Finsterworld

Finsterworld ist die Fantasiewelt von Frauke Finsterwalder, die mit ihrem Lebensgefährten Christian Kracht das Drehbuch geschrieben hat. Bei der Regie allerdings musste er zurücktreten. Sie lebe in Ostafrika. Das gibt ihr vielleicht die nötige Distanz, um ein Märchen über Deutschland mit verschiedenen, in wenigen Momenten einander touchierenden Geschichten zu erfinden.

In hellem Licht erzählen diese Geschichten von Coming-of-Age, vom Altern, von einem Einsiedler, von Polizisten oder Fußpflegern, von Lehrern, Schülern und der Last der Geschichte, vom nicht nur traumhaften Verhältnis der Generationen zu einander.

Da die Autoren ihre Geschichten aus ihrem Bild von Deutschland schöpfen, steht der Film in angenehmem Gegensatz zum vorherrschenden, themenorientierten Studienratskino, das radikal auf den Blick aufs Leben verzichtet.

Hier ist der Blick aufs Leben die Basis für die Geschichten, die aber keinen Realismus verhaftet sind, die sozusagen mit bemerkenswerten Tupfern eines unter vielen möglichen Deutschlandbildern erzeugen.

Da ist der Einsiedler, der mit einer Krähe im Wald lebt. Er beobachtet einmal den Polizisten, wie er sich als Stoffeisbär verkleidet, denn Parties in Tierkostümen sind sein Faible. Der Polizist ist wieder mit zwei anderen Geschichten verbunden. Zum einen ist er der Mann einer Dokumentaristin, Franziska Feldenhoven, die schier wie echt von Sandra Hüller gespielt wird; sie leidet gerade darunter, dass sie einen Mann dokumentiert, der nur langweilig ist – dabei schwebt sie in ihren Träumen in Antonioni-Sphären; das könnte nach dem Leben sein, wenn man manche deutschen Filmemacher über ihre Ideale reden hört und dann schaut, was sie selber herstellen – und in der Küche stapeln sich Berge gelesener oder ungelesener Zeitungen; Sandra Hüller ist einer der schauspielerischen Glanzpunkte; dagegen hat es ihr Mann Tom, Ron Zehrfeld, schwerer, er kommt zwar als guter Schauspieler, weniger aber als Polizist rüber; so nett die Szene ist, die ihn mit einer weiteren brillanten Besetzung zusammenbringt, mit Michael Maertens als Fußpfleger Claude, der Kekse mit einer ganz eigenen Zutat herstellt und den Polizisten mit einer Palette von Fußpflegemitteln zu bestechen versucht.

Claude bringt uns auch mit der Familie Sandberg zusammen, er ist nämlich der Fußpfleger der Oma, der Grand-Old-Dame des deutschen Theaters Margit Carstensen, welcher er die Hornhaut von den Füßen mit einem kleinen Apparätchen wegfeilt. Sonst hat sie allerdings wenig mit ihrer Familie zu tun. Da ist ihr Sohn, Georg, der mit Inga verheiratet ist. Diese wird gespielt von Corinna Harfouch. Und ein bisschen scheint die Besetzung dieses Ehepaares nach einer Äußerung innerhalb des Filmes gemacht zu sein: dass die Alten erstarrt sind („leblos, gefühllos“), hier in Schauspielroutine, die zu leicht lächelt oder schimpft, die alles parat hat, sich nichts erkämpfen muss. Im Gegensatz zur Jugend, ihr Sohn Maximilian beispielsweise oder seine Schulkameraden, die von der Regisseurin wunderbar geführt werden, während sie die Stars in ihren Routinen vorführt.

Die Schulklasse ist gerade auf Klassenfahrt zu einem KZ mit Lehrer Nickel, überzeugend dargestellt von Christoph Bach („Mein Gott, ist die deutsche Sprache schön“). Und es ist nicht immer leicht, für so eine Besichtigung den nötigen Ernst aufzubringen, besonders wenn noch Liebeskonflikte und Eifersucht ins Spiel kommen.

Ausgehend von Material, was die Realität liefert, anfangen Geschichten zu erzählen, ohne Realitätsanspruch, gelegentlich, wie hier, sogar mit eher literarischen Ambitionen in den Dialogen ohne Rücksicht auf Realitätsnähe, darin könnte doch noch viel Zukunft fürs deutsche Kino liegen, vielleicht eine Chance, sich aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit im bequemen Subventionswesen zu befreien; einige der schauspielerischen Leistungen lassen eindeutig darauf hinweisen; weil nämlich die Figuren, in aller Erfundenheit, eben etwas mit bundesrepublikanischer Realität und nicht mit weltfremden Studienrats- und Filmförderhirnen zu tun haben.

Detail: eine Ansicht der Radkappe einer deutschen Leih-Limousine eines deutschen Premium-Herstellers, in der Herr und Frau Sandberg unterwegs nach Paris sind: eine kleines Logo in der Mitte wirkt bei schneller Umdrehung wie ein Hakenkreuz. It’s still here.

5 Gedanken zu „Finsterworld“

  1. Hammerbackgroundstory
    Hatte Neuperlach nicht auch mal den Ruch einer „Finsterworld“?
    Jedenfalls ist Ihre Backgroundstory wie ein Beweis der Finsterworld-Sicht auf Deutschland – das ist der Hammer!
    Den Hinweis auf die Website erwidere ich gerne, in Neuperlach.org kann man sich stadtgeschichtlich vertiefen in die spannende Geschichte und Gegenwart dieses oft links liegen gelassenen Münchner Stadtteils mit aus dem Boden gestampfter Satellitenstadt – und kann sogar überraschende Hintergrundgeschichten von Filmdrehs finden. Gab es da nicht mal das TiK, das Theater in der Kreide, was im Nachklang der 68er versucht hat, geistige Auseinandersetzung nach Neuperlach zu bringen?

  2. Ja, richtig, es gab das TiK. Ich war dort auch als Zuschauer dabei. Es war das etwas andere Theater. Es gab keinen Zuschauerraum, sondern es standen einfach in einem nach meiner Erinnerung verwinkelten Kellerraum einzelne Stühle herum. Der Zuschauer saß dadurch mitten im Geschehen, die Schauspieler spielten direkt vor den Zuschauern in einer unheimlichen Nähe. Leider habe ich fast keine weiteren Infos, nur dass das TiK im Januar 1976 öffnete – und zwar im Ärztehaus im Marx-Zentrum, das neben den Ärzten auch eine Bankfiliale und ein Sportgeschäft beherbergte.
    Das Ärztehaus ist hier zu sehen (Foto von 2017), links unten war der Eingang zum TiK (wo jetzt ein schwarzes Schild mit blauer Schrift zu sehen ist). Heute hat das Ärztehaus einen stärker medizinischen Charakter als damals, da die Bankfiliale und das Sportgeschäft durch eine Apotheke ersetzt wurden.
    http://www.bilder-hochladen.net/show/b99388458f

  3. Es scheint also, als seien diese Theater, die in Neuperlach gewesen sind, nie dort gewesen, als hätten sie keine Spuren hinterlassen – das ist ja auch ein Phänomen; deren Namen waren wohl auf Wasser geschrieben.

  4. Irgendwie war ein letzter Kommentar verstümmelt, keine Ahnung, ob ich da vor dem Absenden versehentlich noch ein paar Zeilen gelöscht hatte. Ist aber jetzt repariert!

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