Sagrada

Diese touristisch-bildungsbürgerliche Dokumentation über die berühmte, immer schon im Bau sich befindliche Kathedrale „Sagrada Familia“ in Barcelona gibt keinen Hinweis auf eine zwingende Begründung für ihre Entstehung.

Es gibt zwar anfänglich einige Kommentare in der Ich-Person, „ich glaubte an einen Gott im Himmel, der alles erschaffen hat“. Und auch darüber, dass Kirchen und Kathedralen immer schon da gewesen sein sollen (wie bitte?) und dass eine einzige, nämlich das Objekt unseres Interesses, nicht schon immer da gewesen sei, sondern erst sei 100 Jahren. Diese Statements lassen im Vagen, wie weit das Interesse von Stefan Haupt, dem Regisseur und Autor dieses Filmes, an dieser Kirche jetzt religiös bedingt sei, wie weit architektonisch, wie weit historisch, wie weit städtebaulich, wie weit massentouristisch, wie weit fotografisch, wie weit vom Standpunkt der Gentrifikation aus, wie weit mystisch.

Für die mystische Interpretation wird eine ephebische Symbol-Figur eingeführt, ein Jüngling oder eine ephebische junge Frau, ein Wesen im Zwitterstande vielleicht nicht mehr Knabe oder noch nicht Frau mal an eine Wand gedrückt sich plötzlich geheimnisvoll bildtechnisch in den Hintergrund-Stein auflösend oder auf einer hohen Plattform stehend in die Gegend hinaus schauend die Arme zu Gesten streckend oder auf dem Steinboden im Kirchenschiff kauernd; ein Haltungsansatz einer Erzählweise, die aber plötzlich aus dem Film wieder verschwindet.

Für das Melodramatisch-Mystische an dieser Doku spricht auch das Pathos der Eingangsphase, die Musik, die Impressionen, dann aber auch der Bericht über Tod und Beerdigung von Gaudi, dem Architekten, wie auch die eingeblendeten Passagen mit einem kleinen Orchester mit Gesangsgruppe, die klassisch-feierliche Musik vortragend immer wieder dazwischen geschnitten wird, wenn nicht gerade der Papst zu Besuch ist oder Barcelona Fussball-Champion geworden ist.

Oder wenn wir nicht gerade einen Ausflug zum Kloster Montserrat unternehmen, um dem dortigen Knabenchor zu lauschen oder die Berge in der Nähe anzuschauen, die vorbildhaft für die Architektur der Sagrada geworden sind, denn Gaudi habe, so hören wir, nicht erfunden, sondern nur die Natur kopiert. Das kommt hier gut zur Geltung.

Das macht sich heute auch ein Team von Architekten zunutze, die mit modernster Computertechnik den Weiterbau der Kathedrale im Sinne Gaudis betreiben. Sie sind auf ganz wenige Bruchstücke von Gaudis Modellen angewiesen, denn bei der Machtübernahme Francos 1936 wurde alles an Plänen und Modellen zerstört. Auch die Bildhauer, die die Portalverkleidungen anfertigen, sind auf Bruchstücke, um die herum sie Modelle anfertigen, angewiesen. Auch das wird sehr schön gezeigt.

Haupt hat Zeitzeugen aufgetrieben, die vom Tod von Gaudi berichten können. Dieser war am Ende so arm und bescheiden, dass man ihn erst für einen Bettler hielt, nachdem er von einer Tram überfahren worden war.

Wem es zu mühsam ist, selber Wissenswertes über die Sagrada zu googlen, der wird bei Haupt reichhaltig bedient. Es gibt Statements von einem Vorarbeiter („das ist katalonisches Erbe“), von einem Bildhauer („das ist kein Lärm, das ist Zwiesprache mit dem Stein“), vom Präsidenten der Stiftung „Sagrada Familia“, von einem Architekturprofessor, von einem Professor für Religionsphilosophie (der ist der einzige mit einer kritischen Anmerkung, die die Idolisierung dieses Kirchenbaus betrifft), ein japanischer Bildhauer, der vom Zen zum Katholizismus konvertiert ist und die musikalischen Figuren eines der Portale angefertigt hat; ein Städteplaner und Architekt erzählt von einem Brief renommierter Architekten, u.a. Le Corbusier, die die Wiederaufnahme der Bauarbeiten nach dem Ende der Franco-Diktatur stoppen wollten; die Erklärungen einer Reiseführerin schneidet der Filmemacher direkt mit. Weiter kommen zu Wort: eine Kunsthistorikerin (erklärt die kantigen Portalfiguren, eine Kreuzigung), ein Vorarbeiter (schwärmt von der Magie der Kirche), ein Restaurator (erzählt von den Modellen), ein Architekt (am Computermodell), ein Glasmaler (über die Symphonie der Farben), ein Glaser (über das Zusammenstellen des Glases).

Es gibt touristische und historische Kurzinfos über Barcelona, wie aus dem Tourismusprospekt. Als Ergänzungen kommen hinzu Fotos vom Bauprozess. Und zwischendrin gibt es eine atemberaubende Kamerafahrt in einer Krangondel. Ein Architekt warnt vor einem Disneyland.

Vielleicht hat unser Filmemacher sich gedacht, er möchte ein kleines Geschäft mit möglichst vielen machen und hat darum versucht, möglichst vieles in seinen Film zu packen. Wer vieles bringt, wird vielen etwas bringen.

Die Cinéasten dürften diese leicht hingeplauderte bunte Mischung aus Kircheninfos eher im Fernsehen oder in der Volkshochschule für angebracht halten.

Der mystisch-melodramatische Aspekt des Filmes wird verstärkt durch die Auswahl des Sprechers. Dieser artikuliert so vorsichtig, als hätte er Angst, die Zunge könnte irgendwo anstoßen und ein Tröpfchen Speichel könne das heilige Werk verunreinigen. Er spricht so, als ob er in Seidenpantöffelchen die Heilige Kirche betrete, um auch ja keine göttliche Andacht zu stören. Er hört sich an, als habe er vor lauter Ehrfurcht Kreide geschluckt; dadurch erhält der Text durchaus einen Hauch von Scheinheiligkeit.

Ein kalorienarmes, kulturtouristisches Häppchen, was sich gnadenlos an die Berühmtheit seines Objektes anzuhängen versucht; ein Merchandising-Artikel, an dem allerdings nicht das gepriesene Werk, sondern der Filmemacher seine Fränkli und Euros zu verdienen versucht.

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