase hoppelt davon. Später wird es ein Reh sein, ein Fuchs, ein Hirsch, ein Dackel, ein Wurm, eine Maus. Immer sind die Tiere gefährdet. Bild der Gefährdung. Dagegen die Natur als wunderbar gewirkt und schön, sei es Ährenfeld oder Geäst im Frühjahr vor dem Knospen der Blätter gegen den Himmel oder ein kleines von der Welt vergessenes Wehr, um das sich die Natur rankt oder das Glück des Familien-Osterspazierganges im deutschen Wald.

Das intakte Leben der Kreatur. Das gefährdet ist. Das angefahren werden kann, das Reh. Der Polizist muss es erschießen, denn es zuckt noch. Er muss. Gewalt ist sein Beruf, gelegentlich, eigentlich.

Eine weitere Klammer in diesem Film und wie sich im letzten Bild herausstellen wird, doch recht mahnfingerhaft, ist der Alte, der alte Mann, der alte Herr. Single ganz offensichtlich. Der in einer peinlich sauberen, einfachen Behausung wohnt. Das erste Kapitel, das sich ihm widmet, Kapitel 3, zeigt ihn zuerst in Nahaufnahme von hinten mit einer Wintermütze auf dem Kopf vor Winterlandschaft. Er dreht sich zur Kamera. Jetzt schaut er die Zuschauer an, das Geschehen an. Die Klammer wird im vorletzten, im 58. Kapitel geschlossen. Jetzt schaut der Alte zuerst in die Kamera. Dann dreht er sich weg. Er will nichts gesehen habe. Das dürfte die eindeutige Symbolik sein. Die Mahnung an den Zuschauer, sich jetzt nicht gleich wegzudrehen.

Die Familie Perkinger lebt irgendwo in Norddeutschland in einem Stadtviertel aus roten Backsteinhäusern mit engen Gassen. Man kann die Nachbarn übers Fenster beobachten oder in die Gasse hinunterschauen. Und es gibt einen kleinen Hof von kaum mehr als einem Meter Breite. Hier pflanzt Christine mit ihrem Töchterchen Clara Grünzeug an oder beobachtet das Gewürm, das nach Wegnahme der Steinplatten, die die Beete zugedeckt haben, herumkriecht.

Das Thema der dunklen Seite unseres Polizisten wird erst im Laufe des Filmes peu a peu, erst mal ganz unverhofft, nie psychologisch vorbereitet, eingeführt oder sichtbar gemacht an immer mehr blauen Flecken, die den Körper seiner Frau übersäen. Aber genau so oft ist das Paar aneinander geschmiegt, zärtlich, unglaublich zärtlich miteinander, auch wenn diese Szenen seltener werden.

David Zimmerschied dürfte der eigentliche Protagonist sein, um den es geht, er meistert seinen Part mit Bravour, er hat immer den Subtext, dass in ihm etwas verborgen ist, was nicht zu seiner korrekten, jeglicher Aggression abholden Oberfläche passt. Obwohl der Titel des Filmes heißt, die Frau des Polizisten, so ist sie dramaturgisch nicht als Hauptfigur behandelt. Sie ist das Opfer, das anfangs alles weg lächelt oder gar übersieht. Denn so ein kleines süßes Mädchen wie ihre Clara ist Segen und Glück, Kompensation genug.

Von der Performance her wirken die Szenen, vor allem wenn es um die Gewalt geht, eher thesenhaft, indikatorisch denn realistisch, weil dezidiert auf das Aufzeigen der psychologischen Herleitung, die zu den Taten führt, verzichtet wird.

Damit keine Langeweile aufkommt, gibt es als belebende Elemente, je nachdem, was der Polizist für einen Dienst hat, einen heftigen Unfall mit Traktor und zwei toten Frauen aus einem kleinen PKW, eine Rennveranstaltung mit aufgemotzten Traktoren, ein Umzug mit Pferden und Blaskapelle oder eine wilde Fahrt mit dem Töchterchen im Polizeiauto über Land, denn Clara möchte, dass Papa das Blaulicht und die Sirene anstellt. Das ist von dem wenigen Lärm in diesem leisen Film über Gewalt, der ganz auf eine Musiksauce, die drüber gelegt wird, verzichtet.

Zuhause vergnügt sich Uwe gerne mit der Playstation. Wenn seine Frau im Bad raucht, da kann er richtig böse werden. Das Desaster in der scheinbar intakten Familie schlägt sich verräterisch in den Kinderzeichnungen nieder. Andererseits gibt es wieder unendliche Harmonie zwischen Mutter und der Tochter, die in einer riesig scheinenden Badewanne sich nackt vergnügen, wo die Kamera da überall hinschaut und auch mal ganz kurz verharrt, das dürfte die zeitgeistig hysterisierten Sittenwächter gegen die Kinderpornographie aufs Äußerste alarmieren.

Familienglück: er schenkt ihr Rosen; das Zuspitzen der Stengel ist eine brutale Angelegenheit. Gemeinsam mit dem Töchterchen Salzstangen verzehren und Playstation spielen.
Der Spießer, der mit dem Dackel in der Gasse spazieren geht.

Viele Interieurs, Details von Wänden und Möbeln. Nach dem ersten Kapitel ist man im Minikurs geschult, genau zu beobachten, wie jetzt der Polizist gegen Morgen von der Nachtschicht vorsichtig, leise nach Hause kommt und behutsam die Schuhe auszieht, die Hausschuhe anzieht und die Kamera lange auf dem Muster des Treppenläufers hängen bleibt, versucht man darin Sinn, Bedeutsamkeit zu entdecken. Die Sehnsucht nach Harmonie, die vergeht nie, die schlägt sich selbst in so einem Teppichmuster nieder.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert