Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld

Diesen Film müsste man sicher noch ein zweites Mal unter die Lupe nehmen, um den ersten Eindruck zu bestätigen oder auch zu verwerfen: Miguel Gomez, der Regisseur, der mit Marian Ricardo auch das Drehbuch geschrieben hat, nimmt ein Stück portugiesischer Gegenwart genauer in Augenschein, um erstaunliche Spuren längst vergangen und vergessen geglaubten Kolonialismus vorzufinden. Wobei das nur die eine Sache ist. Die andere ist eine ziemlich unglaubliche Liebesgeschichte, die vor Zeiten am Fuße des Berges Tabu sich abgespielt hat. Wobei der Begriff „Tabu“ im Titel sicher auch filmgeschichtlich ein Stück weit abgesichert ist, wenn sich der Film auch nicht als ausdrückliche Hommage an F.W. Murnaus gleichnamigen Film zu erkennen gibt.

Zuerst glaubt man sich im falschen Film. In quadratischem Leinwandformat und in ganz simpler schwarz-weiß Machart, erinnernd an frühe Ethnofilme, werden wir Zeuge einer Geschichte eines Weißen in Afrika, ein Europäer, der aus verzweifelter Liebe das Abenteuer in Afrika sucht. Das war aber kein Vorfilm im Sinne eines Vorfilmes, das war eine Kinovorführung, in der unsere erste Hauptfigur, Pilar, gespielt von Teresa Madruga, als Zuschauerin sitzt.

Bald erfahren wir über Pilar, dass sie eine sozial engagierte Frau ist, auch politisch engagiert in Schweigeminuten und Protestdemos gegen Krieg, für Frieden, gegen Ungerechtigkeit; sie ist religiös, selbst während der Schweigeminute spricht sie pausenlos improvisierte Gebete. Sie hat Verständnis für ihre extravagante, exzentrische Nachbarin, eine durchgeknallt wirkende ältere Dame, Aurora, mit einer schwarzen Haushilfe, Santa.

Aurora hat eben in einem Spielcasino ihr ganzes Geld verjubelt und kann sich nicht mal mehr die Rückfahrt nach Hause leisten. Die gütige, religiöse Pilar holt sie zusammen mit Santa ab. Über Santa gibt’s eine schöne kleine Seitengeschichte, wie sie in einer Gruppe mitmacht von Leuten, die sich helfen wollen, und wie sie jetzt ein Buch gefunden hat, das sie inspiriert und das sie gerne liest: Robinson Crusoe. Während Dona Aurora eine Spielsüchtige ist, extravagant bis dort hinaus, von behaarten Männern und Krokodilen träumt und die halbe Welt als verhext ansieht.

Und auch Pilar hat ihre kleine Liebesgeschichte laufen, mit einem Veteranen, der jetzt Maler ist. In ihrer Wohnung hängt ein Bild von ihm. Das behagt der extravaganten Nachbarin nicht, so tauscht Pilar es aus. Mit ihrem Freund nimmt sie unter anderem an einer Höhlenbesichtigung teil. Dieser Freund hat etwas gegen die Taizé-Leute (eine Anhängerin aus Polen wollte Pilar besuchen und hat sie versetzt) er meint, die Taizé-Leute stopften sich mit Puddingtörtchen voll.

Der Film ist in zwei Teile unterteilt.
Der erste spielt im heutigen Portugal und erzählt die Nachbarschaftsgeschichte von Aurora und Pilar bis zum Tode von Aurora, die noch einen letzten Wunsch hatte. Die Zwischentitel geben einzelne Tage an, beginnend mit dem 29. Dezember und sie gehen bis zum 3. Januar. Da ist Aurora schon tot. Somit Grund, in die Vergangenheit von Aurora zu tauchen, dem letzten Wunsch von Aurora nachzugehen, recht Überraschendes mit jetzt einer jüngeren Darstellerin als Aurora, zu zeigen.

Der zweite Teil ist überschrieben mit „Paradies“, Afrika. Eine traumschöne, extraprivilegierte Kolonialzeit-Jugend. Der Film wird weiterhin in diesem quadratischen Schwarz-Weiß gezeigt. Aber statt einer Unterteilung in Tage, sind jetzt einer Reihe von Folgemonaten, die sich der Film vornimmt, zeitmaßsetzend.

Aurora war eine Berühmtheit in Afrika, sie war die beste Großwildjägerin. Dieser zweite Teil wird jetzt aus der Sicht von Ventura erzählt, den Pilar, allerdings zu spät, für Aurora als letzten Wunsch ausfindig gemacht hatte. Ihn sehen wir in diesem zweiten Teil als attraktiven jungen Mann mit Schnauzer, Weltfilmkaliber, der keine Frauenkost verachtet, aber mit der verheirateten Aurora war es wohl was ganz Besonderes.

Aurora war mit einem Teefabrikanten verheiratet und bereits schwanger, wie das unbändige Verhältnis zu Ventura in Gang kam, mit wilden Poolparties und einem kleinen Krokodil, mit einer weiteren abenteuerlichen Figur, Mario, einem, dem das Priestertum nicht lag und der dafür eine Band gegründet hat, die immer wieder für schöne Einlagen sorgt.

Ganz nebenbei erfährt man von Massakern, die verübt worden seien, von einer Erhitzung der politischen Lage. Nur kann das das Liebesabenteuer zwischen Ventura und Aurora nicht bremsen. Und lässt dieses Liebesverhältnis mit fortschreitender Schwangerschaft zum immer wahnwitzigeren Alptraum werden.

Miguel Gomez inszeniert das mit trefflich-treffsicherer Hand und so, als wären es Dokumentaraufnahmen aus jener Zeit, wobei er nebst den menschlichen Abgründen das Paradiesische am kolonialistischen Afrika nicht zu kurz kommen lässt.

Ein Film, den man auch ohne Probleme an „Tagen des ethnologischen Filmes“ zeigen könnte, so wahrhaftig scheint er trotz aller Alptraumhaftigkeit. Ein Film der eine überraschende, schmerzhafte Verbindung zwischen dem Heute und dem Kolonialismus, dem vergangen geglaubten, herstellt.

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