Frei (TV BR-alpha)

Obersturmbannführer Voss war in der Nazizeit ein effizienter und erfolgreicher Todesorganisator und ist in der Jetzt-Zeit dieses Filmes, der kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges spielt, immer noch ein begnadeter und souveräner Genickbrecher, inzwischen allerdings unter dem Namen Meinhart, auf dem Weg nach Argentinien oder dort selbst. Ken Duken spielt ihn versuchsweise dämonisch, gleichzeitig aber auch gerne mit diesem schuldbewussten Blick von unten und mit dem Ausdruck tiefer Unsicherheit, aber auch mit einem Ansatz von Sentimentalität. Interessant im Vergleich dazu ist die Figur des Josef Mengele im Film „Wakolda“ der Argentinierin Lucia Puenzo, dort gespielt von Alex Brendemühl. Auch ein Film, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Argentinien spielt.

Hier in „Frei“, einem Autoren-TV-Film von Bernd Fischerauer, fliehen gleich zwei Menschen vor den Abgründen der Nazivergangenheit nach Argentinien, versuchen dort frei zu werden. Wobei auch klar wird, dass lediglich neue Namen, neue Papiere und eine neue Umgebung oder das Wegmachen der verräterischen Tätowierung der Blutgruppe am Oberarm, wie die SS es pflegte, rein gar nichts helfen.

Kompliziert wird diese Geschichte dadurch, dass hier eine Jüdin und ein SS-Mann zusammen diese Flucht unternehmen. Wobei zuerst keiner vom anderen den Hintergrund kennt, der Zuschauer allerdings klugerweise sehr schnell im Bilde ist.

Da die Frau von Voss auf dem Fluchtweg schon in Tirol stirbt, sein Kind also ohne Mutter dasteht, kommt die Jüdin, die Ravensbrück und Auschwitz überlebt hat, gerade recht. Es ist Eva, großartig gespielt von Julie Engelbrecht. Sie war Klavierspielerin. Und das wird sie in Buenos Aires zu Professor Kaminsky führen, eine herrliche österreichische Künstlerfigur, Johannes Silberschneider, wie überhaupt der gewisse österreichische Einschlag im Darstellerpersonal diesem Film zusätzlichen Charme verleiht.

In Buenos Aires treffen die verschiedenen Vergangenheiten aufeinander, was zu Genickbürchen, Todesschüssen, Erschrecken, Vertrauen-Misstrauenskonflikten, Verunsicherungen führt. Bernd Fischerauer muss gegen Ende hin zu bewährten Film-Noir-Mitteln greifen, um alle Komplikationen, denn auch die Amis sind hinter dem ehemaligen SS-Mann Voss her, zu einem plausiblen Ende zu führen. Aber das macht er ganz cool.

Es handelt sich um eine Produktion des Bildungskanals BR-alpha und möchte vor allem Jugendliche, so die Redaktion, für das Thema Nationalsozialismus und Gewaltverbrechen sensibilisieren. Das dürfte keine vergebliche Mühe sein, wie der Preis der Jugendjury bei den Biberacher Festspielen vermuten lässt. So wird denn das große Talent von Bernd Fischerauer in einem Spartenkanal unter den Scheffel gestellt. Wenn Deutschland eine florierende und funktionierende Filmlandschaft hätte, die nicht von Förderung und Funktionären überdüngt und kastriert wäre, so wäre Fischerauer sicher einer der ganz Großen mit Weltformat, sowohl von seiner Schauspielerführung her als auch von seiner klaren, sich auf das Wesentliche beschränkenden Erzählweise her. So aber führt er cineastisch gesehen ein Mauerblümchendasein im Bildungskanal. Und muss seinen Film wohl doch dem TV zuliebe schier ins Melodram münden lassen, was er durch die erwähnten Noir-Elemente allerdings abdämpfen kann.

Es wäre spannend im Vergleich dazu den oben erwähnten Film „Wakolda“ aus Argentinien zu zeigen und zu vergleichen, gerade im Hinblick vor diesem Hintergrund. Wakolda ist ein Kinofilm. Und ist sicher die härtere Münze. Denn dort praktiziert Dr. Mengele ungebremst weiter. Und traut seinen Zuschauern einen Schluss zu, der einem den Atem stocken lässt. Ken Duken hat als EX-SSler Voss zu viel deutsches Leiden in sich. Er leidet quasi unter der Darstellung seiner Rolle. Oder es ist zu viel Pose. Vielleicht ein Kompromiss zwischen schauspielerischem Leiden und der von der Regie vorgeschlagenen Form, zu bemüht, diese Form zu wahren. Außerdem scheint er mir für einen Nazi einfach zu viel antrainierte Oberarmmuskeln zu haben, zu sehr am amerikanischen Schauspieler-Körper-Ideal orientiert. Kommt am deutlichsten zur Geltung, wenn er mit Eva im Bett liegt und ihren nackten Unterarm mit der KZ-Nummer studiert. Das Hauptproblem der Voss-Figur scheint mir, und das geht auf das Konto des Buches zurück, dass zwar sein Offiziersgrad präzise bestimmt ist, aber seine Funktion, was er exakt gemacht hat, ausgespart wird; eine Unklarheit, die für die Darstellung erschwerend hinzukommt; es wird zwar erwähnt, dass er im Organisieren Hervorragendes geleistet hat, aber was genau, das hätte man doch sagen können; oder musste Fischerauer da TV-Kreide schlucken?

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