Kommen wir zum Punkt. Wir haben lange auf diesen Film gewartet. Wir waren erstaunt, als aus einem Film zwei wurden, und noch erstaunter, als aus zwei Filmen drei wurden. Es hieß, es würden noch Anhänge vom Herrn der Ringe mitverarbeitet, vielleicht auch noch Sagen aus dem Silmarillion.
Wer die Bücher kennt, der weiß um den Stilbruch. Der kleine Hobbit, das ist ein fantasievolles Kinderbuch, Der Herr der Ringe das sprachgewaltige Fundament aller Fantasy und Das Silmarillion Thomas Mann auf LSD.
Mit den Filmen haben wir dasselbe Dilemma wie mit den Star Wars-Trilogien: Sie wurden in nicht-chronologischer Reihenfolge gedreht, und bei Tolkien hat ein Großteil des Publikums nie eines der Bücher aufgeschlagen. Nun sind die Millionen geprägt von der Erwachsenenoptik und Dramaturgie der Ring-Trilogie, und erwarten im Prequel eine Fortsetzung. Der Gedanke einer Fortsetzung dahingegen beinhaltet bereits den Wunsch nach „mehr“, „stärker“, „gewaltiger“ und so weiter, doch ein Prequel behandelt die zartsprossigen Anfänge, aus denen das übrige Werk erst erwächst.
Und, man darf nicht vergessen, der kleine Hobbit ist ein Kinderbuch. Da geht es ähnlich zur Sache wie bei einem Märchen, die Welt ist stark vereinfacht, die bösen und guten Gegenden Mittelerdes scharf gegeneinander abgegrenzt, ebenso die Helden und ihre Antagonisten. Viele der erlebten Episoden, sei es die Geschichte mit den Trollen und der besten Zubereitungsart für Zwerge, oder die Goblins im Nebelgebirge oder auch die Sache mit den Spinnen, ließen sich allesamt als eigenständige Spielfilme verwirklichen. Daher habe ich mit der Länge des Films (166 Minuten) und der Tatsache, dass es eine Trilogie wird, kein Problem.
Auch versucht Peter Jackson gar nicht erst, den Herrn der Ringe neu zu drehen, und dies sei ihm hoch angerechnet. Die Welt ist eine völlig andere, die Ereignisse spielen 60 Jahre vor denen des Ringes. Mein Eindruck war, dass der Hobbit für ein deutlich jüngeres Publikum gestrickt ist, auf dass er wie ein Trichter alle möglichen jungen Seelen einfange und auf die Fantasy-Schiene setze. Und dies gelingt hervorragend. Wäre ich 15 Jahre alt und wüsste noch nichts von Rollenspielen (offline wie online), ich stünde in Flammen. Ich könnte den zweiten Teil der Trilogie kaum erwarten. Ich würde mir die Haare auf den Fußrücken wachsen lassen, so gut es geht, und barfuß laufen. In meinen Augen ist der Film großartig gelungen und absolut richtig inszeniert, wie es sich für die Vorlage gehört.
Natürlich hat man sich wieder Freiheiten genommen. Einer der Zwerge hat zum Beispiel die Reste einer Streitaxt im Kopf stecken, die er wohl in einer Schlacht abbekommen hat und die man sich nicht herauszuoperieren getraut hat. Sowas finde ich total affig und übertrieben, das kommt auch im Buch nicht vor. (Man belehre mich gegebenenfalls eines besseren!).
Man hat aber auch eigenwillige Kompromisse beim Inszenieren getroffen: Bei einer großen Schlacht zwischen Zwergen und Orks, erzählt in einer Rückblende, schwebt die Kamera über Schlachtgetümmel hin zu Thorin Eichenschild und wie er gegen den Ober-Ork kämpft. Das ist wunderbar, nur leider ist das Gekämpfe drumherum total lachhaft. Die Schläge mit Hämmern, Schwertern und Äxten sehen aus wie eine Stellprobe in Zeitlupe oder wie eine Art langsamer Tanz. Doch es spritzt kein Blut, auch gibt es keine markerschütternde Kollisionen zwischen Waffen und Gegnern. Es kann keine Zeitlupe sein, sondern es ist an dieser Stelle eine beschissene Inszenierung. Ich hätte mir Schlachten wie zu Beginn des Gladiator gewünscht, wo offenbar mit leicht verminderter Geschwindigkeit gedreht wurde, um die Bewegungen nachher etwas schneller aussehen zu lassen, und noch dazu mit extrem kurzer Belichtungszeit oder einer Stroboskop-Beleuchtung, so dass es keine Bewegungsunschärfe gibt, quasi als wäre man im Adrenalinrausch selbst dabei. Doch leider verfehlt Jackson hier die Möglichkeiten, die die Situation ihm geboten hätte, komplett.
Eine andere Sache ist das mit den 48 Frames pro Sekunde, der HFR, der High Frame Rate. Ein kurzer Ausflug in die Technik:
Film, also bewegtes Bild, ist ja nichts anderes als eine Reihe von Einzelbildern, die von einer Bewegung gemacht werden. Diese kleine Diaschau führt man dann mit derselben Geschwindigkeit vor, mit der sie aufgezeichnet wurde, und schon hat man die Illusion von Bewegung auf der Leinwand. Damit die Bilder des Filmstreifens beim Abspielen nicht einfach nur eine Farbschmiere ergeben, dürfen sie jedoch nur dann projiziert werden, wenn sie gerade stehen, also wenn der Filmstreifen nicht bewegt wird. Das heißt, wenn ein Bild durch das nachfolgende ersetzt wird, darf das Auge dies nicht mitbekommen, der Filmtransport muss unbemerkt bleiben.
Der Trick, mit dem man dies bewerkstelligt, heißt Sektorblende. Eine rotierende Scheibe mit Lücken, ähnlich einem Ventilator. Sie hat eine undurchsichtige und eine durchsichtige Hälfte und befindet sich im Inneren des Projektors zwischen Filmbild und Objektiv, und dreht sich unablässig um sich selber. Sobald die Lücke sich im Strahlengang befindet, wird das stehende Bild auf die Leinwand projiziert, kommt der undurchsichtige Flügel, wird das Filmbild um eine Position weitergeschoben, so dass das nächste Bild zur Projektion bereit steht, wenn die durchsichtige Seite wiederkommt. Für das menschliche Auge ist dies weitgehend unsichtbar: Zum einen werden die Filmbilder im Kino üblicherweise mit 24 Bildern pro Sekunde vorangetrieben, das heißt, das ganze Filmbild-Vorantreiben-Anhalten-Licht-durchschicken-und-wieder-Vorantreiben (also, der Filmtransport) geht recht zackig. Die Sektorblende dreht sich demnach 24 mal pro Sekunde um sich selbst (mit 1440 rpm also schneller als die Waschmaschine im Schleudergang), außerdem ist die Sektorblende bei Projektoren in Wirklichkeit nicht in halb und halb geteilt, sondern in sechstel, also ähnlich einer Pizza oder dem BMW-Logo, mit drei Lücken und drei undurchsichtigen Flügeln. Bei Filmkameras braucht sie dahingegen nur einen Flügel, wie die eingebettete Animation eindrucksvoll zeigt.
Tatsächlich wird im normalen Kino jedes Filmbild dreimal gezeigt, fällt also durch drei durchsichtige Sektoren der Sektorblende, bevor es weitertransportiert wird in einem der undurchsichtigen Sektoren der Sektorblende. Dadurch werden zwar nur 24 Bilder pro Sekunde gezeigt, aber es flimmert auf der Leinwand nicht mit 24 Hertz, sondern mit 3×24 Hertz, also 72 Hertz. Dieses schnellere Flimmern wird von den Zuschauern nicht mehr wahrgenommen, das langsame von 24 Hertz, gäbe es die Sektorblende mit nur zwei Sektoren, würde als sehr störend empfunden, ähnlich einer kaputten Neonröhre. Das bedeutet also, dass das reguläre Kino bereits mit 72 Hertz flimmert.
Mit der Entscheidung, mit 48 Bildern pro Sekunde zu filmen statt mit den üblichen 24, hat man weitreichende stilistische Konsequenzen zu beachten: Zum einen ist die maximal mögliche Belichtungszeit pro Filmbild nun eben 1/48 Sekunde und nicht mehr wie bisher 1/24. Das heißt also, die Belichtungszeit ist nur noch halb so lang, was nicht nur bedeutet, dass man viel intensiver beleuchten muss und dann wiederum die Konsequenzen des starken Beleuchtens kompensieren muss, um denselben Look zu haben wie im Herrn der Ringe, auch ist jede Bewegung wegen der geringeren Belichtungszeit auch weniger verwaschen, was sich natürlich klar darauf auswirkt, wie man den Film erlebt. Bei der Projektion dürften die 48 fps (Bilder pro Sekunde) technisch weniger ins Gewicht fallen, da die Zuschauer rien biologisch ja bereits an 72 Hertz-Flimmern gewohnt sind.
Der Effekt ist letztlich der, dass das Bild „realistischer“ aussieht. Durch die volldigitale Produktionsstrecke gibt es keinerlei Bildrauschen (das „Korn„, das früher bei den ersten Digitaleffekten sogar künstlich unterlegt wurde, damit die FX shots nicht so auffielen), die Menschen und Tiere auf der Leinwand sehen aus, als würden sie einem gegenüberstehen.
Ich persönlich hatte so einen Moment, als die Kamera über den glücklichen Ort Dale am Fuße des Berges Erebor fuhr, und eine Zeit zeigte, in der glückliche Menschen in einer florierenden Stadt lebten, bevor der Drache Smaug kam und alles kaputtbrannte. Nun, da fährt die Kamera so über die Straßen von Dale, und ich gucke mir die Leute an, als mir eine Marketenderin auffällt. Sie ist Mitte 50, hat eine dralle Figur, und trängt eine Art Haube oder Robe mit einem auffälligen blau schimmernden Kopfband. Sie war auf der Leinwand im Kino ungefähr so groß, als stünde sie in dieser Entfernung auf einer Bühne. Und sie hat mit einer Inbrunst ihr Glück über das schöne Leben in Dale gespielt, dass man ihr diese Statistenrolle überhaupt nicht abnehmen konnte. Mit einer übertriebenen Kopfbewegung und einem gönnerhaften Schwung ihres rechten Armes, als wäre sie Goldbeere und würde Blütenblätter streuen, sprang sie mir ins Bewusstseine, als die Kamera über sie hinwegfegt. Und mit einem Schlag bin ich völlig aus der Fantasiewelt gerissen. Denn zum einen ist sie mir durch die gute Technik viel mehr aufgefallen, als dramaturgisch sinnvoll war, zum anderen konnte man sehen, dass diese Statistin eben keine ausgebildete Schauspielerin war. Viel mehr wirkte sie so, als wäre sie nervös, dass der Drehtag bald zu Ende ginge, denn sie muss noch ihre Kinder von der Schule abholen oder als ob sie nicht sicher sei, ob sie ihr Auto draußen vor der Halle abgeschlossen hat. Plötzlich befand ich mich im Bauerntheater.
Dies ist meines Erachtens das Problem bei den 48 fps: Es sieht alles viel realistischer aus. Aber dafür muss nun eben akribisch auf Details geachtet werden, die sonst in der Bewegungsunschärfe versumpft wären. Und Ablenkung des Zuschauers, wenn man nicht auf diese Details achtet, ist nicht, was man haben will. (Ein ganz ähnliches Problem hat übrigens auch die Porno-Industrie mit der Einführung der HD-Technik erlebt. Da nun die Konsumenten Filme mit der rund 5-fachen Auflösung sehen konnten, war plötzlich jeder Pickel, jede Warze, jedes nicht so gründlich rasierte Härchen am Heiligtum der Hauptdarsteller in voller Pracht zu erkennen.)
Auch die Effekte sind nicht immer gut, muss ich sagen. Zum Beispiel gibt es ganz am Schluss eine Szene, in der sich die Schnauze des schlafenden Smaug unter dem angehäuften Gold der Zwerge rührt. Mir war es, als würden manche der Millionen von Goldstücken einfach im Nasenrücken des Drachens verschwinden, anstatt zur Seite abzurutschen, was schlechtes 3D-Rendering wäre. Auch gibt es in den Rückblenden sehr plumpe Schwerter zu sehen, die ein wenig den übertriebenen Waffen aus MMORPGs ähneln, aber ganz offenbar so leicht sind wie ein Brieföffner. Die Physik stimmt hier einfach nicht, und sowas stresst mich im Kino ganz generell.
Was ich persönlich toll finde, und was auch nur die Fans der Originalversion genießen können werden, sind Kleinigkeiten wie diese:
Die Stimme des Goblin-Königs unter dem Nebelgebirge ist niemand anders als Barry Humphries. Klingelt es? Wenn nicht, einfach mal an Dame Edna zurückdenken.
Bilbo Beutlin wird gespielt von Martin Freeman. Der Drache Smaug (aber auch der Necromancer, also Sauron) wird gesprochen von Benedict Cumberbatch. Wenn Bilbo in einem späteren Teil der Filmtrilogie auf Smaug treffen wird, treffen also wieder Dr. Watson und Sherlock Holmes aufeinander. Ich frage mich, ob es da eine Anspielung geben wird.
Wir haben also einen Film, der bewusst andere Erwartungen anspricht als die vorherrschenden, in dem durch seine verbesserte Technik inszenatorische Mängel viel deutlicher zu Tage treten als bisher, und dessen Effekte nicht perfekt sind, obwohl gerade diese es sein sollten. Das ist wohl, warum viele der Kollegen ihn nicht mögen.
Ich dahingegen fand ihn dennoch großartig, denn er bringt mich zurück in meine Jugendjahre, in denen ich den kleinen Hobbit erstmals gelesen hatte. Eine witzige Geschichte übrigens, denn meine Eltern hatten mich schon mehrfach auf das Buch hingewiesen, doch die Covergestaltung der dtv-junior-Ausgabe, die wir zuhause hatten, hat mich dermaßen abgestoßen, dass da nichts zu machen war:
Der hässliche tänzelnde Kobold oben im Bild irritierte mich, und dieser komische Drache mit den ungleichmäßigen Hörnern und den regenbogenfarbenen Insektenflügeln guckte dermaßen dämlich aus der Wäsche und wirkte mit seinem übermäßigen Unterkiefer und katzbuckelnd derart bescheuert, dass ich für das Buch nicht zu begeistern war.
Offenbar war das Drachenwesen der kleine Hobbit, so dachte ich mir, und offenbar war sein Problem, dass er extrem klein ist, wie ja die Spinne vor ihm eindrucksvoll beweist. Und wahrscheinlich sollte dieser skurrile, armselige, barfüßige Zirkusclown oben ihm helfen und ihn unter seinem Zylinder verstecken. So mein Vorurteil.
Tatsächlich kam ich erst mit rund 15 oder 16 Jahren zum Hobbit, und das mitten auf der großen Kreuzung bei uns hier auf der Hauptstraße am S-Bahnhof. Ich war damals bei der Feuerwehr und war als Sicherheitswache für das Neubiberger Straßenfest eingeteilt. Ich stand also am westlichen Ende des Festgeländes mitten auf der Straße und bewachte die Absperrung. Meine Aufgabe war es, Verkehrsteilnehmern der Umleitung zuzuführen.
Da kamen zwei Mädels daher, etwas jünger, und zogen einen Handkarren mit Büchern. Da ich die Mädels kennenlernen wollte (in dem Alter lässt man ja keine Gelegenheit aus), fragte ich höflich, wo es denn hinginge mit den Büchern. Sie erzählten mir, dass es eine Ecke auf dem Straßenfest gäbe, wo man flohmarktmäßig Sachen verkaufen darf, und da wollten sie ihre alten Bücher loswerden. Ich fragte, ob ich denn auch mal durchsehen dürfe, ob mir vielleicht eines gefällt, ich kann hier ja leider nicht weg. (Außerdem wollte ich ja mit ihnen ins Gespräch kommen, vielleicht eine Telefonnummer und einen Namen abstauben und dann vielleicht irgendwann wilden hemmungslosen ersten Sex haben oder geliebt werden oder beides.) Nun, sie freuten sich über mein Interesse, und ich ging die Ansammlung von Büchern aller Art durch. Hierbei fiel mir The Hobbit in die Hände, und zwar in der hier gezeigten Taschenbuchausgabe.
Ich erinnerte mich an die Empfehlung meiner Eltern und musste die Sache mit dem Zirkusclown und dem kleinen Drachen revidieren. Dieser Drache hier gefiel mir, ganz besonders sogar die Totenschädel am Fuße des Schatzes. Der kleine Mann unten rechts viel mir zunächst nicht auf.
Für 50 Pfennig erstand ich das Buch, bedankte mich, und die Mädels zogen weiter (ich habe keine von beiden je wieder gesehen). Den restlichen Tag trug ich es in meinem Jackett der Ausgehuniform der Feuerwehr herum (so), und als ich es dann zu lesen begann, war ich sofort gefangen.
Den Herrn der Ringe hatten wir zuhause, aber ich war wieder sehr enttäuscht von dem meines Erachtens widerlichen Cover der grünen Box (Foto). Ich versuchte mehrmals, ihn zu lesen, starb aber vor Langeweile. Einmal schaffte ich es sogar, war aber nicht begeistert.
Erst später, als ich mir in Irland eine englische Version gekauft hatte (Foto), flutschte es. Zumal Irland auch eine ziemlich ideale Leseumgebung für solche Romane ist.
Lange Rede, kurzer Sinn: Der Hobbit lohnt sich.
Julian at his best!
Guter Text. Hat Spaß gemacht, ihn zu lesen 🙂