Exquisit gepflegte Reflexion über heutiges Filmemachen anhand der mit gelegentlichen Fragen verbundenen Beobachtung von Viktor Kossakovsky während der Dreharbeiten zu „Vivan las Antipodas“.
Diese Dokumentation von Carlos Klein spielt selbst gern mit dem Bildmaterial von Meer und Eisbergen in Patagonien, liebt den Kondorflug. Denn der war der Auslöser, dass Viktor Kossakovsky ihn gefragt hat, ob er bei den Dreharbeiten in Patagonien mitarbeiten würde zu seinem weltumspannenden Projekt, das Ortschaften, die auf der Erdkugel diametral entgegengesetzt liegen, teils sehr experimentell fotografiert – und wie wir nach diesem Film hier wissen, auch nachhelfend inszeniert.
Vielleicht repräsentiert Kossakovsky einen Künstlertypus der alten Schule, der Urkünstler, der sein Handeln nicht rational begründen kann. Oder der typische Hofkünstler mit Hofnarrenfreiheit. Er gibt vier Regeln mit auf den Weg: keine Filme zu machen, wenn man das Bedürfnis dazu nicht habe, keine Filme zu machen, wenn einer glaubt, er habe was zu sagen oder wenn einer schon vorher zu wissen glaubt, welche Message er verbreiten will, also das Lehrhafte und die vierte Regel, kein Künstler solle sich an diese Regeln handeln.
Es ist die absolute klassische bürgerliche (?) Künstlerautonomie, die Kossakovsky lehrt und lebt. Aus der Zusammenarbeit mit Klein ist dann mehr geworden; Klein hat Feuer für das Projekt gefangen und war dann weltweit involviert, darum gibt es hier auch Aufnahmen aus Neu Seeland, China, Argentinien, Sibirien, Spanien, Afrika, letztere allerdings nur am PC.
Künstlerautonomie also, der Künstler muss Spaß haben, er muss einfach überzeugt sein, das Richtige zu tun; dafür wird er kämpfen; eher wird keine Tonaufnahme beim Filmorchester in Berlin gemacht als irgend eine, die nicht stimmig ist – so ähnliche Argumente und Begründungen für das Künstlertum haben wir im Dokumentarfilm über Gerhard Richter zu hören bekommen – der Erfolg gibt diesem recht.
Das Herz ist der Maßstab. Das Gefühl. Der Geschmack vielleicht auch. Wie also Kossakovsky mitfiebert, wie die russischen Frauen aus Sibirien ihre Lieder vom mit dem Schnee bedeckten Pfad singen, wie er erst mitfiebert und Gefühlsevolutionen, -revolutionen durchlebt, bei der Aufnahme mit dem Filmorchester, bis zu Tränen ist er gerührt und nachher sichtlich geschafft, weil er es als so stimmig empfindet.
Es ist ein Künstlertum, was sich hier zur Diskussion stellt (oder auch nicht stellt, wenn Kossakovsy einen schlechten Tag hat und den Interviewer fast anbellt, was er denn wolle), ist ein Künstlertum, was es beim deutschen subventionierten Film nicht mehr gibt. Hier fällen die letzten Entscheidungen Gremien. Entsprechend schauen die Filme aus.
Immerhin hat der Antipodenfilm wunderbare Spielereien hervorgebracht, die gedanklich anregend sind. Kossakovsky hat für diesen Film einen extremen Maßstab angelegt; dieser Film musste besser sein als ein normaler Dokumentarfilm. Darüber räsoniert er in Russland, im Auto sitzend auf einer erdigen, halb zugefrorenen Dorfstraße hinter leicht verschmierten Autoscheiben, die herrliche Effekte hervorbringt und die Leute, die sich bewegen, ob der Mann mit dem Kinderwagen oder die Frau mit Kind, die er als Juwelen betrachtet, als Goldstücke, und was ihn einfach glücklich macht, wenn er so etwas, genau so wie den einsamen Reiter aus Patagonien zuhause bei seinen Katzen filmen kann; aber die russische Dorfstrasse, die war nicht gut genug für seinen Film, für den Antipoden-Film, der argentinische Reiter, der kein Interview geben wollte (worauf K. meinte, er möge es eigentlich auch nicht, wenn man ihn nach seinen Eltern etc. frage), der war zuhause mit den Katzen, die er heftig verjagt, gut genug und auch gut erinnerlich. Am Set selber ist K. immer höchst lebendig, höchst emotional, aber auch höchst konzentriert, weiß auch wann genug ist; höchst impulsiv und macht mal ein Tänzchen, wenn es ihn freut oder lässt sich einen steilen Abhang runterrollen in felsigem Küstengebiet. Wie ein Wonnepfropfen.
Das wilde malerische Patagonien hält unser Dokumentarist auch mit seiner Handschrift kinowunderbar fest.
Natascha geh ums Himmels willen aus dem Weg. Shit. Fuck.
Scheuch sie zurück (die Enten).
Shit, ich brauche eine neue Batterie.
Its important, its about life. Life is much more than truth.
Er glaubt nicht, dass jemand seine Filme braucht. Aber manchmal kommts ihm halt in den Kopf und dann muss er einen machen.
Jeder glaubt heute, Filme machen zu können.
Jeder Schuss gibt ihm neue Ideen, den Film weiter zu bauen.
Er arbeitet „completely improvised“, die Natur hilft ihm.
You have to open your eyes.
Er hält sich nicht für wichtiger als eine kleine Spinne, die er auf einem Fensterbrett vorfindet.
Demut vor der Schöpfung.
This film makes me happy. … because this man exists.
Die Ähnlichkeit des angestrandeten Wals in NeuZealand und der Felsenformation im Antipoden in Spanien. Ein Wunder.
Den Tonmann, der ihm Töne bringt, die ihm nicht passen, herrscht er an, er solle nicht seine Depression in die Kunst einbringen, er solle ans Meer fahren, sich eine Freundin nehmen.
Bei jedem Film habe ich einen meiner besten Freunde verloren. Zu teuer, nicht?
Filmorchester: Sie spielen emotional an einem falschen Ort, sie schauen aufs falsche Bild.
Einen Helikopter in Shanghai chartern, das muss man einen Monat vorher anmelden und kostet ziemlich was. Während ein Heißluftballon in Südamerika, den zwei Männer mit allen Kräften an einem Seil festhalten, das ist machbar.
Kossakovsky schimpft oft, nie aber ist er böse. Heftig, aber immer sachlich heftig, nie persönlich angepisst.
Für Filminteressierte und eine spannende Ergänzung zum Film „Vivan las Antipodas“