Und am Schluss war es leider doch nur ein maßlos überhöhtes, schier schnulziges Zelebrieren der eigenen Abdankung (in dunklem Anzug mit weißem Hemd und ohne Krawatte) des Sonderrockmusiker James Murphy, welche dokumentarisch von Willy Lovelace und Dylan Southern festgehalten wurde.
Die beiden Dokumentaristen haben die Tage vor und kurz nach dem kalkuliert propagierten letzten Auftritt von Murphys Band LCD Soundsytem begleitet und aus dem Material und dem letzten Konzert im New Yorker Madison Square Garden mit 20’000 Zuschauern diesen Leichenbegängnis-Film zusammengeschnitten.
Dabei fing es gar nicht so schlecht an. Mit einer schönen, leicht verdaulichen Mischung aus Privataufnahmen zuhause, im Bett, weißes Zimmer und dem Hund, der Kaffeemaschine, mit dem Aufbau für das Konzert im Madison Square Garden, mit dem Anfang eines Interviews mit einem intelligenten und gelegentlich auch insistenten Journalisten etwa eine Woche vor dem entscheidenden Konzert. Auf seine Fragen kamen Antworten, die einen beschäftigen. Dass er nicht unendlich viele Tourneen wie andere Rockmusiker machen wollten. Er führt als Begründung an, dass er nach so einen Trip immer mehr graue Haare habe als vorher. In einem Jahr wo er nicht auf Tournee gehe, dagegen nicht. Wie er erst mit etwa 30 Rockmusiker geworden sei. Wie ihn London sehr angeregt hat. Wie er in New Jersey nur blöd angemacht worden sei, wie man dort schnell eine Schwuchtel genannt werde. Wie er sich intensiv mit den Großen der Rockmusik beschäftigt habe. Auch damit, wie die Leute ihre Idole kopierten oder zu verehren versuchten, indem sie zum Beispiel eine entsprechende Sonnenbrille tragen.
Für das Abschiedskonzert kamen einige Zuschauer in weißen Ganzkörperanzügen, die die Murphey Band gelegentlich auch getragen hat. Aber die Antwort auf die Frage, was seine Fans denn tragen müssten, die blieb Murphy schuldig. Nach einer Viertelstunde des Filmes gibt es den ersten Song in der Halle. Der Star kündigt an, dass es ein langer Abend werde, dass man auch Pausen machen werde im gegenseitigen Interesse. Da gehen die Dokumentaristen mit in den Backstagebereich.
Den Abend selbst fängt er an mit einer Ansprache ans Publikum, das sei ein Begräbnis, lassen wir es doch das beste Begräbnis aller Zeiten werden. Das könnte schon nachdenklich stimmen. Warum will einer nicht einfach ein gutes, ein einmaliges Konzert, sondern gleich das beste aller Zeiten. Ziemlich überehrgeizig der Herr Murphy, will mich da da erste Mal dünken.
Der Interviewer fragt ihn nach dem Grund, warum er gerade jetzt aufhöre, Rockmusiker würden doch nur in drei Fällen aufhören, wegen Drogen, wenn es bereits viel zu spät ist und drittens, why walk away. Murphey weiß keine rechte Antwort darauf, das mit dem Kaffee und dem Spazieren nimmt man ihm nicht ab und der Schluss des Filmes scheint so, wie er überhaupt nicht enden will, eher ein Hinweis darauf, dass es diesem Rockmusiker vor allem darum geht, ein starhaftes Alleinstellungsmerkmal zu erreichen, er wirkt immer total beherrscht, total kalkuliert und selbst verwundert, dass seine ganzen Kalküls aufgegangen sind, zum Beispiel ein Song, in den er rein lexikalisch die Namen sämtlicher Rockstars einpackt, namentlich einpackt und sich damit über diese erhebt („I am loosing my Edge“).
Auch die Argumentation im Interview, dass er nicht diese Routinekonzerte machen wolle, sondern sich immer den Spaß an der Musik bewahren wolle und darum lieber in privaten Klubs aufgetreten sei, hört sich sehr künstlerisch an, obwohl er auf die Frage, wo das Künstlerische anfange, wiederum keine konkrete Antwort geben kann. Dass er sich gegen das Branding, die Marke, die er dann nur noch zu erfüllen habe, sträubt. Das gefällt mir durchaus. Wobei er konträr zu dieser Meinung andererseits ein „Marke“, ein „Zeichen“ hinterlassen wolle.
Ganz klar scheint nicht zu sein, was Murphey will. Ob er womöglich mit all dem Erreichten überhaupt nicht zufrieden ist.
Dann wiederum, weil er was „echt“ machen möchte. Dann verstehe ich aber die ganzen Ansprachen an das Publikum gegen Ende des Konzertes überhaupt nicht mehr.
Die Frage, bei der der Interviewer insistierte, und auf die Murphy zuerst auswich und dann nur eine fadenscheinige Antwort gab war die, erfolgreiche Rockmusiker würden mit dem in Erinnerung bleiben, was sie falsch gemacht hätten, ihr größtes „failure“, was war das von Ihnen Murphey? Erst fällt ihm gar nichts ein und dann ein windelweiches, vielleicht dass er jetzt schon aufhöre. Der wache Betrachter im Kino könnte ihm da zurufen: schau mal, wie sich die Zuschauerreihen im Madison Sqaure Garden bereits gelichtet haben! Er scheint also an die eigene Perfektion zu glauben – und das ist doch ein knalliger Widerspruch zu einem echten Rockmusiker. Das beweist doch, dass Murphy nur ein berechnender Karrierist sein kann und aus purer Angst, er könnte Misserfolg haben, den Erfolg so durchkalkuliert hat, um ihn rechtzeitig abzubrechen.
Mitten im Konzert, wenn man ihn so beherrscht agieren sieht – auch wenn er gegen Ende des Abends doch recht erschöpft wirkt – könnte man in ihm auch den absolut skrupellosen Diktator sehen. Um den herum die Puppen tanzen. Aber da war eh schon zu viel Alk hinter der Bühne mit im Spiel.
Dass sie sich, also die Musiker, mitten im Konzert wie 20-Jährige fühlen, das mag ihrem Gefühl entsprechen, nicht aber dem Eindruck von mir als Zuschauer.
Auch dass seine ganze Karriere nur einem Gedankenkonstrukt entsprang, ist immerhin eine ganz neckische Antwort, statt dass da einer heuchelt, er habe schon immer davon geträumt.
Die Musik selbst, das Ereignis ist Elektronik pur, mit Stimme, mit Lichtergüssen aus unendlich vielen Quellen, alles vibriert, ein elektronisches gepowertes Naturereignis aus Sound und Licht und Vibration. Ob es mit Musik noch was zu tun hat im herkömmlichen Sinne, ist eine andere Frage. Ein Massenereignis. Die Masse wogt mit, dicht an dicht. Musik wie auf feuerspeienden Schlunden, vulkanisch, elektrovulkanisch.
Nach etwa einer halben Stunde Mix aus alle dem fängt der Konzertmitschnitt an zu dominieren.
Was natürlich für mich fast noch spannender wäre, die Zuschauer zu studieren, die sehen in manchen Schnitten doch recht intellektuell aus. Was die wohl motiviert? Was ihnen das Konzert gebracht haben mag?
Verabschiedungsselbstbeweihräucherung.
Er kann nicht aufhören, obwohl ihm die Zuschauer schon davon laufen.
Systematisch kalkulierter Karrierist ohne Fehler.
Selbstbegräbnis zu Lebzeiten. Wer träumt nicht davon.
Sicher hat er Gaben, sicher hat er überdurchschnittliche Intelligenz, aber er weiß letztlich nicht wohin damit. Er hat ein Problem mit der eigenen Größe, wie der Rattengift in Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“, der ob seinem eigenen künstlerischen Genie erschrickt. Murphy erschrickt nicht mal. Um so mehr vielleicht der eine oder andere Zuschauer.