Verliebte Feinde

Die Entwicklung zur politischen Gleichberechtigung der Frau in der Schweiz war ein langer, zäher und vor allem ein später Weg. Eine maßgebliche Wegbereiterin für das Stimmrecht der Frau war Iris Meyer, eine freigeistig Intellektuelle, auch Doktor und Autorin. Sie lebte in einer freizügigen Ehe mit Peter von Roten. Der stammte aus dem stockkonservativen, katholischen Wallis, während Meyer dem Schweizer Protestantismus entsprang.

Mit ihrem Buch „Frauen im Laufstall“, das 1958 veröffentlich wurde, ließ sie die Wogen von Diskussion, Denunziation, Verspottung in der Schweiz hoch wallen, konnte aber vorerst keinen entscheidenden Beitrag zur Volksabstimmung über das Frauenstimmrecht leisten; denn das hatten allein die Männer unter sich auszumarchen; die aber lehnten noch in den frühen Sechzigern die politische Mitsprache der Frauen ab.

In diesem Film von Werner Schweizer, zu dem Wilfried Meichtry das Drehbuch geschrieben hat, geht es nun sachthematisch bezogen und ohne jeden Anspruch auf cineastische Brillanz eher im Sinne eine didaktisch sorgfältigen Mixes aus Archivfootage, Fotos, Nachrichten, privaten Filmen, Interviews mit Bekannten und Verwandten und nachgestellten Spielszenen darum, einen Eindruck und einen Einblick zu geben in diese nicht unproblematische Ehe-Beziehung und die ausufernden intellektuellen Auseinandersetzungen der beiden, wobei das Recht auf Freiheit, politische Beteiligung und Sex der Frau eine wesentliche Rolle spielten; es sollen über 1300 Briefe gewesen sein.

Anfangs werden gemütlich und ohne auf die Idee zu kommen irgend einen dramaturgischen Spannungsbogen festzuzurren, fast behaglich, behäbig die Figuren exponiert. Wie das Paar sich kennenlernt. Wie er ihr im wörtlichen Sinne nachsteigt. In den 1940ern in Bern. Wie er als guter Katholik keinen Sex vor der Ehe will. Es gibt Einblicke in die Häuser ihrer Herkunft, den patrizisch anmutenden Palast derer von Roten im bergigen Wallis und die bürgerlicher Villa der protestantischen Meyers in Rapperswil.

Iris Meyer lässt sich aus Hunger nach Sex auf die Heirat mit von Roten ein. Die Hochzeitsnacht empfindet sie als ernüchternd. Das fügt jedoch dem Gedankenprozess, dem Auseinandersetzungsprozess zusätzliche Dynamik bei. Bald schon verlässt sie von Roten, um nach nach Amerika zu reisen. Dabei lernen wir sie kennen. Wie sie das Schiff besteigt und sich Freiheit erhofft. Was nicht der Fall sein wird, aber in ausgiebigem Briefwechsel zur Sprache kommt. Welche Liebeserlebnisse und welche Liebesenttäuschungen sie dort erlebt.

Ihr Ehemann, der steife, konservative Walliser lässt sich dadurch animiert auf Verhältnisse mit anderen Frauen ein und scheint diese am Ende viel lockerer und womöglich lustvoller zu genießen. Dabei träumt er interessanterweise von der alle Gedanken verdrängenden Wiedereinführung der lateinischen Messe.

In den frühen Fünfziger Jahren kehrt Iris Meyer zu von Roten zurück. Ihr Buch ist schon weit gediehen. Ein Kind wird geboren. Eine Tochter, die aber oft woanders aufwächst. Iris Meyer gehen die intellektuellen Auseinandersetzungen vor. Später zieht es sie in den Nahen Osten. Allein mit einem weißen Fiat 600 fährt sie los. Die männliche Bevölkerung ganzer Dörfer umrahmt sie neugierig. Sie besucht Iran, will in den Irak. Sie fängt das Malen an. Während ihr Mann, der eine Zeit lang im Nationalrat war, später Glossen schreibt, sich zum langhaarigen Hippie entwickelt. Iris jedoch scheint nie richtig glücklich gewesen zu sein. Sie setzt ihrem Leben planvoll ein Ende.

Die Werbung des Filmes behauptet, es handle sich um die Schweizer Variante der Beziehung von Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir. Wer das erwartet, wird enttäuscht sein. Iris und Peter sind ganz eigene, unvergleichliche Gewächs. Sie sind schweizerisch und trotzdem intellektuell und emotional, aber irgendwie überhaupt nicht gesichert, auch nicht verspießert, aber genau so wenig internationale Weltbürger. Das Schweizerische, als etwas Kleines, was aber nichts unterdrücken will, was auch nicht aufschneiden will, bleibt stets erhalten. Ein Geistiges, was sich nicht unbedingt an den Weltströmungen orientiert. Was tun will, was es für richtig hält.

Das einzige Kind aus dieser Beziehung, Tochter Hortensia, kommt zur Wort.

Dr. Kinsey, der amerikanische Zoologe und Sexualforscher himself ist in einer Fernsehsendung zu sehen. Er war berühmt für den Report seines Namens, in welchem er das menschliche Sexualverhalten untersucht hat.

Behutsame, langsame, bedächtige Exposition und Behandlung des Themas mit prima ausgewählten und ihrem Vorbildern gemäß zurecht gemachten Darstellern. Die Stärke des Darsteller-Ensembles dürfte die gemeinsame Hingabe an die Sache sein und auch das stillschweigende Verständnis, dass hier keiner ein Vorbild kopieren oder einen Kollegen an die Wand spielen will.

Ein unterhaltsamer, didaktisch sorgfältig aufbereiteter Einblick in ein Stück jüngerer Schweizer Kulturgeschichte als einer der Vorgeschichten zur späten Einführung des Frauenstimmrechtes. Ein Kino, was vielleicht mit der sorgfältig auf Haltbarkeit und Behaglichkeit eingerichteten Patrizierwohnung zu vergleichen ist, wie sie bei den von Rotens zuhause im Wallis zu sehen ist.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert