Ostwind

Mit diesem Film erfüllt Katja von Garnier gewiss nicht nur sich selbst, sondern jeder Menge weiblicher Teenager einen Traum. Den Traum vom Reiten.

Mit Hanna Höppner als Hauptdarstellerin Mika, für die der Traum vom Reiten wahr wird, wird Garniers Traum noch schöner. Wenn Mika mit den signalhaft kupferrot gefärbten Haaren auf dem Rappen mit dem weißen Flecken auf der Stirn und den weißen Haarsträhnen in der Mähne durch das weiche hessische Hügelland reitet, so möchte sich wohl jedes Teeni-Mädel damit identifizieren, ein Gefühl nicht nur von Freiheit, von weg vom engen Zuhause, auch eines von Beherrschung, von Meisterung, etwas zu sein, dem Pferd in Harmonie den Meister zeigen; denn Voraussetzungen für das Reiten sind, das erklärt dem Mädchen Tilo Prückner als Herr Kaan: Balance, Rhythmus und Koordination und dazu auch noch Ausdauer. Das Gleichgewicht zwischen Respekt und Vertrauen muss hergestellt werden. Wenn das keine guten Gefühle im Sattel hervorruft.

Aber nur einer von Tausend Menschen hat den besonderen Draht zum Pferd, ist ein Pferdeflüsterer. Unsere Mika ist das natürlich. Anfangs des Filmes weiß sie es noch nicht. Da träumt sie nicht mal von Pferden. Anfangs des Filmes sieht es für Mika ziemlich beschissen aus. Die Schule ist zu Ende. Sie hat ein schlechtes Zeugnis. Die Sperrung des Sommerurlaubes mit Freundinnen steht bevor. Zu allem Unglück zündet noch eine Freundin ihr Zeugnis an, das schwebt leicht in den Schulhof und direkt ins offene Cabrio eines Lehrers, fackelt die schöne alte Blechkiste ab. Strafe von den knapp und kurz als kalt skizzierten Eltern folgt auf dem Fusse. Sie wird zum Lernurlaub auf das Gestüt der Oma geschickt. Diese Oma ist eine harte Frau, Cornelia Froboess als Herrin auf Gut Kaltenbach, ehemalige Olympiasiegerin und entsprechend strenge Reitlehrerin. Sie bereitet gerade junge Reiterinnen auf das Kaltenbach Classic vor, trimmt ihre Eleven wie Eismütter es tun. Allerdings geht sie an Krücken. Ein wilder Hengst, der nicht zu zähmen ist, ist schuld. Der soll demnächst einem ungarischen Pferdemetzger verkauft werden. Noch steht er da wie bestellt und nicht abgeholt in einer Koje im Stall. Mika lernt bald den wilden Hengst kennen und ist fasziniert. Spiegel ihrer selbst, wild, unbezähmbar wie in der wildesten Pubertät. Einmal kann Mika nicht schlafen, es zieht sie zum Pferd. Mit einem Apfel gewinnt sie erstes Vertrauen. Sie legt sich aufs Stroh beim Pferd, schläft ein. Am anderen morgen wird sie entdeckt. Die Familie ist entsetzt, das Pferd wird betäubt.

Die Familie möchte Mika vom Pferd fernhalten. Das ist ungefähr so, als ob sie einen Menschen von sich selbst fernhalten möchte. Aber ein Teen lässt sich nicht so leicht von einem ungeheuren Ziel abbringen, nämlich zu beweisen, dass es kein unerziehbares Pferd ist, wie die Familie glaubt (ein solches war in dem Film „Buck – der wahre Pferdeflüster“ zu sehen).

Somit ist ein starker Konflikt etabliert zwischen Mika und der menschlichen Umwelt auf dem Reitergut und zwischen Mika und dem Pferd. Dieser Konflikt trüge genügend Potential für einen abendfüllenden Film.

Statt aber diesen Kampf, der auch ein Kampf von Mika mit sich selber sein müsste, genau zu studieren und auszufalten, begnügen sich unsere beiden Autorinnen Kristina Magdalena Henn und Lea Schmidbauer mit einer schnellen und konfliktarmen oder den Konflikt auf die Ebene einer Rührgeschichte reduzierten Analyse. Die Zähmung geht relativ leicht vonstatten. Damit schleicht sich jedoch der dramaturgisch ergiebige Konflikt früh und unauffällig aus dem Film. Das ist nach etwa einer Stunde. Wie jetzt noch Spannungsmaterial beschaffen, um auf abendfüllende Länge zu kommen? Das dürfte die Frage der Autorinnen gewesen sein. Ihre Antwort: die Zähmungsgeschichte wird um eine Attentatsgeschichte angereichert, in deren Folge ein Krimi, eine Love-Story und ein Roadmovie mit Pferd sich hinzugesellen. Dadurch gerät die Architektur des Filmes in eine merkwürdige Schieflage, so dass letztlich doch nur ein Zielgruppenfilm herausgekommen ist, wobei durch die verbleibende halbe Stunde und die Überfrachtung mit Geschichten, diese wiederum nicht über den Zustand von Skizzenhaftigkeit hinauskommen.

Dabei haben die beiden Autorinnen den Konflikt sinnig und mittels zweckdienlicher Dialoge und Szenen exponiert und in Gang gesetzt, die für Sympathie mit der Hauptfigur und durchaus gelegentlich auch für Heiterkeit im Publikum sorgen dürften.

Die Figuren der Erwachsenen vor allem bleiben streichholzartig, bis vielleicht Thilo Prückner als Kaan. Das tut dem Vergnügen, Mika überhaupt und speziell mit dem Pferd zuzusehen nicht den mindesten Abbruch.

Oma: Hände runter, wir sind hier nicht beim Fliegenfischen.

Ostwind heißt das Pferd. Es wird als unberechenbar vorgestellt. Für unberechenbar gilt auch Mika. Die passen also super zusammen. Ostwind ist wie ein Spiegel.

Ihr seid eine Zweierherde und Du bist das Leittier.

2 Gedanken zu „Ostwind“

  1. Zwei Fragen: was zum Geier sind „streichholzartige“ Figuren? Sind die klein und dünn und leicht entflammbar- oder hast du in der Phrasenkiste danebengegriffen und meintest gar „holzschnittartig“? Und zweitens: du klaust deine dramaturgische Bewertung nicht zufällig aus dem Blog von Herrn Zag, oder?

    Nix für ungut.

  2. Danke für das Feedback, Lea.
    Stimmt, der Ausdruck „streichholzartige Figuren“ hätte noch deutlicher ausgeführt werden müssen; wie aus Streichhölzern gelegt; eine Art Strichmännchen, hat nichts mit entflammbar zu tun; dünn sicher; das Skizzenhafte habe ich es an anderer Stelle genannt.
    Wer ist Herr Zag? Finde ich eine leichtfertige Unterstellung, ich würde dramaturgische Bewertungen klauen. Was hätte ich davon? Ist das ein indirektes Kompliment? Ist der Herr Zag eine Autorität? Halten Sie es nicht für möglich, dass verschiedene Betrachter zu ähnlichen Analysen kommen können?

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