Meine Schwestern

Stilvoll, bedeutungshaft inszenierte, deutsche Tumor-Befindlichkeit.
Hier wird über dem Untertext, dass es um die Nouvelle Vague heute beschissen stehe, viel Moral gepredigt. Dieser Befund lässt sich im Film von Lars Kraume nach einem Drehbuch von Esther Bernstorff durchaus ablesen. So weit der Film auch als eine Beschäftigung mit Kino gelesen werden möchte.

Gab es in der Nouvelle Vague noch den waghalsigen Kurzfilm eines ihrer Protagonisten in einer einzigen, zehnminütigen Einstellung, wie ein Lover in einem roten Ferrari durch das frühmorgendliche Paris rast, zum Glück ist niemand zu Schaden gekommen, ohne Absperrung, ohne Drehgenehmigung, und traf sein Date pünktlich auf Montmartre, so stochert bei Kraume Ernst Stötzner in einem grauen Maserati durch den täglichen Parisverkehr, um auf Montmartre die abgängige Protagonistin aufzufinden. Sie steht ihrem eigenen Tod bereits sehr nahe. Kein Tumorfilm zwar, aber einer, der wenig Hoffnung, auch wenig Hoffnung auf ein neues Kino macht. Der eher deprimiert festzustellen scheint, heute ist mit den größten Actricen außer „wir müssen aufstehen“, „ich muss nach Hause, ein paar Sachen holen“ „Wir wollen nach Tatin fahren“ kaum mehr Dialogstaat zu machen, auch wenn die fabelhaften Schauspielerinnen nicht verhehlen, dass sie allesamt die Medea spielen könnten oder ebenso gut „Drei Schwestern“ von Tschechow. Aber das sind Tempi passati. Heute sind die Texte beschissen alltäglich und auch das Wort „Scheiße“ aus solch kostbaren Mündern darf nicht fehlen. Vielleicht die Erkenntnis, dass Kunst heute nichts zu bieten hat, selbst wenn sie es kunstvoll tut. Dass das einzige, was ihr geblieben ist, die Geste, der Duktus des Kunstvollen ist.

Kraume zeigt aber auch, dass wir in einer künstlerisch-ästhetisch armseligen Welt leben. Kein Tschechow möglich. Bei Tschechow pflegte man sich gepflegter zu langweilen. Tschechow braucht keinen medizinisch prognostizierten Tod, um eine Figur sich langweilen zu lassen.

Nach einem Buch von Esther Bernstorff verkünden in der Regie von Lars Kraume großartige Darstellerinnen, dass es Scheiße sei, mit dreißig zu wissen, dass man bald stirbt.

Ein Film aus dem Jenseits, denn der erste Erklärmonolog spricht eine bereits Verstorbene, die Hauptfigur Linda, die mittlere der drei Schwestern, die im Hauptteil des Filmes ihre letzten Tage miteinander verbringen. Das Bild dazu ist biederes, deutsches Fernsehen. Krankenpersonal schiebt ein Bett mit der zugedeckten Toten in die Kühlräume des Spitals, der nackte Unterarm eines der Pfleger ist stark tätowiert. Die Leiche wird ins Kühlfach geschoben. Es folgen die Titel und die gesprochene Erklärung, dass alles anders komme als man denkt und am wichtigsten sei, was vorher war. Alltagsweisheit und Biedermeierphilosophie?

Es folgt ein engagierter Kirchenchor. Im Moment der schönsten Musikemotion erfolgt ein Schnitt. Die Hauptdarstellerin, die im Ehebett neben ihrem Mann liegt, kotzt in einen Eimer. Der deutsche Alltag, das Dozieren desselben mit herrlichen Medea-Figuren, die diese Alltagssätze sagen müssen, kann nun beginnen.

Halt, vorher erfahren wir noch in Voice-Over die Charakterisierung der drei Schwestern. Die älteste, große, die immer stark sein muss, die jüngste, die Behütete, die üblichen Klischees halt und die mittlere, Linda, die hat von Geburt an einen Herzfehler. Erklärkino. Sie wird den Film nicht überleben.

Um die Zeit vorher noch zu genießen, will sie mit ihren beiden Schwestern nach Tating bei St. Peter-Ording in Nordfriesland fahren. Auch über das Glück in der Jugend in Tating gibt es eine rein-sprachliche Erklärung, im Bild dazu sieht man zwei der Schwestern im Fond einer Taxe Semmeln essen. Nach verkrampftem Gelächter beim Inspizieren der bekannten Räumlichkeiten von Vater Abraham (auch dieser Name zeigt, in welcher Dimension der Film denkt – oder bewusste Groteske?) wird als inhaltlicher Input in einer Kneipe in Tating eine Frauengruppe, die in schwarzen Lockenperücken einen Jungesellinnenabschied feiert, den Spruch in den Film einbringen „heute hau ich auf die Kacke“, eine verlängerte Version wird ganz am Schluss des Filmes als bedeutungsvolle Botschaft auf einem Zettel von einem Krankenhausmitarbeiter an die wartende, kleinere Schwester übergeben werden. Nachts geistern die drei Schwestern im Speisesaal herum.

In dieser Region des Filmes gibt es voice-over auch einen literarischen Hinweis zur Message des Filmes, mit dem Merksatz über glückliche und unglückliche Familien, die sich ähneln – oder auch nicht – eines namentlich nicht genannten, berühmten Autors, das innere Dozierneed des Filmes offenbarend.

Es folgt wieder eine symbolhaft aufgeladene Szene in der Kirche zu Orgelmusik, die in den drei Schwestern die Idee einer Reise nach Paris weckt. Unterwegs ruft der Papa an und die Tochter am Handy gibt vor, ihn schlecht zu hören, denn die Familie ist eine der unglücklichen und die Töchter hören den Vater, der nur Erfolgsmeldungen will, nicht gern.

Ab und an bricht Linda zusammen, beispielsweise während die Schwestern in der Bäckerei Brötchen kaufen wollen oder beim schweren Treppensteigen auf den teppichbelegten Stufen in der Absteige in Paris; was jedes Mal Szenen zur Folge hat, die zeigen, dass in Deutschland unbedingt mehr Erste-Hilfe-Kurse angeboten werden müssten, immerhin weiß dann doch jemand „aufs Bett, aufs Bett!“.

In Paris folgt bei Ernst Stötzner, den die drei Schwestern aufsuchen, ein pseudoseelsorgerliches Gespräch auf dem Balkon mit der Todeskandidatin und anschließendem heftigem Lippenkuss der beiden. Worauf Linda in die Pariser Nacht hinaus und die Treppen zum Montmartre hinaufstürmt.

Bald darauf erfolgt die eingangs erwähnte verschämte Referenz an die Nouvelle Vague: hier klappt das Date am Montmarte auch insofern, als das Innere des Montmartre wieder sehr viel getragene Messdieneratmosphäre kreiert und das Kuppelbild mit dem auferstandenen Christus lenkt kurz ab von der filmischen Tristesse der Lebenszeichnung eines deutschen Filmes.

Von Angela Winkler wird in diesem Film in Erinnerung bleiben dass sie präzise platziert vor der Anrichte rote Paprika schneidet und ein andermal ganz genau auf einer Position im Salon hingestellt mit der Polizei telefoniert und einmal noch kniet vor einer Szene als sei sie in der Kirche.

Das war es mit dem Dozieren drögen deutschen Alltags im deutschen Kino mit wunderbaren Schauspielerinnen, für die diese Texte reine Talentverschwendung bedeuten.

Deutsche Seele, schwer und bedeutungsvoll, voller Scheiße.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert