00 Schneider – Im Wendekreis der Eidechse

Helge Schneider verzaubert uns mit einer Zeitreise in ein skurriles, unzeitgemäßes Land der Phantasie, in das rundum runde und in sich stimmige „Universum Schneiderium“, wie ich es nennen würde, welches musikalisch ein sensibles Gitarrenuniversum ist, in eine Zeit, in der es merkwürdigerweise schon den Euro gibt, aber das Autotraumschiff das der 70er ist, der weichgefederte damenhaft-majestätische Citroen als Ausdruck von Kultur, in eine Zeit, in der an einer einsamen Kreuzung unter einer vernachlässigten Bahnunterführung ein Flic von einer Kanzel herab den Verkehr regelt, einzig aus dem Grund, dass unser Protagonist, der Kommissar 00 Schneider, der seinem langen, braunen Ledermantel und die schwarzen, kurzen Stiefelchen nie auszieht, ungehindert über die praktisch verkehrslose Kreuzung zu seinen Einsätzen brausen kann.

Diese Kreuzung wiederum steht in einer Stadt, die einmal kurz Mühlhausen genannt wird, in der es eine „Friedrich-Ebert-Straße“ und einen „Fußweg“ gibt und eine „Police“; in der deutsch, englisch, italienisch und auch Kauderwelsch geredet wird, in der es einen spanischen Stadtteil gibt, in der das Meer so nah ist wie hohe, felsige, schneebedeckten Berge (über die der Weg zum Kauf einer Waschmaschine führt).

In dieser Stadt ist Willy Ketzer, der Staubsaugervertreter, eine Gefahr und seine schwarze Taxifahrerin ist eine Scatterin, während Ruben, das Kind mit der tiefen Stimme Banken überfällt, da er als minderjährig nicht belangt werden kann. In dieser Stadt, die vollkommen aus unserer Zeit gefallen scheint, treibt ein Bösewicht sein Unwesen, Rocko Schamon ist Jean-Claude Pillemann, genannt „die Eidechse“, der bespuckt sein Gegenüber nicht nur mit einer ekligen, gelben Brühe, nein, der hinterlässt auch einen fetten Fußabdruck (nicht zu verwechseln mit dem Fußabdruck, den ein User im Netz hinterlässt; von so etwas ist unser Schneider-Universum weit entfernt). Zur Interpretation dieses Fußabdrucks wird der Psychiater aufgesucht, Dr. Walther Henry, eine weitere Schneider-Figur und Schneider gibt auch den Zahnarzt Dr. Fracklefuß, der einer blonden, rotrockigen Patientin in einer verwegen akrobatischen Aktion nicht nur einen Zahn ziehen will.

In diesem Schneideruniversum, das vielleicht ein Arno-Schmidt-Universum fürs Volk sein könnte, gibt es nur wenige Frauen. Oder Männer spielen, wie ehedem beim guten alten Shakespeare, die Frauen. Zum Beispiel die Kioskbesitzerin, bei der der Lottoschein abgegeben und gegebenenfalls sogar die im Lotto gewonnenen Millionen in Bar abgeholt werden können, wenn denn der Schein die Wäsche überlebt. Wie Tante Tyree es tut, sie ist die mit dem Außen-BH aus Kokosschalen-Hälften oder die Damen im Ball der Einsamen Herzen, wie es ihn vor Urzeiten und zwar mit Tischtelefon gegeben hat.

Unsere Alltagslogik, vor allem unser ökonomisches Denken, der Glaube an den Wettbewerb, der alles heilt, die werden hier hart auf den Prüfstand gestellt. Als ob Helge Schneider als ein alter Shakespeare seinem Publikum sagen möchte, es gebe mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich vorstellen kann.

Auch wenn Helge Schneider vieles selber macht, von Buch über Regie und verschiedene Rollen, so war er sich ganz zu seinem Vorteil nicht zu schön, sich beim Drehbuch der Mitarbeit anderer zu versichern, von Andrea Schumacher und auch Peter York und Bodo Österling. Den Cast auszuwählen muss er ein Geheimrezept haben, jedenfalls hebt er sich wohltuend vom häufig vorgeblich professionell ausgewählten Cast der üblichen deutschen Filmsubventionsprodukte ab, was selbstverständlich auch an der Regie von Helge Schneider liegt. Der auch sensibel die Bildwelt begleitende Musik gemacht hat.

Schön ist auch, wenn 00 Schneider seine eigen Aktion beschreibt, wie einen Sachvorgang „ich kombiniere“. Ich jedenfalls kombiniere: hier hat einer ohne jedes Schielen auf Publikum, ohne jeden Kotau vor Filmförderung oder Fernsehen, sich in seiner Filmwelt einzurichten versucht, wobei die Szene unter Palmen zeigt, wie schwer es doch sein kann, auf einer Bank an der Meer-Promenade bei Mühlhausen bequem ins Sitzen zu kommen. Tati auf deutsch verspleent.

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