Der Zuschauer wird von Scott McGehee und David Siegle, die für ihre Regie ein Buch von Nancy Doyne und Carroll Cartwright zur Grundlage hatten, wie ein Kind durch die Scheidungsmangel genommen.
Um Unzuverlässigkeit geht es hier, besser noch, um den Verlass auf die Unzuverlässigkeit. Denn mit großer Verlässlichkeit haben die Eltern und dann die neuen Partner und die Ersatzeltern keine Zeit für Maisie, das Mädchen das schon Lesen und Schreiben kann und das hier die Hauptrolle spielt, aus deren Sicht ein Stück ihrer Lebensgeschichte entsprechend zwischen Tür und Angel erzählt wird.
Diese subjektive Sicht ist so konsequent durchgezogen, dass sich der Zuschauer wie mitgenommen fühlt auf einem Förderband von einem Eltern- und Ersatzelternteil zum nächsten. Ein längeres Bleiben ist nirgends. Die Familienverhältnisse sind kaputt. Aber sie werden nicht auf kaputt hin inszeniert und dargestellt.
Die biologischen Eltern haben schlicht zu wenig Zeit. Mutter ist Sängerin und muss wieder auf Tournee mit ihrem superkomfortablen Tourneebus, der Vater ist geschäftlich absorbiert, muss mal nach Italien oder England, weil er dort mehr berufliche Chancen sieht als in New York. Hier spielt dieser Film in einem Milieu von gutem Lebensstandard, Hochhaus mit Portier. Auch der wird sich der kleinen Maisie annehmen und sie darf ihm dabei helfen, Briefe in die Briefkästen zu stecken.
Vater und Mutter leben getrennt. Vater ist mit dem Kindermädchen Margo ausgezogen. Mutter hat den Schweden Alexander Skarsgard, der hier Lincoln heißt. Aber auch er hat nicht immer Zeit. Er jobbt in einer Bar in Chinatown. Es gibt zwar genaue Fahrpläne, wann Maisie beim wem ist. Aber die Unzuverlässigkeit allerorten lässt ein übers andere Mal passieren, dass Notlösungen her müssen.
Einmal bringt Margo, das blonde Kindermädchen, mit der der Vater inzwischen zusammen ist, Maisie zu jener Bar, in der er angeblich arbeitet, sie schaut noch, wie das Mädchen die schwere Tür aufzieht und verschwindet. Aber kein Lincoln weit und breit. Kolleginnen kümmern sich um das Mädchen. Es ist Abend. Lincoln und auch Margo sind nicht mehr aufzutreiben. Verlassenheit eines Kindes.
Einmal spaziert die neu sich abzeichnende Familie aus Lincoln, Margo und Maisie durch die Stadt. Unerwarteterweise kommt die leibliche Mutter mit einem fremden Macker entgegen. Die Mutter entsetzt sich, reißt das Mädchen an sich, motzt hupende Autofahrer an, hier sei eine Mutter mit ihrem Kind. Hochdramatisch. Hier wird der Zuschauer eingetaucht, Widerstand zwecklos, in diese Wechselbäder der Beziehungen, oft wird Maisie auch Zeugin heftiger verbaler Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Partnern.
99 Aufmerksamkeit fordernde und entschädigende Minuten, die zum Nachdenken anregen. Auch über das Engagement von Kindern im Film. Die sind immer so süß im Kino. Oft aber werden sie schon von ihren Eltern hochgezüchtet und natürlich machen sie alles fantastisch, fast zu perfekt, die traurigen Blicke, die nachdenklichen Blicke, die Begeisterung in der Endphase des Filmes, wo das Mädchen mit Margo und Lincoln ans Meer fahren wird und sie Boot fahren. Dort hört der Film auf nach dem Motto, man muss aufhören, wenn es am schönsten ist.
Das soll das Nachdenken nicht mindern. Die späten Schäden einer Kindheit ohne konstante, menschliche Verlässlichkeit, das kann auch eine keine Schildkröte aus der Zoohandlung wettmachen. Und wie so ein Kinderstartum sich auf einen späteres Erwachsenentum auswirkt, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit.
Kino, was viele der Kinomöglichkeiten gut nutzt, dem Zuschauer ein Erlebnis verschafft, das er anders wohl kaum haben könnte. Im Moment, also kurzfristig, können Kinder gut wegstecken, das zeigt das letzte Kapitel. Fließband des Elternwechsels.
Avy Kaufman hat einen Cast zusammengestellt, bei dem außer Frage steht, dass alle Figuren Individualisten, Solisten sind, dass das Scheitern von Beziehungen durch diese Personenkonstellation schicksalshaft zwingend erscheint. Was will sie uns damit erzählen? Dass so ein Scheidungskinderleben bei gewissen Konstellationen unumgänglich ist? Eine Typengeschichte auch. Das wird vom Buch her unterstützt. Es sind die Zwänge des Gelderwerbes, der Job, der die Elternteile davon abhält, einmal zu sich zu kommen, das Kind als mehr als nur einen Besitz zu betrachten. Fließband und Zwänge von job- und karrierebedingten Alltagssituationen, unter deren Räder die Kinder kommen können.