Handwerkerkino ohne Flair, was drehpensumfixiert die Spekulation auf den Erfolg der Verfilmung eines Bestsellers umsetzt.
Zwischen zwei Sylvesterfeiern und fast zwei Stunden lang breitet Marc Rothemund die Geschichte von der Diagnose RMS, Rhabdomysarkom, einer seltenen, aggressiven Krebsart, von der Chemo- und Strahlentherapie bis zu Heilung von Sophie, 21, vor uns aus.
Ein Tumorfilm also, der den Tumor und den Umgang mit demselben zum Thema macht. Und insofern glaubt, ohne Charakterisierung der Figuren auskommen zu können. So lächeln denn die von Stefany Pohlmann und Heta Mantscheff mit Rollen beglückten Lehrbuchschauspieler oft oder geben sich Mühe Gefühle der Hoffnung, des Trostes, der Angst, der Fassungslosigkeit, des Schreckens oder auch des Glückes zu spielen.
Denn Kinospannung erzeugende Konflikte oder konflikthafte Charakterisierung der Figuren sind im Drehbuch von Katharina Essen, die den autobiographischen Bestseller von Sophie van der Stap zur Bearbeitung übernommen hat, nicht vorgesehen. So viel Zeit gibt vermutlich das Drehbuchhonorar nicht her. Für das Kino ist das nicht unbedingt ein Vorteil. Aber Marc Rothemund, der routinierte Regisseur, zimmert aus diesen Vorgaben im Rahmen des vorgegebenen Drehpensums ein solides Filmstück zumindest zum einmaligen Gebrauch für Themeninteressierte oder Themenbetroffene jedoch eher fürs Fernsehen geeignet denn fürs Kino.
Ein Mutmacherfilm, ein Lebenshilfefilm: sich nicht vom Krebs unterkriegen lassen, das ist die Moral, die uns Sophie lehrt. Sie zum Beispiel, daher der Titel des Filmes, geht kreativ mit der Glatze als einer Folge der Chemotherapie um. Sie kauft sich mit ihrer Freundin eine ganze Menge Perücken. Die werden im Filme vornehmlich verbal charakterisiert durch Typisierungen. Den richtigen Reiz, den sinnlichen Reiz, den kinematographischen Reiz der verschiedenen Perücken holt Regisseur Marc Rothemund nicht raus. Da wird viel Zauber verschenkt. Oder auch bösartiger Sarkasmus oder Ironie. Der Film ist weitgehend humorfrei und auch ohne jede zweite Deutungsebene. Wie ein ordentliches Sachbuch. Der rundliche Pfleger im Universitäts-Klinikum Hamburg-Eppendorf, der singt und tanzt mit dem Personal. Zur Auflockerung.
Die Hauptrolle der Sophie wurde mit einer Darstellerin besetzt, die durchaus auffällt durch die großen, kalten Augen, die hohe Stirn und die Haltung, die vielleicht interpretiert werden könnte als „den Saftladen mische ich noch lange auf“, der die Regie aber wohl nicht allzu viel Gefühlsmimik zutraut und also all die wichtigen Momente, besonders vor den Untersuchungen und bei Bekanntgabe von Ergebnissen ihr Gesicht reglos liess und dafür die Stimmung mit Musikuntermalung oder Wummen indizierte.
Ein Lebenshilfefilm auch insofern, als Sophie anfängt, einen Blog über den Fortgang ihrer Krankheit und ihrer Behandlung zu führen. Die eigene Lage schreibend sich bewusst machen als Mittel zur Bewältigung.
Ein Drehpensumfilm insofern, als Rothemund vollkommen darauf verzichtet, den filmischen Reiz der verschiedenen Perücken kinematographisch auszukosten. Desgleichen beim Tagebuch. Es wird sinnlich nicht nachvollziehbar, dass es Sophie eine Überwindung kostet, das zu schreiben. Dass ihr durch das Schreiben erst Dinge bewusst werden. Nachdem ihr Freund den Blog eingerichtet hat, bedient sie diesen sogleich, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
Dasselbe gilt auch für die Darstellerin der Sophie, die egal welche Perücke sie trägt, immer den gleichen Typen spielt; da ist kein Unterschied, sie scheint unsensibel gegen die Haartracht. Ein großes Manko in einem Kinofilm, wo das doch das Titelthema ist. Und das Kino könnte das gerade im Gegensatz zu einem Buch, ganz besonders reizvoll behandeln. Aber das hieße, aus der TV-Routine ausbrechen und auch riskieren, das Drehpensum zu überschreiten.
Es heißt, eine Hauptfigur soll in einem Film eine Entwicklung durchmachen. Das ist hier schon von der Exposition her unmöglich. Denn Sophie ist ein nicht weiter charakterisierter Mensch, finanziell wohl unabhängig, denn nach dem Sylvester mit ihrer Freundin in Belgien sucht sie in Hamburg eine Studentenwohnung, sehr geräumig und der Vermieter ist sowohl von Besetzung als auch von der Regie als auch von ihrem Handytext über ihn eine lächerliche Figur.
Da Sophie von Anfang an ohne Konflikt charakterisiert ist – sei es Unfähigkeit, Unwissen der Drehbuchautorin oder sei es bewusst, dann aber: wieso? – so ist eine Entwicklung nicht möglich. Da aber die Drehbuchwerkstatt und vielleicht auch der Filmförderer, von denen hier einige mit gefördert haben, solches verlangt, so sagt Sophie am Schluss praktisch wie ein Schallplatte mit einem Sprung zu allem, es sei jetzt „echt“ – Jargon der Eigentlichkeit, um noch einen Hinweis auf die auch nicht besonders glücklich geschriebene, besetzte und inszenierte Heidegger-Lesung an der Uni zurückzukommen. Also auch bei der Substanz des Filmes: es bleibt lediglich Geschwätz, alles sei jetzt echt. Empirisch-sinnlich ist das für den Zuschauer nicht wahrnehmbar gemacht. Die Schauspielerin spielt keinen Deut anders als zu Beginn. Unfähigkeit oder wenn nicht, was soll damit erzählt werden? Will Rothemund damit ironisch sein, gar Veräppelung andeuten oder „echt“ kritisch? Will er Zweifel an den Heilmethoden seiner Protagonistin inszenieren?
Viel Zeit ist auch mit „Hallo“ und Verabschiedungsszenen und „Alles wird gut“ vertan worden, die alle nichts weiter erzählen, als dass offenbar damit Zeit vertan und in dieser Subventionsgeld fließen soll. Holla die Waldfee.
Beim Nachdenken über die merkwürdige Schauspielerei in diesem Film, die mich öfter an Gerichtssendungen oder Aktenzeichen-XY-Szenen erinnerte, ist mir beim Durchschauen der Biographien einiger der Schauspieler aufgefallen, dass die alle relativ bindungslos sind; dass nur wenige und dann höchstens nur in einem Fall mehr als einmal mit einem bestimmten Regisseur zusammengearbeitet haben; was für die filmschauspielerische Entwicklung nicht gerade ein Vorteil ist. Gerade bei großen Stars war es doch oft so, dass die kontinuierliche Arbeit mit einem Leib- und Magenregisseur (oder auch mit mehreren) diese Größe überhaupt erst möglich gemacht hat. Die Schauspieler hier kommen mir in dieser Beziehung vor wie Waisenkinder. Allein mit sich und dem, was sie sich an Workshops und Schulen von selbsternannten Gurus haben teuer vormachen lassen. Ob die Caster also aus Mitleid gehandelt haben, wer weiß.
Das soll wohl witzig sein. Wie der Pfleger eine Infusion setzt, ist Sophie misstrauisch. Er gewinnt ihr Vertrauen dadurch, dass er auf das von ihm selbst an seiner eigenen Schulter und Oberarm gestochene Tattoo verweist. So sehen an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf vertrauensbildende Legitimationsverfahren aus.
Wahrscheinlich wäre ein Film über die Kaninchenzucht, bei dem Marc Rothemund Regie führen würde, kein bisschen spannender oder langweiliger, als der Film hier.
Wenn Sophie mit schicker Perücke im Flur, eine Art Szenen, die Rothemund ganz locker und bewegt hinkriegt, einer anderen Chemopatientin mit weit weniger schöner Perücke begegnet, so spielt Rothemund auf den Neidfaktor an, aber gerade nicht auf das Thema das Filmes, dass die Mannigfaltigkeit und der Spaß an der Perücke zum heilenden Faktor geworden ist. Und doch nicht, dass die Leute neidisch seien. Oder will Rothemund uns das erzählen, wer es schaffe mit einer Perücke den Neid anderer auf sich zu ziehen, der habe bessere Heilungs-Chancen; beneidet werden ist geil als Moral?
Es scheint sowieso so zu sein, dass in der Vorbereitung zu diesem Film sehr vieles nicht sehr weitgehend bedacht worden ist. Das ist doch geradezu augenfällig, dass Sophie im ersten Drittel eine Heidegger-Vorlesung besucht. Heidegger wieder ist von Adorno kritisiert worden, als derjenige mit dem Jargon der Eigentlichkeit. Am Ende des Filmes bricht Sophie selbst in so einen Jargon aus, indem sie alles „echt“ findet. Es gibt aber keinen Hinweis darauf, mit welcher Haltung die Filmemacher das setzen, ob gläubig oder kritisch. Oder nur naiv? Echt unentschieden. Und somit irrelevant.
Das wäre die ganz große Möglichkeit, die in diesem Film behauptete Veränderung der Hauptfigur sinnlich und emotional nachvollziehbar zu zeigen. Das Kino des Marc Rothemund und der Kati Eyssen verzichtet fahrlässig genau darauf. Beschränkt sich auf die billige Möglichkeit der verbalen, sprich: geschwätzigen, routiniert inszenierten Behauptung.
Unter Verzicht auf den elementaren Kinoreiz des Themas aber unter Einhaltung des Drehpensums hat Marc Rothemund eine Krankheitsgeschichte protokollarisch nüchtern auf die Leinwand gebracht, die so nur ins TV gehört.
Humorlose Tumorgeschichte zwischen zwei Sylvestern, zwischen Antwerpen und Hamburg und mit vielen Perücken drehpensumskorrekt von Marc Rothemund mit Lehrbuchschauspielercast nach konfliktvermeidendem Drehbuch routiniert zusammengezimmert.
Dieses Unkino haben gefördert: FFF Bayern (Geschäftsführer: Prof. Dr. Klaus Schaefer), Filmförderung HAMBURG SCHLESWIG-HOLSTEIN (Geschäftsführerin: Eva Hubert, Vorsitzender des Aufsichtsrates: Dr. Nikolas Hill, Staatsrat der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg), FFA (Vorstand Peter Dinges), BKM (Staatsminister für Kultur und Medien, Bernd Neumann), DFFF (Vorstand Peter Dinges), EURIMAGES (President: Jobst Plog).
Blablablubb…
für „den Grafen“ dürfte gelten: heute bin ich stumm