Zwillingsbrüder – 53 Szenen einer Kindheit (Filmfest „überall dabei“)

Beinhart muss sich Axel Danielson, Autor und Regisseur dieses Filmes, vor über zehn Jahren entschlossen haben, mit der Kamera auf die Entwicklung seiner damals 9-jährigen Neffen nah drauf zu halten.

Zwei blonde, blauäugige schwedische Buben, Zwillinge, Gustav und Oskar, mit dem Unterschied, dass Oskar an Achodroplasia leidet, einer Krankheit, die Zwergenwuchs zur Folge hat. So entstand ein familiäres Portrait über zwei Junge Männer in der Phase Lebens, das vom Gegensatz größter Sensibilität einerseits und auch Härte und Grobheit, Entwicklung männlicher Schalen andererseits, von Identitätssuche und Verlust der Kindheit gekennzeichnet ist. Wobei sicher nie zu unterschlagen ist der Einfluss des Dokumentaristen, auch wenn er noch so familiär ist, das Bewusstsein des Vorhandenseins der Kamera dürfte speziell in den härteren pubertären Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern und vor allem der Mutter, sagen wir mal: zivilisierend gewirkt haben.

Axel Danielson geht chronologisch vor, ohne zu nummerieren fügt er die 53 Szenen mit Schwarzüberblendungen aneinander. Die Kinder wohnen mit Anna, der Mutter und Kaj, dem Vater im Süden Schwedens am Meer. Paradiesische Zustände, Schweine, Hühner, ein Hund, ein Traktor, Schafe, Meer.

In einer der ersten Einstellungen stellt sich Axel selbst vor, dass er die Kinder über einen längeren Zeitraum immer wieder filmen werde. Zu diesem Zeitpunkt sind die Buben neun Jahre alt. Gustav ist bereits einen Kopf größer als Oskar, dessen Proportionen von Kopf zu Rumpf und Gliedern schon deutlich anders ausfallen. Sie spielen Fußball zusammen, beschäftigen sich mit den Tieren, beobachten die Lämmer, das eine ist das von Oskar, das schwarze und das helle ist das von Gustav.

Ganz früh im Film stellt der Dokumentrist auch Fragen an die beiden Buben, was sie werden möchten? Gustavs Antworten sind stereotyper, Vogelberinger oder Künstler, meint er und Angst habe er vor schwarzem Wasser. Oskar dagegen möchte lange leben, Spaß haben; Angst hat er davor, dass man als Erwachsener ins Gefängnis kommen könne, wegen Trunkenheit am Steuer, wegen zu schnellen Fahrens oder Bauens eines Unfalles.

In einer späteren Phase zeigt Danielson die Gebrüder, wie sie in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer schlafen, vorher hat sich Oskar nackt in einem Schuppen, wo sein Spielzeugraum ist, zu schaffen gemacht; er hat aber betont, dass das sein Raum sei und Gustav nicht rein dürfe. Auch schlafen tut er nackt und gar nicht zugedeckt, während Gustav sich unter die Decke verkriecht. Man sieht sie Buben einträchtig beim Fußballspielen, beim Geschichten vorlesen, beim Baden im Meer, Kinderstandardsituationen; aber die Entwicklungen driften markant auseinander, im Laufe des Filmes werden der gemeinsamen Unternehmungen weniger.

Gustav sitzt in seinem Zimmer und übt summenderweise eine Melodie, die er auf eine Papierblatt vor sich hat. Oskar färbt sich derweil die Haare schwarz, rasiert den halben Kopf kahl, sticht sich Nadeln ins Ohr, macht sich zum widerborstigen Punk und trägt Unterwäsche und Kleider von Gustav. Dann sind sie aber wieder gemeinsam beim Querfeldeinfahren mit dem Rad. Es folgt der erste Alkoholrausch von Gustav, ihm geht’s gar nicht gut, er muss erbrechen, die Stimme ist inzwischen tiefer geworden.

Danielson bleibt hart am Fahrtwind der Realität, so kommt das zumindest rüber. Zwischendrin sieht man die Brüder wieder zusammen, wie sie Steine auf Metallplatten werfen. Dann taucht Gustav im Wasser. Derweil kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Oskar, wo er sich immer rumtreibe und er solle gefälligst sein Handy mitnehmen; wozu? Die Mutter macht sich Sorgen, erinnert an Unfälle, die er gehabt habe, gebrochener Arm, gebrochenes Bein oder angefahren – unkommunikativ versucht Oskar derweil, sich eine Stulle zu schmieren, Mutter ist völlig fertig. Auch das Zeugnis von Oskar ist nicht besonders, Klassenziel nicht erreicht, aber seine Kreativität am Computer sei ungewöhnlich.

Gustav kümmert sich um Pferde, die von Mädchen geritten werden, es zieht ihn aber mit seinem Raben in die Natur hinaus. Das wird ihm später sein Bruder heftig vorwerfen, was er dort suche. Gustav trifft auch das erste Mal ein Mädchen, da ist er doch sehr verlegen, wie die beiden auf der Treppe vor dem Haus sitzen und da stört ihn die Kamera, das sagt er jedenfalls mit einem Blick. Es muss auch Grenzen geben bei einer Dokumentation.

Bei Oskar zeigen sich andere Probleme, die Beine wachsen nicht gerade und nicht gleich schnell; er braucht Operationen. Später kommt es zu Begegnungen mit aggressiven anderen jungen Männern, da sind Wörter wie Schwuchtel oder Weichei aggressionsgeladen und Idioten, die einen begrapschen, sind gar nicht gern gesehen. Es folgen ernsthafte Gespräche der Brüder über Ziel und Sinn des Lebens , auch über Geheimnisse, die man bewahren muss geht es und dass der eine den anderen gar nicht mehr als Bruder sehen möchte. Die haben sich krass auseinander entwickelt.

Oskar sieht man bei den ersten Schritten ins Leben: er hat einen Sozialdienst in einem Altenheim absolviert; richtig schön konzentriert, wie er mit einer alten Frau Papierservietten faltet oder wie er dem Abendmahl beiwohnt, da ist sein Gesicht ganz entspannt und friedlich. Dagegen wird dann gleich wieder eine heftige Diskussion zwischen Mutter und Söhnen gesetzt, die ohne die Anwesenheit des Filmemachers vermutlich heftiger hätte ausarten können. Denn Gustav hatte keine Lust nach Hause zu kommen. Mutter-Sohn-Konflikt fast bis zum Äußersten.

Zum guten Schluss zeigt uns Danielson die beiden Söhne je einzeln auf dem Fahrrad und in der Szene mit Oskar legt er offen, dass das alles zwar Realität sei, aber durchaus auch inszenierte Realität, denn Oskar soll auf seinem kleinen Fahrrad nochmal eine Runde auf dem Hafengelände drehen. Und Gustav lässt er mit nacktem Oberkörper mit Rucksack auf dem Fahrrad ins Land hinausfahren. Seiner Zukunft entgegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert