The Loneliest Planet

Was ist Kino? Zum Beispiel: ich komme aus Russland, bin begeistert vom Rucksacktourismus einerseits, von Georgien andererseits; vom Rucksacktourismus, weil das schon eine Erfahrung ist, in einem Land zu Gange zu sein, wo man die Sprache nicht versteht, sich radebrechend mit Gesten und Lauten verständigt oder in einem Broken-English; von Georgien, weil seine grünen Berge, endlosen Täler und auch Schotterhalden so weit und so einsam sind. Das möchte ich filmen.

Ich stelle mir ein junges Paar aus Amerika vor, die bald heiraten wollen und die so eine Rucksacktour durch Georgien machen. Den beiden stelle ich einen etwas älteren, nicht allzu gesprächigen „local guide“ zur Seite, der sie durch die einsamen Täler und Berge Georgiens führt.

Dann begeistere ich mit meiner Begeisterung jemanden vom kleinen Fernsehspiel vom ZDF und jemanden aus der Redaktion von ARTE, von da oder von dort kommt vielleicht noch die Idee einer Bedrohungssituation, die in diese Reise einzubauen schlau wäre und die die ich dann schnell noch in mein Buch aufnehme (Georgier mit zwei Jungs und Flinte drückt diese dem jungen Touristen auf die Stirn – schenkt ihm aber nachher eine Sonnenbrille, will jedoch sein Gegengeschenk, eine Lederbändchen vom Arm um nichts in der Welt annehmen) und schon kriege ich Geld, kann mit dem Casting und den Reisevorbereitungen beginnen.

Filmmaterial ist billig heute. Übrigens, die Schlüsselszene werde ich gleich an den Beginn des Filmes stellen, zuerst akustisch, eine Art Getrampel, nicht näher identifizierbar, dann kommt halbnah eine nackte, einschamponierte, auf Metall hupfende (das macht das Geräusch), frierende junge Frau; das Bild werde ich sehr lange stehen lassen und damit andeuten, dass ich eine künstlerische Ambition (fragen Sie mich nicht, welche) mit diesem Film vertrete. Dann wird man sehen, dass diese Frau in einer einfachen Behausung im Bade ist und darauf wartet, dass ihr Bräutigam, was wir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wissen, sie mit bereit gestelltem warmem Wasser abgießt. Ruski Kunst.

Einen Kameramann muss ich mir noch besorgen, der mit einer kleinen, handlichen Kamera umgehen kann, denn der muss stundenweise auf holprigem Geländer so ruhig wie möglich neben den drei Wandernden hergehen. Das wurde dann übrigens Inti Briones, der das meisterlich gelöst hat, und dem hier alle Komplimente gehören.

Jetzt musst ich nur noch meine Protagonistin finden. Sie sollte rothaarig sein, ein verspielter Typ, der in jeder Situation eine leichte Überlegenheit mit viel Grinsen demonstrieren kann, egal, ob sie über einen schwankenden Steg bestehend nur aus einem dünnen Rohr gehen soll, ob sie bei größtem Regen unter eine Plastikplane nur leicht geschützt eine Zigarette rauchen soll, ob sie Ballspiele mit Unbekannten über einen Blechzaun spielt, ob der Freund ihr gerade ein Körnchen aus dem Auge gefischt hat oder ob sie mit ihrem Freund Liebesspiele im Gras treiben soll. Immer soll lächelnde Überlegenheit von diesem Gesicht strahlen, Unanfechtbarkeit soll es erzählen. In Hani Fürstenberg habe ich die ideale Besetzung gefunden. Gut war sie immer, wenn sie dieses überlegene, verspielte Grinsen aufsetzen konnte.

Dazu habe ich noch einen netten jungen Mann gesucht, der ihr nicht die Show stehlen durfte und konnte, den habe ich in Gael Garcia Bernal gefunden und für den wortkargen georgischen Begleiter konnte ich Bidzina Gujabidze gewinnen, der nach über 1 ¾ Stunden des Gehens durch Georgien in einer Lagerfeuerszene noch ein paar überraschende Dinge los werden darf. Mir haben die Dreharbeiten viel Spaß gemacht. Und da wir das Ganze in irrlichternder Blue-Ray projizieren werden, kommt sowieso mehr Geheimnis in den Film als drin ist.

So oder ähnlich mag es gewesen sein oder vielleicht auch ganz anders. Aber das Kinobild, was Julia Loktev, die Autorin und Regisseurin, mir mit diesem fast zweistündigen Wanderfilm vermittelt, könnte durchaus auf den Zugang, den ich hier eben fantasiert habe, passen. Mir sind während dem Screening aber auch Begriffe wie Sponti-Kino in den Sinn gekommen, man nimmt sich in etwa etwas vor, fährt hin und schaut dann mal, was sich ergibt. Filmmaterial kostet heute fast gar nichts mehr und so können sich Filme, die nicht genau unterscheiden zwischen Erzählenswertem und Weglassenswerten sich enorm ziehen, so entspannend das georgische Bergwiesengrün für die Augen auch sein mag. Kino als Entspannungsübung für die Augen.

Oder: Privatismus-Film: eine nette Wanderidee haben, ein Wanderurlaub sich vom Fernsehen finanzieren lassen und dann ins Kino damit. Die Frage ist nur, wer außer Bekannten und vielleicht noch einige an wenigen Händen abzuzählenden eingefleischte Georgien-Fans will sich das ansehen? Denn die Story existiert gar nicht. Inhalt? Grinsend durch Georgien, könnte man den Film auch zusammenfassen.

Es gibt noch einen Hinweis auf kulturellen Anspruch: einmal im Zelt liest die Frau ihrem Bräutigam aus einem Buch vor. Leider bleibt das durch das verwaschene Englisch, die wenig Mühe der Artikulation und Inhaltsformung irrlichternd.

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