Nuscheln gehört zum Handwerk

Mit Willkommen in Hamburg gab Til Schweiger soeben seinen Einstand als Tatort-Kommissar. Man mag über die meines Erachtens stark schwankende Qualität der Tatorte geteilter Meinung sein, oder auch darüber, ob es nun eher ein Karrieresprung oder das Karriereende bedeutet, wenn man dort „Tenure“ erhält – quasi ein Grundeinkommen für Medienschaffende. Aber das ist mir persönlich heute egal.

Was mir im Vorfeld der Ausstrahlung aufgefallen ist: Es gab jede Menge Häme über Til Schweigers Nuscheln. So auch bei Sheng-fui:

Man mag von Til Schweiger halten, was man will. Aber der Mann ist eine Type. Sein Kommissar ist das, was man als typecast bezeichnet: Ein Schauspieler, der von seinem eigenen Wesen her besonders gut zur Rolle passt. Das ist eine nicht unübliche Methode, um passende Leute für Rollen zu finden. Doch während man hier beispielsweise für ein schüchternes Krischperl grundsätzlich Christian Ulmen zu besetzen scheint, würde sich in Hollywood auch ein Tom Cruise oder ein Gerard Butler in so eine Rolle zu finden suchen.

Und nun hat man Til Schweiger, vom Typ her schon immer der gutaussehende Typ, der eher mit dem Kopf durch die Wand geht, anstatt mal innezuhalten und eine Taktik auszutüfteln, eben für den Tatort besetzt. Und ja, Til Schweiger nuschelt.

Aber mal ehrlich: Wieso stört das so viele? Ich finde es nämlich große Klasse, wenn eine Leinwandfigur Charaktereigenschaften hat, die sie hervorstechen lassen. Während sich in anderen Tatorten die komplette Crew damit abmüht, auch artig jedesmal „Konschtanz“ zu sagen, ganz wichtig für den Lokalkolorit nämlich, scheißt sich Til Schweiger nix. Er spielt seinen Nick Tschiller eben so, wie ein Til Schweiger einen Kommissar eben spielt. Und wenn Til Schweiger nuschelt, nuschelt eben auch Nick Tschiller.

Ganz ehrlich: Das ist mir auch tausendmal lieber so. Denn ein Film ist ein Kunstwerk. Der Zuschauer hat nicht den Anspruch, jedes gesprochene Wort kristallklar übermittelt zu bekommen. Es geht hier ja nicht um das öffentliche Verlesen eines Dekrets, sondern um Filmkunst. Gut, abgespeckt fürs TV, aber im Grunde dieselbe Angelegenheit. Denn es ist Schauspiel, was wir hier sehen, trotz Typecasting. Ein Spiel! Eine Performance! Kunst!

Was wäre denn ohne diese darstellerische Freiheit, diese Entscheidung, aus den großen Klassikern geworden? Man stelle sich einmal den Paten vor, in dem Marlon Brando nicht mühsam „Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann“ stöhnt, sondern dies ohne jegliche Einschränkung, klar und verständlich in die Kamera spricht? Eddie Murphy hätte sich doch einsalzen lassen können, wenn er seinen Beverly Hills Cop ohne diese Schnauze hätte spielen, stattdessen einfach seinen Text langsam und klar aufsagen müssen. Und überhaupt, Götz George und sein Schimanski, das war doch auch eine ziemliche Nummer in puncto deutscher Sprache. Ich sag Euch was: Eine Katastrophe wäre das.

Ich denke, nicht wenige Zuschauer haben eine gewisse Anspruchshaltung gegenüber dieser Art Kunst entwickelt. Sie fühlen sich vor den Kopf gestoßen, wenn sie die Filmhandlung aus dem Kontext entnehmen müssen, anstatt sie erklärt zu bekommen. Ein ganz ähnliches Problem ergibt sich durch bewusst fehlende Untertitel bei der Verwendung fremder Sprachen. Sicherlich sind nicht wenige von Euch schon in den Genuss eines Sitznachbarn gekommen, der sich zum Beispiel bei einem Agentenfilm, wenn ein gegnerischer Wachposten etwas in sein Funkgerät kauderwelscht, daraufhin eine Antwort bekommt, dann lacht und sich eine Zigarette anzündet, zu einem herüber beugt und fragt: „Was hat er denn jetzt gesagt? Ich hab das nicht verstanden!“. Solche Leute möchte man doch manchmal mit ihrem eigenen Popcorn ersticken, oder nicht?

Also: Lasst ihn nuscheln. Von mir aus kann Til Schweiger in seinen Filmen nuscheln, so viel er will. Solange der Film funktioniert, die Dramaturgie stimmt und man der Handlung folgen kann, kann er von mir aus auch eine chinesische Oper aufführen. Ob der Text wichtig ist, ist eine bewusste Entscheidung, die schon lange gefällt wurde, bevor die erste Klappe fällt.

PS: Ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum Tatort, und schimpfe auch oft gern darüber. Meist „live“, in Rage, auf Twitter. Es gibt so viele Kritikpunkte: Das kalte Licht, das bedeutungsschwangere Geschau (das keiner versteht, weil der jeweilige Konflikt nicht gravierend genug ist), die lahmarschigen Actionszenen (heute war definitiv eine Ausnahme), das Duden-Deutsch, die tristen Settings, die teilweise haarsträubenden Geschichten, die krampfhafte Inszenierung für genau 90 Minuten (nicht nur die Amis können das viel besser), diese schrecklichen „typisch deutschen“ Verhaltensmuster von Hauptfiguren und Nebenrollen (aber auch die vorausgesetzten Wertvorstellungen), und dann doch diese typischen Hollywood-Ansätze, in denen der Täter noch lange erklärt, was er so geplant hat, damit man ihn noch aufhalten kann, ta-daa (heute hat das Mädel diesen Max ja „without further ado“ einfach über den Haufen geknallt, das war ja fast Tarantino-esk, höchst erfrischend) – doch leider wirken diese Hollywood-Manierismen in Filmen, die sich bewusst gegen diese Tradition stellen, absolut anachronistisch (zu deutsch: Tatort-Macher, was wollt Ihr eigentlich?). Nunja, Tatort ist so eine Sache für mich.

Aber heute, da muss ich schon sagen, das war deutlich mehr Kino als TV. Respekt.

3 Gedanken zu „Nuscheln gehört zum Handwerk“

  1. An den Schweizern sollte sich Schweigers PR Truppe mal ein Beispiel nehmen, hier wird die Presse noch gepampered:
    „Wir freuen uns, Sie an unserer Pressevorführung in Zürich begrüssen zu dürfen. Bitte füllen Sie folgendes Formular aus, damit wir Ihnen das gewünschte Sandwich besorgen können“.

    Welches Sandwich nehme ich denn jetzt, ich krieg noch die Krise.

  2. Ui, ich wusste ja gar nicht, dass du dich sonntäglich mit dem TATORT abkämpfst! Ist es die Hoffnung, die dich treibt oder die Bestätigung, die du suchst?

  3. Sie schreiben, Til Schweiger sei „ein Schauspieler, der von seinem eigenen Wesen her besonders gut zur Rolle passt“.
    Finde ich nicht. Ehrlich gesagt kenne ich keinen, der bis jetzt schlechter gepasst hätte. Und ich habe viele „Tatorte“ gesehen. Dann kommen Sie mit „Til Schweiger nuschelt. Aber mal ehrlich: Wieso stört das so viele? Ich finde es nämlich große Klasse, wenn eine Leinwandfigur Charaktereigenschaften hat, die sie hervorstechen lassen“. Also ehrlich, eine besonders undeutliche Aussprache soll jetzt schon Charaktereigenschaft sein? Nehmen wir zum Beispiel Götz George (Schimanski), der war bei seiner Besetzung auch kein typischer Tatort-Kommissar. Aber der spielte eben wirklich einen unkonventionellen Charakter, deswegen wird man sich die Schimanski-Tatorte auch noch in 20 Jahren ansehen, im Gegensatz zu den „Tschillers“. Und wenn ich schon sowas höre: „Der Zuschauer hat nicht den Anspruch, jedes gesprochene Wort kristallklar übermittelt zu bekommen. Es geht hier ja nicht um das öffentliche Verlesen eines Dekrets, sondern um Filmkunst“ dann steige ich einfach nur aus. „Man stelle sich einmal den Paten vor, in dem Marlon Brando nicht mühsam ‚Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann‘ stöhnt, sondern dies ohne jegliche Einschränkung, klar und verständlich in die Kamera spricht? Eddie Murphy hätte sich doch einsalzen lassen können, wenn er seinen Beverly Hills Cop ohne diese Schnauze hätte spielen, stattdessen einfach seinen Text langsam und klar aufsagen müssen.“ Komischer Weise habe ich aber sowohl den Paten als auch den BH-Cop zumindest verstanden. „Sie fühlen sich vor den Kopf gestoßen, wenn sie die Filmhandlung aus dem Kontext entnehmen müssen, anstatt sie erklärt zu bekommen.“ Genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn ich seichte, belanglose Rumballerei sehen will, dann kann ich auch Rambo gucken. Der Tatort hat immer davon gelebt, daß er eben nicht komplett grenzdebil war. „Von mir aus kann Til Schweiger in seinen Filmen nuscheln, so viel er will“. Ja, kann er auch, ist mir egal. Ich mag seine privaten Ansichten als Mensch nicht, ich mag den Typen als Schauspieler nicht, mich interessieren seine Machwerke ala „Kokokotz“ oder „Dreilochstute“ nicht, aber ich muß sie mir auch nicht ansehen. Ich finde zum Beispiel die Prahl/Liefers-Tatorte auch nicht sonderlich gut, obwohl ich sowohl über Prahl als auch über Liefers denke, daß sie wirklich gute Schauspieler sind. Aber Schweiger ist einfach nur schlecht. Das hat aber nix mit dem Nuscheln zu tun, der passt einfach nicht zum Tatort. Soll er lieber in Amerika bleiben und dort seinen Blödsinn weitermachen.

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