Cloud Atlas

Wie fleißige Stickerinnen, die einen jeden Stich in der Stickerei vom Kreuzstich über den Margeritenstich zum Spannstich zum Kettenstich aus dem Effeff beherrschen, haben Tom Tykwer und die Geschwister Wachowski aus den 6 Geschichten aus dem Roman von David Mitchell, ein eindrückliches, bestens verzahntes, cineastisches Wunderwerk gefertigt, vergleichbar einem opulenten Brüsseler Wandteppich.

Durch dieses ganz genaue Ineinanderfügen der Szenen aus den unterschiedlichsten Zeiten und Geschichten (mit ganz losem Zusammenhang), die aber immer wieder von denselben, nur anders kostümierten Darstellern gespielt werden, entsteht eine dichte Kontinuität, in der es sicher nicht darum gehen kann, die einzelnen Geschichten heraus zu filetieren und exakt nachzuerzählen, geschweige denn, aufzudröseln, wer in welcher Szene wen gespielt hat, das wäre zum Verzweifeln, sondern es geht wohl mehr darum, in einer aparten, heutigen Kinosprache Gehalte aus dem Roman zu formulieren und zu visualisieren.

Es geht um Sklaverei und Illegalität, um Freiheit und Unterdrückung, um Liebe selbstverständlich, um den Wunsch nach Selbstmord, um das Klonen von Menschen (Biomasse), um Städtebau, um das Komponieren des Sextettes „Cloud Atlas“, auch um Verfolgung, Verfolgungsjagden, Schießereien, Manipulation des Menschen, um Glauben, das Karma und das Töten, um die Frage, was nach dem Tod kommt, ob der Tod nur eine Tür sei. Dass Hoffnung sei. Eine Überfülle an Themen, die dem Kino nicht unbedingt entgegenkommt.

Die sechs Wirkfäden dieses vereinnahmenden, überwältigenden Bildteppichs sind: 1) eine Seefahrer-Geschichte aus der Zeit der Sklaverei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 2) die Liebesgeschichte eines Komponisten zu seinem Liebhaber um 1930, 3) eine gefährliche, politische journalistische Recherchearbeit in den 70ern des letzten Jahrhundert, 4) das Martyrium des Timothy Cavendish in einem heutigen Altenheim, 5) eine futuristische Klongesellschaft im Jahre 2044 und 6) eine wieder mittelalterlich anmutende Naturgesellschaft nochmal 126 Längen nach dem Untergang, bestückt aus dem Fundus von Mittelalter- und Voodoo-Filmen, paradiesische (filmische) Ur-Situationen beschreibend, die so glücklich auch nicht sind.

Zu den verschiedenen, gekonnt und kino-üblich dargestellten Count-Downs gehören eine Auto-Verfolgungsjagd im San Francisco der 70er Jahre, ein grotesker Ausbruchsversuch aus dem Altenheim Aurora im Heute inklusive einer herrlichen Erbschaftsgeschichte, wie eine richtig schräge Kinokomödie voll warmen, schwarzen Humors und ferner ein science-fiction-actionhafter Fluchtversuch in der futuristischen Stadt.

In den meisten Geschichten nehmen sich nach den knapp drei Stunden Film zwei Menschen in die Arme.

Und was heißt jetzt wieder Adieu? Doch á Dieu! (eine kleine Wortspielerei irgendwo in der Geographie dieses Wolkenatlasses).

In der ersten Phase war ich noch sehr damit beschäftigt, wenigstens Tom Hanks versuchsweise an Habitus und Weltbefindlichkeit zu identifizieren – und dann war es doch nur Tom Hanks.

Dann hing ich etwas am „Exzidieren von Duplikaten“ in 2044, wo es eine dienende Unterwelt gibt, die in der Oberwelt Service leistet, Metropolis in die Zukunft verlegt.

Stellenweise schien mir, ich wohne einem etwas lang geratenen Trailer zu einer Menge von Filmen bei. Oder ich sässe an einer cinematographischen Tafel „all you can eat“ von heutigem Kino.

Ein anderer Eindruck in der ersten Phase des Filmes war, dass die noch viel kürzere Szenenintervalle einsetzen, als das Fernsehen sie mit seiner Cliffhängerpraxis zum Übelwerden betreibt. Das ist hier aber außerordentlich elaboriert praktiziert worden und wird bald erkennbar als das Spinnen eines eigenen, wolkigen Entwurfes einer Geschichte. Und nicht nur sind die Fäden in einem cineastischen Wirkteppich miteinander verbunden, das wird hier dediziert als ein Abbild dafür genommen, dass auch die Menschen und ihre Schicksale miteinander verbunden sind. Dass kein Mensch unabhängig, absolut, ohne einen Zusammenhang ist. Das erzählen uns diese Kinozauberer.

Filmgeschichtlich dürfte „Cloud Atlas“ eine einsame Rarität und ein sperriges Unikat bleiben, sperrig gegen begriffliche Schubladisierungen wegen der Vielfalt von Themen, Genres und Zeitebenen, die allerdings durch die Mehrfachbesetzungen und tüftelig-stickereihaft verzahnte Montage eine Kontinuität von einem überwältigenden Eindruck hinterlässt wie ein wundersames Wolkengebilde – das sich aber erfahrungsgemäss schnell wieder verflüchtigen kann.

Ein Gedanke zu „Cloud Atlas“

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