Schade, dass die Produzentinnen Sabine de Mardt und Iris Wolfinger wie auch der koproduzierende Südwestrundfunk (Peter Boudgoust, Intendant) als auch die Förderer Film- und Medienstiftung NRW (Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Frauke Gerlach), Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (Carl Bergengruen, alleiniger Geschäftsführer) sowie der Deutsche Filmförderfonds (Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und Medien) nicht darauf bestanden haben, dass für die Drehbucharbeit (Autorin Katharina Kress nach dem Roman von Alina Bronsky) mehr Geld, mehr Zeit, mehr Energie, mehr Gedankenarbeit investiert wurde, so dass die gute Regiearbeit von Bettina Blümner (die sich in der Beobachtung junger Frauen im Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad“ exzellent vorgestellt hat) unterm Strich weitgehend ins Leere läuft.
Immerhin hat der Film eine Hauptperson. Das ist die 17jährige Sascha. Die ist mit der überzeugenden 24-jährigen Nachwuchsschauspielerin Jasna Fritzi Bauer erstklassig besetzt. Laut Drehbuch hat sie auch mindestens einen, wenn nicht mehrere Konflikte. Sascha lebt mit Ersatzmutter und kleinen Geschwistern im Scherbenviertel von Stuttgart, einer anonymen, gesichtslosen Hochhaussiedlung, die von Immigranten jeglicher Couleur dominiert wird.
Sascha selbst ist hochintelligent, bildungshungrig, schlagfertig und natürlich – das gibt eine spätere Szene im Film zu verstehen, wie jeder Mensch, jeder Mann und jede Frau: liebeshungrig, aber das ist nicht das Hauptthema. Denn ihre leibliche Mutter ist von ihrem Stiefvater getötet worden. Das treibt sie um. Mit diesem, ihrem Unglück verschließt sie sich, wehrt sie sich gegen die Anmache der Burschen im Viertel. Sie benutzt dieses Unglück, um wie getrieben durchs Leben zu hetzen, nichts an sich rankommen zu lassen.
Mit den etablierenden Szenen, die diese Ausgangslage schildern, versteht die Regisseurin, den Zuschauer sofort zu gewinnen; denn sie faszinieren durch das genaue Hingucken, was die Regisseurin in ihrem Vorgängerfilm so gut gemacht hat. Ein Ereignis bringt Sascha jetzt erst recht auf Touren. In einer Zeitung liest sie einen Bericht über ihren Stiefvater, der als Mörder im Gefängnis sitzt. Es ist der Bericht einer Journalisten-Praktikantin über diesen mörderischen Stiefvater von Sascha und er trieft nur so von Mitleid für den Täter.
Wutentbrannt macht sich Sascha auf den Weg zum Pressehaus, verlangt nach der Autorin. Merkwürdigerweise, und das scheint mir bereits ein kleiner dramaturgischer Pfusch zu sein – oder die Absicht jetzt die Scherbenviertel-Welt mit der Stuttgarter Intellektuellenwelt zusammenzubringen, war so stark, dass der Weg dahin der Autorin vernachlässigenswert schien – jedenfalls wird die verantwortliche Praktikantin vom zuständigen Chef begleitet, aus heiterem Himmel, es gab vorher keine Szene beispielsweise an der Rezeption, die der Redaktion als Warnung vor der jungen Frau hätte dienen können, so dass diese nicht allein sich mit der beschwerenden Leserin hätte treffen wollen. Wenn an so einem entscheidenden dramaturgischen Scharnier gepfuscht wird, dann holpert alles weitere, dann wird wie hier plötzlich die Stringenz des Charakters der Hauptfigur in Zweifel gezogen, löchrig. Der Dialog der Dreien verläuft nicht so, dass es einen erkennbaren Grund gäbe, dass der Redakteur (der ist mit Ulrich Noethen besetzt und als ein echter Pantoffel charakterisiert, damit steht die Presse in diesem Film nicht gerade gut da) irgendwann im Gespräch die Praktikantin wegschickt, um sich mit Sascha allein weiterzuunterhalten. Auch der Weg dieser Unterhaltung verläuft keinesfalls so, dass es zwingend wäre, dass der Redakteur Sascha seine Visitenkarte gibt mit der Bemerkung, sie solle sich melden, wenn was sei. Ein Scharnier in der Dramaturgie, was keinesfalls zwingend ist und die weitere Handlung ins Schlingern bringt.
Weil der Eindruck entsteht, es gehe der Autorin jetzt vor allem darum, einen erwachsenen, deutschen Intellektuellen, der von seiner Frau geschieden ist, der in einer feinen Villa hoch über Stuttgart mit seinem noch jungfräulichen Sohn Felix lebt, diese beiden generationsunterschiedlichen Männer mit dieser jungen Frau zusammenzubringen, um eine Dreiecksgeschichte zu initiieren, inklusive verkopft ächzender Entjungferungsszene im kleinen Holzhäuschen – die Darsteller müssen Kälte mimen, obwohl der Film bis jetzt so etwas gar nicht erzählt hat – um den Zuschauer mit deutlichem Fingerzeig darauf hinzuweisen, dass Entjungferung kein Meisterstück sein könne.
Durch diese merkwürdige, vom Drehbuch herbeigeworgte Versuchsanordnung verliert die Hauptdarstellerin ihr bisheriges, faszinierendes Need, die Wut auf die öffentliche Mitleidsdarstellung ihres Stiefvaters, den sie am liebsten umbringen würde; sie spielt jetzt, zwar auch grandios, aber wie in einem anderen Film, wie eine andere Rolle diese romantic Melange zwischen altem Redakteurs-Sack und seinem grünen Jungen.
Mit einem Krankenhausaufenthalt von Felix verliert der Film immer mehr seinen Faden und man versteht auch nicht, warum Sascha wieder ins Scherbenviertel zurück geht, warum sie da den Kiosk demoliert und selber verletzt wird, man verliert leider den Faden und steigt aus. Auch weil viele Dialoge verkopft daher kommen und viel zu pädagogisch den Zuschauer belehren wollen, dass auch Immigranten Menschen sind und dass jeder Mensch sich nach Liebe sehnt.
Als weiter verkomplizierendes Thema kommt hinzu, dass Sascha dabei ist, sich als Autorin zu betätigen mit einer Geschichte über ihre Mutter, einer, wie sie schreibt, „hirnlosen, rothaarigen Frau“, die besser auf die Ratschläge ihrer superklugen Tochter gehört hätte.
Redakteure, Gremien und Förderer haben hier wieder jede Menge Talent in die Wüste geschickt. Denn Dynamik und Dramatik der Konflikte der Hauptfigur sind nicht gründlich genug analysiert und nachgezeichnet worden.