Deaf Jam (Filmfest „überall dabei“)

In diesem Film nimmt Judy Lieff, die Dokumentaristin, uns Kulturbürger und Kultur-Konsumenten mit in eine uns normalerweise weitgehend verschlossene Kultur-Region, in die Welt der Gebärdensprache als Ausdruck von Poesie und Dichtung, als Beitrag zum Poetry Slam.

Die Protagonistin heißt Aneta, sie ist eine russischstämmige Isrealin und lebt in New York. Sie besucht die Lexington Taubstummen-Schule in Queens, N.Y. Dort gibt eine Schauspielerin, die sich auf gebärdensprachlichen Ausdruck spezialisiert hat, einen Workshop, wie man sich in dieser Sprache in poetischer Form ausdrücken kann. Der Kurs heißt „Deaf Jam Poetry Project“ und zieht sich über ein Semester hin. Dichtung für Nichthörende.

Wie denn die Welt der Taubstummen für die Hörenden schwer zu erschließen ist. Um einen Eindruck davon zu bekommen, setzt Judy Lieff an den Anfang ihrer Dokumentation einige Szenen, die stumm ablaufen, die aber, wie es im übrigen Film der Fall ist, mit Untertiteln für Schwerhörige versehen sind. Man liest also, was man hören sollte. Sicher eine recht ungewöhnliche Erfahrung für den Hörgewohnten. Jetzt „leichte Pianomusik“, „ein leises Knacken“ „ein Räuspern“.

Die Sprache, in der der Kurs stattfindet, ist die ASL, American Sign Language, denn es gibt nicht die universelle Gehörlosensprache, jede Region, jedes Land, hat seine eigene Gebärdensprache. Sie erfordert große Wachheit vom Zuschauer oder vom Ansprechpartner, hohe Konzentration in den Augen – Kommunikation heißt der Schlüssel.

Rhythmus und Vibration sind entscheidende Elemente für diese Kommunikation. Die Schauspielerin verlangt von ihren Schülern viel: sie sollen nicht einfach Wörter „gebärden“, sie wolle Bilder sehen, sie sollen auf ihre Gefühle horchen, auf ihre innere Stimme, auf das was sie bewegt. Zum Beispiel kann man Wörter zerhacken, um Bilder entstehen zu lassen.

Hier gibt es einen kleinen Einschub mit einer historischen Aufnahme von Alan Ginsberg bei einer Lesung, die in Gebärdensprache übersetzt wird. Aneta nimmt sich die Beat-Generation zum Vorbild. Sie möchte zu einer ähnlichen Gedichtkunst gelangen. An einer Stelle sagt Aneta, dass sie viel gekämpft habe, denn Gehörlose werden in der normalen Welt brutal ausgeklammert, sie leidet drunter, dass sie mit den Hörenden nicht kommunizieren kann, sie möchte sich mit allen Menschen unterhalten und austauschen können; hier in Lexington sei es doch eine sehr kleine Welt; andererseits wiederum wird genau diese kleine, geschützte Welt als sehr angenehm empfunden.

Zur Kommunikation mit der übrigen Welt wird es kommen in diesem Film, zum mindesten mit einem kleinen Teil der übrigen Welt. Wir Hörenden können ja auch nicht mit allen Menschen kommunizieren. Wir fühlen uns schnell isoliert, wenn wir in ein Land kommen, dessen Sprache wir weder lesen, noch sprechen, noch verstehen können.

Es gibt die Angst von Aneta, was sie nach dem College in der realen Welt machen wird. Sie würde gerne studieren an der Gallaudetschule, aber dazu bräuchte sie einen amerikanischen Pass, den hat sie nicht oder 10’000 Dollar (Ermäßigung für Gehörlose; die anderen Studenten zahlen 30’000 Dollar).

Ein Thema sind die „Cochlear Implants“, Hörgeräte, die das Ende der Gebärdensprachenkultur bedeuten würde.

Das Ziel des Poetry Workshops ist ein Auftritt vor der eigenen Schule. Das wird ein Fest. Dann wird aber auch die Teilnahme an einem Poetry-Slam, der von Hörenden bestritten wird, angestrebt. Und es gibt einen kurzen Abriss der Geschichte der Gebärdensprache, die jeweils politische Haltung dazu. Alexander Graham Bell, ein Vorläufer der Rassenlehre von Hitler, der die perfekte Rasse züchten wollte und der Gehörlosigkeit mit der Genetik beikommen wollte. Aber die Gehörlosen geben sich nicht so leicht geschlagen, die werde man so wenig los wie die Kakerlaken, behaupten sie.

Jedenfalls gelangt das „UrbanWorld“ Slam-Team in einem Wettbewerb ins Halbfinale. Das geht allerdings nicht mehr ohne Dolmetscher, endet mit viel Applaus, aber leider nicht auf dem Siegerpodest.

Die Themen der Gedichte sind sowohl „Spermien“, als auch „Wrestling“ oder „der Bauch meiner Mutter“. Aneta ist das Politische am Wichtigsten, der Kommunismus. Die Geschichte im Film rundet sich zu einem glücklichen Ende, wie sich Aneta mit der Palästinenserin Tahani für eine Duo-Performance zusammentut: sprechende Palästinenserin und taubstumme Jüdin. Sie konnte die Bomben auf die Palästinenser-Gebiete nicht hören; und die Palästinenserin hat sich das Schlachtfeld nicht ausgesucht, 2 Dichterinnen, 2 Sprachen, ein Thema, der Frieden, letztlich: Liebe, Leben, Wahrheit.

Nicht-Hören ist eine andere Perspektive auf die Dinge – diese Perspektive versucht dieser Film dem Zuschauer näher zu bringen. Nun, beim eingefleischten Cinéasten dürfte das auf nicht allzu unfruchtbaren Boden fallen: der kennt noch die Stummfilme – sich daran zu erinnern und mit der Gebärdenperformance zu vergleichen kann sehr reizvoll sein.

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