Biancanieves

Ein besonderer Hochgenuss dürfte dieser Film für Kenner und Liebhaber von Stummfilm-Meisterregisseuren wie Murnau, Pabst, Dreyer, Abel Gance sein, denen Pablo Berger mit diesem Film einerseits ein Denkmal, eine Hommage setzen möchte, die er aber mit diesem Film mit ihren speziellen Kinofertigkeiten, wie mittels einer Lektion über das Filmemachen der Vergessenheit entreißen will.

Schwarz-Weiß und stumm, aber mit einer zart orchestrierten Musik drüber. Berger hat lange vor Michel Hazanavicius an „The Artist“ mit seinem Film begonnen; hatte aber sehr lange Vorarbeiten und just im Moment, wo „The Artist“ in Cannes seine triumphale Geburt erlebte, stand Berger vorm Beginn seiner Dreharbeiten. Nicht dass es jetzt heißt, er sei ein Nachahmer. Ihn fasziniert diese gründliche Art des Filmemachens, des ganz genau Überlegens, was er erzählt, wie jemand darauf reagiert, was wichtig ist. Die Schauspieler sprechen ganz normal bei dem wenigen Text, den sie haben. Meist wird er in schöner Stummfilmmanier auf Tafeln eingeblendet.

Berger hat sich das Schneewittchen der Gebrüder Grimm vorgenommen und es nach Sevilla verlegt. Es ist die Tochter eines berühmten Toreros. Allein wie Berger das Stadion filmt, wie die Menschen hineinströmen; er nimmt es aus der Zeit heraus, stellt es in einen fotogen abstrakten Raum.

Sehr schnell kommt das erste Unglück in die Geschichte. Ihr Vater nämlich, der in einem Durchgang 6 Stiere hintereinander bekämpft, steht kurz vorm Triumph, vorm sechsten Stier. Er steht frontal zu ihm. Ein Fotograf, der schon beim Einzug ins Stadion sich ungebührlich in den Weg gestellt hat, setzt auf die Szene an. Sein Blitzlicht blendet im entscheidenden Moment den Stierkämpfer, dieser verliert seinen Gegner aus den Augen und wird überrannt, führt ab da ein Leben in unermesslichem Reichtum aber behindert. Seine Frau stirbt bei der Geburt von Carmen. Das böse Weib Encarna bemächtigt sich des reichen Mannes und will vom Stiefkind nichts wissen, will es vom Vater fern halten. Wie es doch mit Huhn im Koffer in die Finca geholt wird, heißt es, der zweite Stock (da wohnt der Papa) sei tabu.

Das Beeindruckende an dieser Art Film zu machen ist, dass das Vergnügen am Schauen fast noch zunimmt, wenn man vorher gelesen hat, was sich genau abspielen wird. Weil alles so wohlüberlegt inszeniert ist. Auch die Ähnlichkeit der jungen Carmen als Mädchen und der erwachsenen Carmen als junger Frau in einer traumhaft schönen Übergangsszene. Carmen hat den Kontakt zum Vater gefunden und er hat mit ihr vor einem ausgestopften Stier mit der capa geübt, Trockentraining, und so übt sie spielerisch auch bei der einfachen Tätigkeit des Wäscheaufhängens mit Wäschestücken, übt Drehungen und aus einer dieser Drehungen kommt die junge Frau heraus, schöner Zeitsprung-Schnitt.

Die Stiefmutter hält diese hübsche junge Frau nicht mehr aus, denn sie ist mit ihrer eigenen Schönheit beschäftigt und schickt die Stieftochter mit Limousine und Chauffeur weit weg zum Blumen pflücken. Dort soll er sie erwürgen. Was dieser nicht tut.

Schneewittchen landet bei der Wandertruppe „los enanitos toreros“, das sind Zwerge, die Gaudiauftritte als Toreros machen und von Stierkampf zu Stierkampf ziehen. Wie Schneewittchen eine gespielte Nummer, bei der einer der Zwerge einer Schönheit im Publikum eine Blume überreichen will und er vom Stier von hinten angegriffen wird, für echt hält, greift sie ein, bändigt den Stier. Wird als Torera entdeckt. Und so berühmt, dass sie auf die Titelseiten kommt, damit eine geplante Homestory der Stiefmutter rauskickend.

Man könnte jetzt alles weiter erzählen, weil es so schön ist. Zu verraten gibt’s bei einem solchen Märchen, auch wenn es neu umgesetzt ist, nichts. Ich hätte jedenfalls noch lange zuschauen können. Weil es so schön war.
Wie der Zeppelin überm Stadion.

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