All Is Lost

Robert Redford bereitet sich in wohliger Studio-Geborgenheit und hochkonzentriert in einer Kulisse, die von Einsamkeit erzählt, auf den Tod vor, beschäftigt mit alltäglichstem Überlebenskleinkram oder: von der Banalität des Sterbens. In einem Film von J.C. Chandor.

Old man slipped away. Amen. Das singt ein Sänger zum Abspann. Dieser alte Mann, das ist Robert Redford, und zu diesem Zeitpunkt dürfte ihn das Irdische gesegnet resp. der Indische Ozean verschlungen haben.

Visionen eines alten Mannes. Redford geht auf die 80 zu. Vision vom Sterben. Vom Abgang allein von dieser Welt. Allein treibt er auf einer Rettungsinsel auf dem Indischen Ozean. In der Nähe des großen Seeweges in die Gegend der „Separation Zone“, wo die Schiffsstraßen sich in die Approach-Lines nach Sumatra und Madagascar aufsplitten. Und sein Weg in Richtung Ewigkeit gehen dürfte.

Aber das tut alles nichts zur Sache. Es ist der sinnlose Versuch, sich noch zu retten, sich mit einem Sextanten zu orientieren auf dem Weltmeer, nachdem Redfords Segelboot an einem im Meer schwimmenden Container geleckt ist. Das ist die erste Phase im Film. Wie er sein Boot wieder flott bekommen will. Wie er die elektrischen und elektronischen Geräte versucht zu trocknen und zu reinigen und wie er versucht, das klaffende Loch auf der Seite seines Segelbootes abzudichten. So bekommt er das Boot locker und ist allein auf weiter See.

Er gerät in einen Sturm. Das Boot läuft voll. Er rettet sich auf eine Rettungsinsel aus Gummi. Er hat kein Wasser mehr dabei. Das ist eine der Überlebenstätigkeiten, aus einem Plastikkanister eine Wasserentsalzungssanlage zu basteln.

Es ist ein Aus–dem-Leben-Gleiten, was Redford uns hier vorspielt. Es ist ein meditativer Film, zu dem man philosophieren kann. Ein Ein-Personen-Film. Ein Seniorenfilm. Aber er muss uns weder seine noch vorhandene Jugendlichkeit beweisen noch muss er das nahende Greisentum durchschimmern lassen.

Er schickt eine Flaschenpost. Er will Tagebuch führen. Eine Spur hinterlassen. Er wird fast von einem Ozean-Container-Riesen überfahren; zumindest übersehen. Ein Mensch schaukelt auf dem Wasser am Rande der großen industriellen Produktivität und Mobilität und Logistik.

Aus dem ersten Rettungscontainer quellen Turnschuhe. Wer Berichte über die Globalisierung der Produktionswege von modernen Turnschuhen gelesen hat (für jeden Arbeitsschritt praktisch ein anderes Land), kann dieses Randschicksal in der Nähe eines gewaltigen Zusammenhanges lokalisieren.

Ein Film fast ganz ohne Dramatik, und selbst diese kommt gepflegt daher, Robert-Redford-like, sie beunruhigt nicht, man bekommt auch keine Angst um Redford, man fühlt sich Redford-aufgehoben und sicher. Das ist vielleicht seine Aura, seine Ausstrahlung, die auch noch in so einem Streifen zu 100 Prozent da ist. Er ist ganz bei der Sache, ob beim Kochen, beim Segeleinziehen oder bei der Versorgung einer klaffenden Wunde auf der Stirn, beim Rasieren oder beim Wechseln des Pullovers, beim Studieren der Seekarte oder Erkunden des Bedienens des Sextanten, beim nächtlichen Lesen mit Stirnlampe. Merkwürdig, was ein Mensch auf dem Weg zum Tod noch für Aktivitäten entwickelt, wie er in Tüten und Verpackungen herumnestelt und Dinge herauspuhlt oder Wasser auspumpt oder ausschöpft oder gar ganz vorsichtig einen Gefühlsausbruch probt oder zu angeln versucht (den kleinen Fang schnappt ihm ein Fisch weg, oh weh) oder beim Abschießen von Signalraketen.

Eine gar nicht so tragische Tragödie am Rande der Welthandelswege. Gelegentlich musikalisch untermalt von Hörnern, wie sie in den Bergen Tibets geblasen werden mögen und einen Hauch von Ewigkeit vermitteln.

Dazwischen schöne Unterwasserbilder von der Rettungsinsel und darunter in Echoform ein Fischschwarm oder sogar ein Schwarm kleiner Orkas. Und ein Requisit wie für die Kreuzfahrt: ein wunderschöner Strohhut, der diverse Unfälle und Havarien überlebt.

Containerschiff von der Maersk-Line, das vorbeifährt und im Abspann, wenn das mal keine Höflichkeit ist, wird sogar die ganze Mannschaft, die nicht zu sehen ist, namentlich erwähnt.
Nie aber wirkt der Film bedrohlich. Soll denn das absehbare Ende etwas Bedrohliches haben?

Vielleicht einer der großartigsten Vermächtnisfilme. Es gibt nichts zu vermachen.

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