Flight

Schade, am Ende war es dann doch nur eine Alcoholic Romantic Comedy, in der der alkohol- und drogenkranke Pilot Whip Whitaker (Denzel Washington) sich zu seiner Alkoholsucht bekennt und sich mit seinem Sohn versöhnt. Vorher hat der Film gezeigt, wie unglaublich schwer der Weg zu so einer Erkenntnis sein kann, indem er dafür eine schier unglaubliche Abwendung einer Flugzeugtotalkatastrophe durch den betrunkenen Piloten oder je nach Lesart ein christliches Wunder bemühen musste. Das ist insofern eine Enttäuschung, als die Exposition, die fast die Hälfte des Filmes einnimmt, mit modernster Computerhilfe schön spannend gemachtes Katastrophenkino ist.

Gleich die erste Szene weiß zu vereinnahmen, künstlerisch wie atmosphärisch. Whip wacht in einem Hotel in Orlando, Florida, auf. Irgendwas hat er diese Nacht wohl hinter sich. Doch was? Die Kollegin, mit der er das Bett geteilt hatte, die geht gerade ins Bad. Alkohol dürfte im Spiel gewesen sein. Ob es eine Supernacht war? Die Reaktionen von Whip auf den neuen Tag lassen das nicht unbedingt vermuten. Eher kräfteraubend. Erschöpfend. Ein neuer Tag. Er ist irgendwie brummschädelig, hat wenig Drang zum Aufstehen oder zu Bewegung. Eine Linie Koks. Ein Routinetag liegt vor ihm. Er wird einen Linienflug nach Atlanta zu absolvieren haben. Es handelt sich um einen jener Flüge, bei denen Piloten durchaus zwischendrin ein Nickerchen machen können. Und sich vorher (und auch während) einen Schluck Alkohol genehmigen.

Ihm ist ein junger Copilot zugeteilt, von dem er nicht sicher ist, ob er ihn schon kennt. Das Flugzeug ist mit 88 Passagieren und 6 Crew-Mitgliedern gut besetzt. Wie es einem Katastrophenfilm gut bekommt, wird der Start schon holprig gezeigt. Der Steigflug wird aus dem Flugzeug heraus so fotografiert, dass der Zuschauer ständig das Gefühl hat, es sei sehr anstrengend und es sei überhaupt nicht sicher, ob das Flugzeug die reguläre Flughöhe überhaupt erreichen wird.

Vorher hat der Kapitän noch die Passagier persönlich von der Kabinentür aus begrüßt. Gleichzeitig hat er mit der versteckten Hand zwei Dosen Whisky in seinen Orangensaft eingefüllt. Irgendwann ist die Höhe erreicht. Kurze Zeit geht alles gut. Man geht schon in den Sinkflug über. Ein technischer Defekt an einem Höhenruder bewirkt allerdings, dass die Maschine den Tauchgang einlegt, also direkt auf die Erde zu rast.

Jetzt gelingt Whitaker, was sonst wohl kaum je einem Piloten gelingen dürfte. Wenige hundert Meter über der Erdoberfläche und wenige Sekunden bevor die Maschine am Boden zerschellt, schafft er das tollkühne Manöver, das Flugzeug umzudrehen, so dass es auf dem Rücken weiter fliegt. Er kann auf einem Feld neben einer Kirche eine einigermaßen glimpfliche Bruchlandung hinlegen mit nur 6 Toten (eigentlich nur vier, wie einer der Anwälte in einer späteren Besprechung meint, denn die beiden Crew-Mitglieder zählen nicht – versicherungstechnisch versteht sich, weil bei denen die Gewerkschaft die Dinge regeln muss, wenn ich das richtig verstanden habe) und einigen Verletzten.

Whitaker wacht im Krankenhaus auf mit einem Kopfverband, ein Auge zugedeckt. Als erstes bekommt er Besuch von der NTSB, der Kommission, die Flugunfälle untersucht. Es geht schließlich darum, wer am Ende bezahlen muss. Was der Grund für den Beinah-Absturz war.

Schnell erfährt Whitaker, dass ihm Gefängnis drohe, dass eine Blutuntersuchung auf Alkohol- und Drogenkonsum schließen ließ. Eine spannende Ausgangssituation also, darauf schien es mir hinauszulaufen, auf die Frage, wie wird sein Vergehen, seine Alkoholkrankheit aufgewogen gegen seine heldische Tat (in den Medien wurde er sofort zum Helden stilisiert, das zeigt der Film aber angenehm dezent aus Seitenblicken oder über kurze TV-Einblendungen). Es könnte uns also eine spannende, arbeitsrechtliche Verantwortungs-Diskussion bevorstehen. Darauf scheint mir die Exposition hinauszulaufen. Gesetz gegen Heldentat.

Aber jetzt nimmt sich der Film plötzlich Zeit für das Anbandeln mit Nicole. Auch sie ist eine Süchtige, die er in einem Raucher-Treppenhaus der Klinik kennenlernt. In einer wunderbaren Szene im beengten Stiegenhaus, zu der noch ein Krebskranker mit Infusionen an einem Fahrgestell hinzukommt und einen herrlich zynischen Monolog hält. Das kann nur mit kleiner oder Kleinstkamera aufgenommen worden sein; mit kaum künstlichem Licht, außer auf Nicole. So ähnlich sind viele Szenen aufgenommen worden, sozusagen auf dem neuesten Stand der Technik und mit einer viel Spontaneität ermöglichenden Nähe ohne befremdende Technikaufbauten rund um die Schauspieler. Hohe Szenenqualitäten.

Aber der Film nimmt sich jetzt mehr Zeit für Sentimentalitäten. Nicole nimmt Whitaker mit zu den Anonymen Alkoholikern. Er macht einen Besuch bei seiner Ex-Frau und seinem Sohn; wird aber harsch abgewiesen; lauter Aktivitäten, die zwar die Alkoholkrankheit illustrieren, nicht aber das angerissene Problem vorwärts bringen.

In mehreren Szenen sitzt er dem Alkohol gegenüber und schwankt, zugreifen oder nicht. Erinnerung an eine berühmte Versuchungsszene aus Nestroys „Lumpazivagabundus“, generell einem Kabinettstückchen für Schauspieler. Hier wird das knapp abgehakt: Schnaps und die Finger schlagen kurz einen Takt auf die Tischoberfläche, dann greift Whitaker zu.

Schön die News mit dem Cellphone-Footage von der Bruchlandung. Das Vorhaben des Anwaltes, den toxikologischen Befund zu killen, das würde noch zur erwähnten Erwartungshaltung passen. Und irgendwie verwundert es doch, dass nach so einem Beinah-Absturz-Erlebnis die Alkoholsucht von Whitaker überhaupt nicht vorbei ist. Die muss sehr stark gewesen sein. So ein Erlebnis müsste doch ein Aufwecker sein. Hier arbeitet das Drehbuch meiner Meinung nach nicht nach gängiger Lebenserfahrung.

Am Ende wird es dann doch recht naives Heilskino: nachdem Whitaker sagen kann, dass er Alkoholiker sei, fühlt er sich frei, das erste Mal im Leben. Wenn ein Film mit so einer Moral ankommt, so hält er meines Erachtens die Zuschauer vom Kino fern. Der will nämlich im Kino nicht zum Gutmenschen werden, noch Zeuge werden, wie ein chronischer Alkoholiker zum Gutmenschen wird. Der will wissen, was passiert mit einem Helden, der gar keiner sein dürfte. Dieser Frage weicht das Drehbuch, an dem auch der Protagonist Denzel Washington mitgeschrieben hat, aus. Das hat gravierende Folgen auch auf für die Rollenkontinuität. Im zweiten Teil scheint mir Washington manchmal zu geschniegelt. Das sind weder der Kapitän, den er anfangs brillant und grandios spielt, noch der Alkoholiker mehr erkennbar. Da ist er ein ganz gewöhnlicher Leinwandstar geworden, der einen Alkoholiker spielt, dem sein Problem bewusst geworden ist und der es überwindet.

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