Das Nach-Obama-Amerika muss sich sehr geändert haben. Konnte Obama noch kaum eine Gesetzgebung zur Erschwerung von Waffenbesitz durchsetzen und sind also die Zahlen der Tötungsdelikte in den USA weiterhin hoch geblieben, so muss es nach Obama eine Gruppe von „neuen Gründungsvätern“ geschafft haben, Amerika neu zu erfinden, so radikal, dass die Zahl der Kapitalverbrechen gegen Null tendierte. Aber das hat seinen Preis: the Purge, Ramadama der Kapitalverbrechen.
Wir schreiben das Jahr 2022, also nicht allzu ferne Zukunft. In diese hinein verlegt unser Autor und Regisseur James DeMonaco seine Geschichte. Einmal im Jahr gibt es jetzt in diesem neuen Amerika eine Nacht, es ist der 21. März, genau zwölf Stunden lang, die wird der Purge genannt. Dieses Wort hört sich nicht zufällig ähnlich wie Purgatorium an; denn der Begriff weist auf ein reinigendes Fegefeuer hin. Und nach dieser Nacht darf Amerika wieder ein Jahr lang in einem verbrechensfreies Paradies leben.
In dieser Nacht nun, das erinnert an archaische Gebräuche von rituellen Menschenopfern, aber da wir in Amerika sind, wird es nicht sehr rituell zu und her gehen, im Purge also dürfen die Menschen ungestraft all jene Menschen umbringen, egal wie, ob mit Machete oder mit Feuerwaffe, die sie gerne umbringen würden. Ein reinigendes Töten gewissermassen, dem die Gründungsväter dieses modernen Amerika die Absolution erteilt erhalten haben; Morde, die alle nicht gesühnt werden.
Unser Hauptinteresse gilt der Familie Sandin, Mutter, Vater, eine fast erwachsene Tochter und ein etwas jüngerer Sohn. Wir erleben die 62 Minuten vor Beginn des Purges und den Purge selber. Das sind also 12 Stunden und 62 Minuten, die James DeMonaco zu einem Sperrfeuer an dicht inszenierten und montierten Bildern von 85 Minuten Film zusammengedampft hat, die wie im Fluge vergehen, als ob sie bloss eine Viertelstunde dauerten. Raffinierte Close-ups, Unschärfen, Halbdunkel, schnelle Dialoge, wo keiner wartet, bis der andere ausgeredet hat, und dazu ein fantastischer Thriller-Aufguss an Musik-Score machen den Film so heftig. Dabei kann die Figurzeichnung ruhig sehr glatt bleiben, muss es wohl sogar, bis hin zu lachenden Larvengesichtern. Es geht hier nicht um Individualität. Darum geht es bei Archaischem nie.
James, der Vater, Ethan Hawke, ist erfolgreicher Verkäufer von Sicherheitsanlagen, ist damit so reich geworden, dass er für seine vierköpfige Familie ein Einfamilienhaus mehr Palazzo als Villa erbauen konnte, was eine Nachbarin anfangs auch anmerkt. Denn alle Leute wollen für den Purge bestmöglich vor Angreifern gesichert sein und investieren in aufwändige Überwachungs- und Sicherheitssysteme. Bei Sandins sieht es so aus, dass eine automatische Anlage stahlharte Platten vor Fenstern und Türen runterlässt. Im Inneren des Hauses gibt es einen nüchternen Kommandosalon mit großflächigen Bildschirmen, die die Umgebung des Anwesens im Videoauge behalten und ihr spezielles Bildmaterial zur Erhöhung von Spannung und Horrorspaß beitragen.
Aber wie es so ist mit Sicherheitsanlagen, ihr größter Schwachpunkt ist und bleibt der Mensch. Und wo sich ein Knopf zum Drücken findet, da findet sich auch ein Mensch, der einen Grund findet, diesen Knopf zur Unzeit zu drücken, die ganze Sicherheit löchrig machend. Das hat hier zur Folge, dass sich zur Zeit des hochgefährlichen Purges plötzlich mehr als nur die vier Köpfe der Familie im Haus befinden.
Ein weiteres nettes Apercu der Ausstattung ist ein kleiner Roboter, ein Halbmensch, der auf einem Panzerwägelchen aufgebaut ist mit einer Kamera statt Augen und der vom Sohnemann Charlie ferngesteuert werden kann.
Allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz wird es zu vielen, heftigen Horrorszenen in und ums Haus und selbstverständlich mit Verlusten, soviel darf verraten werden, kommen, aber nach 12 Stunden ist alles aus. Es gibt ein starkes Signalhorn, auch recht archaisch, das die blutige Übung abbläst und wer überlebt hat, der darf dem kommen Jahr gelassen entgegensehen bis zum nächsten Frühjahrsputz.
Dem Zuschauer dürfte das Gefühl vermittelt worden sein, zu den Überlebenden zu gehören. Er wird das Kino befreit und erleichtert und teils amüsiert über diese archaisch-kathartische Idee, die James DeMonaco so fabelhaft auf die Leinwand gefetzt hat, verlassen. Frage, was wäre, und wäre es nicht vielleicht der noch dramatischere Thriller, wenn statt des Purges, es in Amerika 12 Stunden gäbe, in denen kein Mensch eine Waffe berühren darf? Würde da nicht der totale Psychozusammenbruch Amerikas stattfinden? Was täte Hollywood, wenn es künftig keine Filme mehr mit Schießereien machen dürfte?
Lassen Sie Ihre innere Bestie frei, befreien Sie sich von Hass und Aggression, hinterlassen sie eine Spur von Leichen und genießen Sie die nächsten 364 Tage.