Start des wandernden Filmfests „überall dabei“ in Berlin

Inklusion statt Integration Behinderter, das ist das erklärte Ziel des wandernden Filmfests „überall dabei“, aber auch das Ziel der es ausrichtenden Aktion Mensch selbst. Inklusion ist völlig gleichberechtigte Integration, also Teilhabe statt „nur“ Aufnahme von Behinderten in die Gesellschaft.

Um dem Thema Gehör zu verschaffen, hat die Aktion Mensch in Zusammenarbeit mit einigen Kooperationspartnern sorgsam ein Bündel von Filmen zusammengestellt, die das Thema einer breiten Öffentlichkeit nahebringen soll. Leider werden Behinderte auch heute noch beiseite geschoben, übergangen, ja geradezu versteckt. Ein paar Lifte in U-Bahnhöfen oder Rampen in Bussen reichen noch nicht, um Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft zu integrieren. Zumal Behinderungen in mannigfaltiger Breite auftreten, geistig und körperlich sind da nur ganz oberflächliche Unterscheidungskriterien.

Für ein reines Gewissen reicht es ebensowenig, Behinderten eine Behindertenwerkstatt an den Stadtrand zu bauen, ein paar Bufdis anzuwerben und das Thema als erledigt zu betrachten. In den Köpfen der Menschen muss sich der Bezug zu Behinderten ändern.

So auch die Kernaussage der heutigen Auftaktveranstaltung von „überall dabei“ (Schirmherr: Guildo Horn). Ich bin extra nach Berlin gefahren (geladen worden), um über den Startschuss zum Festival berichten zu können. Und ich bin ziemlich beeindruckt, was da auf die Beine gestellt wurde.

Theater RambaZamba, hier "La Paloma"Zum Auftakt gab das Theater RambaZamba, ein inklusives Theaterprojekt, das schon seit 1990 existiert, ein paar Klassiker der Unterhaltungsmusik zum Besten, eingeleitet von einem furiosen Schlagzeugduell zweier Könner. (Es folgten die Songs: Die Wilde Mathilde, Über sieben Brücken musst Du geh’n, Micha mein Micha (Du hast den Farbfilm vergessen), Die fesche Lola, Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt, La Paloma, Keine Sorge, mir geht’s gut (aus der Nase rinnt das Blut).) Das Ensemble legte sich mächtig ins Zeug, um das in bequemen Kinosesseln flezende Publikum ordentlich in Fahrt zu bringen. Eine ziemliche Aufgabe, da die Bühne in einem Kino ja weit weniger prominent vor dem Publikum steht als in einem richtigen Theater. Entsprechend groß war die Freude, als der Auftritt voller Inbrunst und Kreativiät mit großem Applaus quittiert wurde. Man hörte die vor Freude kreischende und vergnügt quiekende Truppe selbst nach dem Abgang noch eine ganze Weile durch die Feuerschutztüren.

Im Anschluss kündigte Sascha Decker, der Pressesprecher der Aktion Mensch, noch einige Grußworte an. Neben Schirmherr Guildo Horn traten einige ausgewählte Gäste ans Mikrofon. So wies beispielsweise Hubert Hüppe, den Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, explizit darauf hin, dass es nur rund € 5.000 kostet, die Audiodeskriptionsfassung eines Spielfilms (eine beschreibende Hörfilmfassung) herzustellen. Das sei, so sagte er ganz zu Recht, „eine Summe, die sich jeder Filmverleih leisten kann“.  Schirmherr Guildo Horn und Aktion Mensch-Pressesprecher Sascha DeckerEs folgte ein Zeichentrickfilm über den noch eher wenig bekannten Begriff der Inklusion, dann sprach Martin Georgi, Vorstand der Aktion Mensch, über den weiten Weg, den die Inklusion Behinderter schon zurückgelegt, aber zugleich noch vor sich hat. Weitere am Festival und vor allem am Thema Beteiligte treten auf, darunter auch Sebastian Urbanski und Zora Schell. Sie sind zwei der Synchronsprecher für den nun folgenden schwedischen Spielfilm. Beide sind selbst behindert, die anstrengende Aufgabe der Synchronarbeit hat beiden großen Spaß gemacht, berichten sie vergnügt, aber auch ein wenig lampenfiebrig.

Es folgt der Spielfilm Die Kunst, sich die Schuhe zu binden (Kritik folgt) von Lena Koppel. Die Geschichte einer Gruppe Behinderter, die durch einen unerfahrenen und unausgebildeten Betreuer aus der strengen Routine des gesellschaftlich akzeptierten Organisiert-Werdens ausbricht, bewegt das Publikum. Zumal es sich um die wahre Geschichte des Glada Hudik Theaters handelt, das jahrelang schlimmen Vorurteilen begegnete – gespielt übrigens von Mitgliedern des echten Glada Hudik Theaters.

Nach dem Film entspannte sich eine angeregte Publikumsdiskussion, die sich um Themen wie Inklusion behinderter Kinder in reguläre Schulklassen und deren Folgen für alle Beteiligten oder die Forderung nach mehr WGs für behinderte Erwachsene in der Mitte der Gesellschaft (statt am Rand) drehte. Ein engagierter Vater eines Sohnes mit Down-Syndrom wies sogar darauf hin, dass die landläufige Bezeichnung „unter dem Down-Syndrom leiden“ irreführend sei, da die Betroffenen (das ist auch so ein Wort) im Grunde eine Menge Spaß hätten und ihr Leben in vollen Zügen genießen würden. Eine Mutter erzählte die bewegende Geschichte der neuen Freundin ihres älteren Sohnes, die ihren behinderten jüngeren Sohn aus dem Stand akzeptieren konnte und keinerlei Berührungängste zeigte, da sie zur Grundschulzeit in einer Inklusiponsklasse schon sämtliche Erfahrungen gemacht hatte, die man in diesem Bereich nur machen kann.

Die sehr bewegende Veranstaltung euphorisierte die Teilnehmer, da sie ihr Ziel, die Akzeptanz von Behinderten und den Aufruf zu anständiger Inklusion, voll ins Schwarze traf. Bei leckeren Häppchen, Prosecco und Orangensaft kam man sich im Foyer näher, diskutierte oder sinnierte, Behinderte und Nichtbehinderte, völlig ohne Grenzen. Ideal also.

Das Filmfestival „überall dabei“ läuft vom 20. September bis zum 26. September in Berlin, und zieht dann bis 8. Mai 2013 durch 40 Städte Deutschlands (Spielplan). Die Kritiken zu den sechs Festivalfilmen findet Ihr unter der Kategorie Filmfest oder dem Suchbegriff „überall dabei„, sie werden im Laufe des Freitags veröffentlicht.

Ein ausführlicher Bericht des RBB über das Festival auch hier oder hier.

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