Die Kunst sich die Schuhe zu binden (Filmfest „überall dabei“)

Eine anrührende Geschichte, die von Lena Koppel auch bewusst anrührend geschrieben und inszeniert worden ist und die dem Zuschauer genügend Platz fürs Gefühl lässt, ohne jedoch in Kitsch oder Rührseligkeit abzudriften.

Es ist die Geschichte von Alex, einem jungen Mann, der zwar Frau und Kind hat, aber irgendwie nicht so ganz auf dieser Welt lebt, der Theater spielen möchte, dort aber versagt und der auch nichts für den Unterhalt seiner kleinen Familie beiträgt, der nicht kapiert, warum er Termine einhalten soll. Durch die Arbeit mit Behinderten verändert Alex sich und wird ein verantwortungsbewusster Mensch.

Das kommt so: seine Frau hat die Nase voll von seiner Nachlässigkeit und dass er kein Geld für den Haushalt beiträgt, dass er es, obwohl er keinen Job hat, nicht mal schafft, das kleine Töchterchen aus dem Hort abzuholen. Sie schmeißt ihn raus. So steht er da ohne irgendwas, kein Job, kein Geld, keine Unterkunft.

In Hudiskvall hat er einen Bruder, der scheint erfolgreich im Leben zu stehen, spielt in einer Band und arbeitet in einem Lokal. Der ist wenig begeistert, dass Alex plötzlich mit einem Koffer vor der Tür steht. Nur ungern lässt er ihn bei sich auf der Couch übernachten. Ein Dauerzustand wird garantiert nicht daraus werden.

So meldet Alex sich beim Arbeitscenter. Ein Gemütsmensch par excellence und von einer ebensolchen Langsamkeit hinter dem Schreibtisch kann erst nichts für ihn tun, findet aber doch einen Job in einer Behinderteneinrichtung, da wäre sogar ein Zimmer dabei. So hat Alex keine Wahl.

Mit Behinderten, das stellt sich schnell heraus, kommt er viel besser zurecht als mit den sogenannten „Normalos“. Seine Chefin ist ein erstaunliches, blondes Püppchen von Mensch, die man sich zu allerletzt in so einer Position vorstellen würde, recht sexy, so gar nicht menschen- und mitleidtümelnd wie das Klischee vielleicht erwarten liesse. Aber sie sieht nur ihren Job. Und der steht oft im Widerspruch zwischen den besorgten Eltern der Behinderten und dem was ab jetzt besonders der Hans-Guck-in-die-Luft Alex mit ihnen so anstellt.

Er kennt sich ja nicht aus mit Behinderten. Für ihn sind diese wie Kinder, mit denen man Blödsinn machen kann, Dinge anstellen, zum Beispiel ein Baugerüst, was um eine Skulptur herum aufgestellt worden ist zu besteigen, aber ein Mongoloider unter seinen Schützlingen will nicht mehr runter, er klammert sich an den Steinkopf, Urängste artikulieren sich bei ihm, er ist mit keinem guten Zureden und schon gar nicht mit Gewalt runterzukriegen, so dass schließlich die Feuerwehr eingreifen muss. Das führt zu empörten Reaktionen von Elternseite.

Oder einmal, wie er mit dem Bus auf dem Weg zum „Paradies“ ist, das ist eine Hütte außerhalb, in der seine Schützlinge Holz zerkleinern und in Säcke abpacken, da drückt er auf das Gaspedal, man kriegt echt Sorgen um seine Passagiere und dann taucht noch ein Polizist auf. Der bemängelt allerdings nur, dass sie nicht angeschnallt sind, ja das hat der Luftikus eben auch vergessen, obwohl die Behinderten sogar ein richtiges Anschnall-Ritual eingeführt haben.

Der Titel des Films stammt von einer bestimmten Art der Beschäftigungstherapie, die regelmässig mit den Kindern im „Paradies“ ausgeübt wird, sie sollen an Modellschuhen und mit einer einprägsamen Geschichte lernen, Schuhe zu binden, was auch nach Monaten nicht den leisesten Erfolg zeitigt (und wozu gibt es Klettverschlüsse?).

Jedenfalls kommt die Idee auf, von wem, wenn nicht von Alex, mit seinen Behinderten als eigener Mannschaft in einem Talentwettbewerb im Fernsehen aufzutreten. Da dieser Auftritt nicht wie in einem Feel-Good-Movie gelingt, führt das zu weiteren Komplikationen und Erschwerungen der Arbeit von Alex. Einer der Jungs wird auch sterben, aber Alex dürfte längst kapiert haben, was Verantwortung ist.

Beim Antritt seiner Stelle muss ihm das Vordeklinieren des Satzes, dass Ordnung und Struktur nötig seien, noch als reine, abstrakte Theorie vorgekommen sein. Über diesen Lehrsatz und die entsprechende Praxis wird die Geschichte somit von Lena Koppel zu einem ausführlichen und schönen Ende geführt. Ein Kino-Abend eher im Sinne der Entschleunigung und der dadurch gewonnenen Lebens- (und Kino)qualität.

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