Das finstere Tal

Bild: Greider fotografiert ganz unschuldig die Berge.Ein abgelegenes Hochtal in den Alpen, vor etwa hundertfünfzig Jahren. Ein paar karge Bauernhöfe klammern sich an den unbarmherzigen Fels. Der Talgrund gibt kaum etwas her, lediglich Holz scheint nicht Mangelware zu sein, sichtlich knapp unter der Baumgrenze. Ein Fremder erreicht das Tal nach langem Weg, der ihn durch eine Schlucht und über einen Pass führte. Dass hier oben Menschen leben, hat man im Tal schon lange vergessen.

Entsprechendes Aufsehen erregt der junge, glattrasierte Mann, der mit zwei Pferden und mysteriösem Gepäck auftaucht. Fotografien will er machen von dieser Gegend, begründet er seinen Plan, gegen entsprechendes Entgelt den ganzen Winter zu bleiben. Der Brennerbauer, unangefochtener Herr über alles in diesem Hochtal, gestattet es. Seine sechs Söhne sind im Hochtal so etwas wie die schwarzen Sheriffs: Legislative und Judikative in einem. Kurzer Prozess, wenn jemand querschießt. Doch Fotos hat hier noch niemand gesehen, entsprechend beeindruckt sind die Leute vom „Spiegel mit Gedächtnis“, selbst die Brenners.

Der Mann, Greider sein Name, kommt bei einer ausgemergelten Witwe und deren Tochter Luzi unter. Er will am Hof helfen, doch man lässt ihn kaum, so etwas schickt sich nicht für einen zahlenden Gast. Der älteste Sohn vom Brenner hat bestimmt, dass er dort unterkommen und gut behandelt werden soll. Luzis Mutter erhält eine von Greiders Goldmünzen, der restliche Sack geht an den Brenner.

Nach einer Weile kommt es zu tödlichen Unfällen unter den Brennerbuben. Dass es nicht mit rechten Dingen zugeht, findet der alte Brennerbauer höchstselbst an einem unverkennbaren Indiz heraus, und nun ist klar: Greider will die Brenners auslöschen.

Über den Roman, der diesem Film zugrunde liegt, habe ich ja schon vor drei Jahren begeistert berichtet, nun durfte ich den Film sehen. Es ist interessant, wie deutlich man hier erkennt, wie ein Buch gerafft und gestrafft werden muss, um Leinwandmaterial zu sein. Nicht zuletzt wurde aus Greiders Malen hier das Fotografieren. Gleich kiloweise Fleisch wurde entfernt, um den Spannungsbogen im Kino in 115 Minuten zu packen. Beim Lesen funktioniert diese Dramaturgie natürlich ganz anders, hier kann der Autor locker 10 oder 20 Lesestunden in Kapitel und Abschnitte packen.

Das Problem bei diesem Werk (Buch wie Film) ist, dass man kaum etwas erzählen kann, ohne gleich alles vorwegzunehmen. Andere Kritiker berichten alles und lassen nur offen, wie es genau ausgeht. Ich sehe das anders, denn diesen Film sollte man unvoreingenommen genießen, noch dazu auf der großen Leinwand.

Da ich mich mit dem Handlungsverlauf, der sich zum Buch streckenweise doch sehr unterscheidet, gut anfreunden konnte, empfand ich den Film als stimmig, in sich ruhend, rund. Technisch gibt es überhaupt keine Beschwerden, Kamera, Schärfe und das ganze Trara, über das man sich so gut auslassen kann, wenn es nicht in Ordnung ist, sind perfekt. Ebenso der Schnitt, der dem Film den Takt gibt – keine Beschwerden.

Die Musik ist jedoch etwas eigenwillig. Die längste Zeit haben wir einen klassischen Score mit dramatischen Elementen (große, tiefe Trommeln zum Beispiel, man mag gleich an diese japanischen Trommler denken, die immer so wild gucken), das ist alles fein, doch es schlichen sich zwei, wie soll ich sagen, zwei Popsongs ein. Zumindest Songs, also Lieder. Plötzlich singt da jemand auf englisch, „Cinema“ kommt im Text vor, wenn ich nicht irre, und man fragt sich, was das eigentlich soll. Das passt halt nicht in die Alpen zu Jennerweins Zeiten. Doch nach ein paar Sekunden findet man Gefallen daran, denn zusammen mit den Bildern (beide Male hochalpine, schneebedeckte, unerreichbare Gipfel) erzeugen diese Lieder eine ganz eigene Wehmut, eine Stimmung, die von der kalten, erdigen, sterblichen Handlung losgelöst scheint und einen einlullt wie eine warme Decke in dieser kalten Einöde. Interessant.

Schauspielerisch ist viel geboten in diesem Film. Größte Herausforderung für die Produktion dürfte gewesen sein, der gerade mal 18-jährigen Paula Beer aus Berlin für ihre Rolle der Luzi eine Art Tiroler Dialekt anzutrainieren. Dass der bei ihr und vielen anderen nicht so gewachsen ist, merkt nur, wer die Täler Österreichs selbst gut kennt. Macht aber nix, denn dies dürfte den allerwenigsten auffallen, und dem Film gibt der Dialekt die letzte Würze, das Tüpfelchen auf dem i. Außerdem versteht ihn so jeder von der Nordseeküste bis nach Südtirol, was ja durchaus gewünscht ist.

Besonderes Augenmerk verdient die Tatsache, dass der Autor des Romans, Thomas Willmann, sich trotz allen Erfolgs seines Buches (120.000 verkaufte Exemplare, las ich neulich) nicht voreilig die Filmrechte hat abkaufen lassen. Durch seine eigene Tätigkeit als Filmkritiker wusste er genau, was er auf der Leinwand sehen wollte und was nicht. Für ihn gibt es Regisseure, die ein rotes Tuch sind und seinen Stoff nie in die Hände bekommen sollten. Andere Autoren haben da weniger Ahnung und müssen mitansehen, wie ihr Roman kastriert, ausgeweidet und in ein seichtes Machwerk für grenzdebile Zuschauer verwurstet wird, das nur noch den gleichen Titel wie das Buch trägt und im Abspann „basierend auf Motiven aus dem Roman XY“ oder ähnliche Distanzierungen aufweist. Nicht so hier. Hier erhält man den Film zum Buch, gekonnt übersetzt für die Leinwand.

Ich kann nur raten: Anschauen, solange er im Kino läuft. Diese Bergpanoramen, diese Western-Atmosphäre, diese dreckige Welt von damals kann man nur im Kino genießen.

(Filmstart war der 13.2.14)

2 Gedanken zu „Das finstere Tal“

  1. Was du da als „Cinema“ im Soundtrack gehört hast, war übrigens „Sinnerman“ von Clara Luzia (http://www.youtube.com/watch?v=zC7U9bGEwMs) 😉 Allerdings war ich genauso verwirrt wie Du, ich hab auch die ganze Zeit „cinema“ bzw. „cinnamon“ gehört und fand das dann in dem Kontext schon unpassend ^^ …aber der Abspann brachte dann die Auflösung. Ansonsten gelungender Film.

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