The Wolf of Wall Street

Die Katze lässt das Mausen nicht, das dürfte die Lehre aus diesem unterhaltsamen Ganovenstück sein, das uns Martin Scorsese so leicht serviert wie kaum eines zuvor und welches er mit riesigem Spaß zum Schauspielerfest für Leonardo DiCaprio in der Titelrolle zubereitet. Das Buch hat Terence Winter nach dem autobiographischen Roman von Jordan Belfort geschrieben. So heißt auch unsere Titelfigur: Jordan Belfort; zwischen sich und diesem lässt Leonardo DiCaprio kein Blatt.

Der Film kann durchaus gelesen werden als eine fiktionale, amerikanische Variation oder Ergänzung zu den deutschen Dokumentarfilmen „Versicherungsvertreter – Die erstaunliche Karriere des Mehmet Göker“ von Klaus Stern von 2011 und von „Master of the Universe“ von Marc Bauder von 2013 mit dem Ex-Investment-Banker Voss. Im Vergleich zu Scorsese arbeiten diese beiden Dokus mit ungleich härterer Realitäts- und Vorstellungsmünze, während es bei Scorsese wesentlich um den Kinoschmaus geht – der aber hat es in sich.

Die Figur Göker aus der Doku von Klaus Stern gäbe als Typ eine herrliche Vorlage für DiCaprio, der die aber in den meisterlichen Händen von Martin Scorsese gar nicht benötigt. Auch er versteht es, den Kunden Papiere aufzuschwatzen (wertlose Penny-Aktien), aus Ramsch Gold zu machen. Und die Mitarbeiter seiner Firma Stratton Oakmond motiviert er mit nicht weniger Pep als Göker es tut.

Im Film von Marc Bauder nimmt der ehemalige Investment-Banker Rainer Voss, während er im leeren Bankhochhaus in Frankfurt steht, die Schilderung der Händler-Atmosphäre von Scorseses Film vorweg und wie die Temperatur im Traders-Raum steigt und wie sie sich als „Master of the Universe“ fühlten. Genau dieser Begriff kommt bei Scorsese auch vor, wenn der Raum der Broker schier überkocht, wie sie alle telefonieren und Umsatz und damit Gewinn generieren. Wer also die beiden Dokus gesehen hat, kann hier einerseits ein Déjà-vue-Erlebnis verzeichnen, hat andererseits zwei Belege dafür, dass das Kinobankett, was Scorsese in barocker Üppigkeit anrichtet, die Nachfrage nach dem Realitätsgehalt nicht zu scheuen braucht.

Belforts Gesellschafter, die sind ein Kapitel für sich; das ist hochgrotesk, wie Scorsese schildert, wie Belfort sie zusammensucht, sicher filmisch überspitzt, dafür umso ergiebiger, alles ganz einfache Handwerker, die Geld verdienen wollen und die Belfort in einem Crash-Kurs zu erfolgreichen Brokern macht.

Seine Einführung in die Methode ist Belforts eigener Crash-Kurs in Sachen Börsenhandel. Eine fulminante Szene in einem Restaurant in einem Hochhaus mit einer beperückten Figur mit künstlichem Gesicht, zurecht gezurrt und geschnippelt, nichts ist mehr natürlich in dieser Welt, und wie DiCaprio schon nach einem halben Jahr zertifizierter Händler ist und die schwarz gefärbten Haare, die immer gepflegt gekämmt sind, sie erinnern an Berlusconi und stehen ihm gut, nicht weniger als der höhensonnengebräunte Teint.

Belfort hat Pech. Sein erster Arbeitstag ist ausgerechnet der Schwarze Freitag. Sofort steht er ohne Job da. Und fängt in einem runtergekommenen Schuppen bei einer Dilettanten-Firma an, die nicht mal Internet haben. Hier folgt eine weitere umwerfende Szene, wie er sein Wissen den staunenden, dumpfen Mitarbeitern anhand einer Telefonakquise vorführt und gleich sein erstes Geld von geldgierigen Anlegern locker macht.

Ab da geht es unaufhaltsam aufwärts. Über einen sportlichen Wagen schindet er Eindruck bei einem Nachbarn und bald sind die ersten Schritte für die eigene Firma getan. Jetzt wendet sich Scorsese dem Ausmalen der abgehobenen Welt dieses Kasinos zu. Koksen und Drogen und Frauen, er kann als Regisseur so richtig die Sau rauslassen und das tut er mit enormem Vergnügen. Die Frauengeschichte mit Naomi, dem blonden Püppchen, das Belfort über den Weg läuft. Bald schon schenkt er ihr eine Yacht. Luxusleben. Drogen. Alkohol. Exzesse. Allerdings wenn so ein Unternehmen wächst, wachsen auch die Gegner und das Misstrauen. Das FBI fängt an, sich zu interessieren. Denn wie wir schon vom Ex-Investment-Banker Voss wissen, die Geschäft tendieren durch die Sucht nach mehr und mehr gegen die Ränder der Legalität.

Wie Belfort wieder einmal hackedicht zugekokst und mit Tabletten zugedröhnt ist, ruft ihn sein Anwalt an, er solle ihn sofort von einer öffentlichen, also nicht abgehörten Zelle aus zurückrufen. Immerhin checkt Belfort den Ernst der Lage, versucht in seinen Supersportwagen zu gelangen, das schafft er aber nur noch auf dem Boden kriechend; großartige Nummer vollkommener Verkommenheit, die mit einem geschredderten Maserati zu einem Ende kommen wird.

Belfort wird aber trotz aller Schwierigkeiten, die sich gehäuft einstellen, noch eine Weile davon kommen. Auch eine schräge Szene, wie zwei Herren vom FBI Belfort ihre Aufwartung auf seiner Yacht machen. Es wird höchste Zeit, Geld in die Schweiz zu transferieren; aber das funktioniert heutzutage nicht mehr so leicht, der Arm des Gesetzes und der Gerechtigkeit wird immer länger, und ein Ganovenfilm darf ja nicht nur aus Hully-Gully, Alkohol, Drogen und schönen Frauen oder einer spaßigen Bruchlandung mit Kumpel mit Helikopter im Garten bestehen; ein bisschen wenigstens müssen die Bösewichte zur Rechenschaft gezogen werden.

Umwerfend an diesem Film ist nebst einigen urigen Szenen vor allem die Schauspielerei von DiCaprio, der offenbar mit einem Regisseur wie Scorsese sich zu selten persönlicher Spielweise entwickeln kann; die anderen Schauspieler stehen ihm in nichts nach; er hat jedoch den am vielfältigsten ausgeschriebenen Part.

Manche Massenszenen, sei es im Büro oder auf der Yacht grenzen an Tanzchoreographien und die Katastrophen-Komik tendiert gegen „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“, wenn Belfort und sein Kumpel voll zugedröhnt im Flugzeug in die Schweiz für Chaos und Randale sorgen.

Scorsese inszeniert mit leichter Hand, fast schmunzelnd und mit Schauspielerliebe, es macht ihm nichts aus, dass Genf mit dem berühmten Springbrunnen ganz klar als Studioprospekt erkennbar ist, so wie auch andere Hintergründe. Denn ihn interessiert der Vordergrund. Und: DiCaprio ist auch ein hervorragender Erzähler, wenn er zwischendurch als Ich-Erzähler spricht. Scorsese hält sich an nichts Unwichtigem auf, suhlt sich aber ausgiebig in einigen signifikanten Szenen, die garantiert Erinnerungs- und Erzählwert haben, weil sie so nicht unbedingt täglich zu sehen sind.

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