Der Vorname

Das ist Metier, Handwerk, den Esprit so zu deichseln und drechseln, dass er wie ein TGV über die Leinwand braust und dass selbst die deutsche Routine-Synchro durch die Forderung des rasanten Tempos nicht nur erträglich sondern direkt hilfreich wird, so dass sich ein nicht allzu bildungsfernes deutsches Publikum einen intelligenten, sommerlichen bis spätsommerlichen Kinospaß draus machen kann.

Die Vorlage ist ein Theaterstück von Matthieu Delaporte, der auch die Drehbuchadaption geschrieben und mit Alexandre de la Patellière die Regie geführt hat.

Die Franzosen lieben es klassisch. Ort der Handlung ist der Salon oder die gute Stube des Intellektuellen-Ehepaares Elisabeth und Pierre. Er ist ein Großintellektueller, der über Montaigne geschrieben hat, und generell kaum mehr als 575 Exemplare seiner Werke verkauft, der aber mit Lese- und Vortragsreisen bis Moskau kommt.

Seine Frau Elisabeth, Boubou, ist eine Kleinintellektuelle, die ihre Doktorarbeit dem großen geistigen Werk ihres Gatten zuliebe zurückgesteckt hat, und in einer Volksschule in einem Vorort unterrichtet, sie wird anfangs so charakterisiert, dass sie vor lauter Stress mit Job und Familie immer nur die eine, überlange Strickjacke trage, während ihr Mann zumindest für die ersten drei Wochentage über feine Cordjacketts in leichten Farbvariationen verfüge, wobei die Mittwochfarbe zum Kombinieren mit Hosen und Hemden die schwierigste sei.

Die beiden haben für einen Abend, das ist die Zeit dieses Filmes, den Bruder Vincent von Elisabeth mit seiner Gattin Anna, die schwanger ist, und Claude eingeladen, welch letzterer kein Blutsverwandter ist, aber von ihren Eltern aufgenommen und aufgezogen worden ist. Claude hat ein inniges Verhältnis zu Elisabeth; er ist Trompeter und gilt als alleinstehend, es werden ihm ein paar eher feminine Eigenschaften zugeschrieben, aber da soll nicht zuviel verraten werden, vielleicht gerade sein Spitzname, von dem er selbst bis zu einem bestimmten Moment des Abends noch nichts weiß (die Pflaume).

Denn an diesem Abend, an dem ein gemütliches Couscous mit einem Wein, der historisch und politisch korrekt sein muss, genossen werden soll, wird eine Flachserei von Vincent dazu führen, dass mehr als nur an den Fassaden der verschiedenen Verhältnisse und Egos gekratzt werden wird. Wobei es für die Dramaturgie spitzenmäßig hilfreich ist, dass Claude später zu der Runde stößt und Anna noch später, so dass der Zuschauer schon einiges mitgekriegt hat, was die beiden Spätkommer noch nicht wissen können, was wiederum zu den herrlichsten Personalitätsoffenbarungen führen wird, dass man sich in manchen Momenten fragt, wie unter diesen Bedingungen die Party überhaupt noch weitergehen soll.

Wie es sich für ein brilliantes Konversationsstück gehört, wird zwischendrin ein knalliger Slapstick-Gag eingebaut, der dem Couscous gar nicht gut bekommen wird, was aber weiter nicht von Belang ist, da es vor lauter Wortwechseleien und Empörungen und Missverständnissen und Geständnissen, gar nicht angerührt worden ist.

Der Ausgangspunkt für die Geschichte ist die These, dass Nomen gleich Omen sei. Die Vornamen bahnen uns den Weg in die Innereien dieser glücklichen Familie, die sich alle so lieb haben. Natürlich ahnt der geübte Zuschauer, was auf ihn zukommt, aber das handwerkliche Können aller Beteiligten präsentiert es so, dass es doch nicht oder oder höchst genussvoll vorhersehbar daherkommt.

Dass Pierre und Elisabeth ihre beiden Kinder Myrtille (das Mädchen ist 12) und Apollon (der Bub ist erst 4) genannt haben, das mag noch angehen, aber dass Vincent seinen Buben Adolf, ja wie der berühmte, nennen will, das reißt in der noch nicht vollzähligen Runde bereits gewaltige Gräben auf, die zuzuschütten kräftiger Dramatik und anderer Ereignisse bedarf. Denn wenn ein Mensch einmal auf seinem Vorurteilsmechanismus getroffen wird, dann kommt er davon so schnell nicht wieder runter.

Worte können ganz gefährliche Waffen sein, das beweist auch dieser Film. Nicht nur soll man mit der Liebe nicht spielen, dazu gibt es jede Menge andere Filme gerade auch aus Frankreich, auch mit den Worten soll man, erst recht wenn man sich gebildet gibt, doch verantwortlich umgehen. Montaigne war wohl nicht umsonst ein Skeptiker. Um diesen Kern herum werden Themen wie Egoismus und Geiz behandelt, und um den Wortschatz dazu nicht allzu dünn aussehen zu lassen, ist auch der Larousse schnell zur Hand.

Ein fabel- und könnerhafter Ensemble- und Konversationsfilm.

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