Steve Oram und Alice Lowe, die beiden Protagonisten (und Autoren) dieses Filmes, nehmen uns als Chris und Tina mit auf eine britische Inland-Sightseeing-Tour. Sie praktizieren ein für unsere Verhältnisse zumindest bemerkenswertes Verständnis von interaktivem Tourismus.
Tina lebt in eher spießigem Milieu mit ihrer zur Zeit des Filmes am rechten Arm bandagierten Mutter, die immer noch ihrem Hund, einem Spitzterrier nachtrauert – der ist schon vor einem Jahr zu Tode gekommen, nicht ganz natürlich, wie die Rückblende uns glaubwürdig aufzeigt, und die in ihm einen wahren Freund gesehen hat, während die Tochter, eine studierte Tierpsychologin, lediglich und abschätzig als eine „Verwandte“ apostrophiert wird. Diese Erniedrigung mag vielleicht einiges von dem, was uns in den nächsten 90 Minuten erwartet in der prächtig und Lust auf Britannien verschaffend fotografierten Landschaft halbwegs erklären.
Ihr Freund Chris, den sie seit drei Monaten kennt, macht gerade ein Sabbatical und will in dieser Zeit ein Buch schreiben. Das hört sich sehr ambitioniert an. Dass Chris möglicherweise ein klein bisschen widersprüchlich ist, lässt sich nicht unbedingt auf Anhieb ersehen. Er ist ein strategischer Reiseplaner. Gleich zu Beginn werden auf einer Landkarte die Sight-Points mit Pin-Nadeln fixiert (Blue John Cavern und da ein Pub und dort ein Pencil Museum) und mit einem roten Faden, der die Reiseroute vorgibt, verbunden. Auch beim Beladen des Wohnanhängers, wie gemütlich und familiär, kontrolliert er anhand einer Checkliste, ob Tina alles reinträgt.
Chris muss einen hochentwickelten Ordnungssinn haben und kann schnell ausrasten oder es treibt ihn zur Weißglut, wenn ein Mensch sich nicht an die vorgegebene Ordnung hält (logisch, dass so eine Figur nur so vor Selbstgerechtigkeit strotzt); das zeigt sich in einer kleinen Szene bei einem der ersten Punkte der Reise, einer London-Tour in der doppelstöckigen Uralt-Tram, von der es nur noch zwei Exemplare gibt. Ein junger Schnösel von Tourist lässt das Papier, in das sein Eis gewickelt war, einfach auf den Boden fallen. Es folgt eine harsche Ermahnung von Chris, er kassiert dafür einen Stinkefinger – nicht gut für den emotionalen Haushalt einer solchen Figur.
Chris hat nämlich einen klein wenig den Hang zur Selbstjustiz, darin können sich bestimmt viele Zuschauer wiedererkennen, mit dem Unterschied, dass er solch spontane Impulse nicht zurückhält, sondern ihnen nachgibt. Wie auf dem Parkplatz, wo er sieht, wie ein Mann Müll fallen lässt – nun, ein kleiner Rangierunfall mit einem unhandlichen Wohnanhänger kann mal vorkommen, das versteht auch die Polizei auf der ganz süßen Polizeistation; das gibt keine große Verzögerung in der strikt geplanten Reise, beim nächsten Halt noch das Blut wegwaschen, sich über eine leicht eingedellte Stelle wundern, das wars schon. Warum auch Aufhebens machen, so ein Unfall kann passieren.
Dass Schamanen besser nicht in die fixe Tourismusroute eines solchen Chris interferieren und ein Nachttrommeln am Rande des Campingplatzes veranstalten sollten, das konnten sie nicht wissen, wir konnten sie auch nicht warnen, genau so wenig wie den Camper, der einfach zu langsam mit seinem Gefährt auf den Campingplatz einfährt noch die Platz-Nachbarn, die unglücklicherweise einen weißen Spitzterrier haben, von dem Tina sofort überzeugt ist, ihr Poppey müsse dessen Vater sein.
In den ersten Szenen werden die beiden Figuren überzeugend als realistische, selbstgerechte Spießer eingeführt, nach denen die Welt zu laufen hat, so wie sie glauben, dass sie zu laufen habe, mit dem Unterschied zum erfolgreich sozialisierten Teil der Bevölkerung, dass sie allenfalls auch eingreifen.
Chris spielt seine Rolle mit soviel Freundlichkeit, dass immer klar ist, dass er ein Schauspieler ist, der mit großem Spaß diese Rolle spielt, was verhindert, dass wir uns in ein todernstes Sozio-Melodram, gesellschaftskritisch womöglich, verirrt glauben könnten. Urlaub in Yorkshire. Aber sie wollen, unter der ausgezeichneten und selbstverständlichen Regie von Ben Wheatly auch diese Spießerzeichnungen nicht allzu ernsthaft durch den ganzen Film durchziehen, wie sollte es sonst weiter gehen.
Der Selbstjustizmechanismus verselbständigt sich zusehends. Dummerweise fährt auch noch Martin, ein Fahrradcamper mit einem sargähnlichen Schlafanhänger, einem „aliens coffin“ wie bemerkt wird, in das Leben der beiden. Chris stürzt sich auf ihn, kumpaneit mit ihm, als hänge ihm Tina zum Halse heraus, als suche er zu fliehen. Denn mit Tina ist es so eine Sache. Sie stellt sich manchmal sehr ausgestellt etwas beschränkt dar, zum Beispiel bei der Sache mit dem Stecker, dem Stromstecker des Wohnwagens, den sie in die Andockstation am Campingplatz reinstecken soll, da wird ne Nummer draus, die möglicherweise situationscomedy-proof ist, hier aber zu viel Witz-für-Sich mutiert, man kann lachen drüber, es ist immer lustig, wenn ein Mensch mit einer simplen Sache nicht zurecht kommt.
Nun, und der Gag mit dem Campingwagen, der vor wildem Sex im Inneren wackelt, ist nicht besonders originell, aber da mich die beiden Sightseers prinzipiell für sich vereinnahmt haben, so sehe ich ihnen das nach. Warum soll man nicht mal lachen, worüber man auch schon gelacht hat. Sehr grotesk ist die Behauptung von Chris, Tina sei jetzt seine Muse für die Schreiberei, das verleiht der Comedy (der zusehends blutiger werdenden) einen Hauch von absurdem Theater.
Da die beiden Figuren mit ganz kleinen, beinah selbstverständlichen Ungesetzlichkeiten anfangen, so verstehen sie es, einen zu gewinnen. Wo war man selbst nicht schon in Versuchung. Sie träufeln die kleinen Ungesetzlichkeiten zu Beginn wohldosiert in das Filmgeschehen ein.
Vielleicht mehr Sitcom als Beitrag zur Geschichte, wie Tina die Bilder im Fotoapparat von Chris anschaut und Bilder von einer anderen Frau sieht und meint, „this is not my vagina“, sie findet das ein bisschen „saucy“ oder in Richtung profesioneller Lakonie gedacht.
Nicht zu vergessen die Mutter, die zuhause immer wieder Ohnmachtsanfälle und Treppenstürze faket, um dann mit dem Notknopf die Tochter, die im Urlaub ist, zu alarmieren; funktioniert nicht unbedingt, wenn diese gerade als Großpoetens Muse zugange ist, der den Alarm abstellt. Die Mutter wird später einfach ausgeblendet, denn es gibt härtere Dinge in schöner Landschaft, die noch vor uns liegen.
Je mehr unsere Protagonisten sich als Monster entpuppen, desto genüsslicher haut die Postproduktion einen Love-Song drüber.
Sicher ein auffrischender Film im Kinoprogramm, falls der nebst seinem herausgehobenen Auftritt am Fantasy Filmfest ins reguläre Kinos kommen sollte.