Töte mich

Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob man vielleicht am besten einen Psychologen oder Psychiater oder gar einen Forensiker beiziehen sollte, um diesen Film, ein Hirn- , Wunsch-, Traum- oder Fantasieprodukt von Emily Atef, ihr hat beim Schreiben Esther Bernstorff geholfen, zu entschlüsseln.

Ob sie sich an einem Traumbild von Mann, der schier ein Tier ist (bärtig und fett und immer keuchend und schnaufend: Roland Wiesnekker als Timo), abarbeiten oder an einem bemitleidenswerten Bild von junger, leicht lispelnder Frau, blond, die als Kuhhirtin arbeitet und vom Felsen springen möchte, aufgeilen und ergötzen möchte. Ob es ein Aufschrei gegen menschliche Kälte und Abstraktheit sein soll, die hier geradezu militaristisch exerziert werden: ganz knappe, kürzest gesprochene Sätze (vor allem von der Kuhhirtin).

Zu fragen, was Frau Atef daran so fasziniert, eine Kuhhirtin, die makelloses Hochdeutsch spricht, wie ihre ganze Sennerfamilie, und die noch dazu ständig Selbstmord begehen möchte, vielleicht wegen des tödlichen Unfalles ihres Bruders, das wird später angedeutet, um diese Frau mit einem entlaufenen Vatermörder zusammenzubringen, und als Regisseurin darauf zu dringen, dass wenn die beiden 50 Centimeter oder näher beieinander sind, dass sie dann ganz furchtbar ins Schnaufen kommen.

Dann die beiden auf ein Roadmovie von einer nicht näher definierten Alpe in Deutschland nach Marseille zu schicken, immer unter der Prämisse, dass er sie töten soll, sobald die Flucht vor seinen Häschern erfolgreich verlaufen sei, das sei aber erst im Marseille möglich, wo er einen Bruder habe, der keine richtiger Bruder sei und der ihm Geld für eine Schiffspassage geben könne.

Logisch, dass die Tötung von Adele nicht zustande kommen kann, dass die beiden verlorenen, beziehungslosen Seelen einander finden werden, nach etwa einer Dreiviertelstunde nennt sie ihn aus heiterem Himmel beim Vornamen und nochmal zehn Minuten später er sie auch – oder umgekehrt. Sie harren eine Weile in einer herrlichen Felsen-Steppenlandschaft in der Nähe von Marseille mit Blick aufs Mittelmeer aus, haben ein Höhlenerlebnis vor erlesener Abendstimmung; sie soll beim „Bruder“, der von Zivilpolizisten bewacht wird, das Geld holen und wenn sie, das wird fast wie in einem Kinderkrimi exakt und deutlich inszeniert, wenn sie bis dreizehn Uhr nicht zurück sei… sie kommt zu spät, findet Simon nicht, hat einen kathartischen Weinanfall vor Meereshintergrund – er kommt dann doch zurück für das schöne Schlussbild am Hafen, denn auch ein Depro-Film muss ein hoffnungsvolles Ende haben. Was ist hoffnungsvoller, als zu zweit eine Schifffahrt vor sich zu haben?

Sie schaut anfangs immer sehr bedröppelt und schuldbewusst.
Über das Töten: Du musst es jetzt machen.
Wir machen es hier.
Was machst Du?
So will ich es nicht.
Wir müssen einen Abhang finden. Willst Dus oder willst dus nicht
(viel Hyperventilieren dabei).

Wenn wir in Frankreich sind, dann finden sie mich nicht so leicht, wenn wir da sind, mach ich es (Anschein von Beckettscher Knappheit und Abstraktion, aber eben nicht auf der Bühne, sondern in Rousseau-idyllischem Wald oder Fels oder Wiese; und die Figuren stellen doch, das macht es so sonderbar, so merkwürdig, die Behauptung einer individuellen Geschichte auf).

Warum willst Du das?
Es wird besser sein.
Besser als was?
Besser als hier.
Da ist nichts.
Woher willst Du das wissen?

Was ist mehr depro: „Tannöd“ oder „Töte Mich“?

Kopfiges Konstrukt, die Figuren werden nicht als Figuren eingeführt mit Konflikten; gut, sie will sich ständig um- und er sich vor der Polizei in Sicherheit bringen; das sind vielleicht Needs, aber keine Konflikte. Die Figuren werden nur über diese Needs definiert, nicht über brisante Eigenschaften, außer dem Hyperventilieren, nicht über Charaktere, nicht über einen Grundkonflikt, nicht über die Liebessehnsucht
(Er hat dann zwar einen Fick mit einer Frau, die die beiden aufnimmt, in Frankreich).

Begegnung mit den Wanderern:
Wo wollen Sie denn hin?
Sie haben sich verlaufen?
Wer sind denn die Zwei?
Sie haben sich verlaufen.
Wo müssen sie denn hin?
Der eine hat mich erkannt.

Es folgt Polizeisuche im Wald, Helikopter, Scheinwerfer, Umzingelung, vorgespielte Geiselnahme und weitere Flucht.

Ein Spiel ohne Konditionen, ohne Rahmen.
Nach ¾ Stunden nennt sie ihn Simon, nachher Timon.
Und dann wird sie plötzlich besorgt um ihn, Willst Du was trinken?

Irgendwie müssen sie jetzt durch einen Time-Channel gehupft sein, finden sich unvermittelt in einer Wiesenlandschaft.
Immer in der Natur draußen. Naturfilm mit Vögelein und Männlein und Weiblein und haben sich so lieb und können es sich nicht sagen und wissen es vielleicht gar nicht.

Und schwupp sind sie in Marseille.

Timon, ich möchte mitkommen aufs Boot, ich möchte mit.
(er brüllt) Lass mich in Ruhe. Verstehst Du das geht nicht. Ich mach das nicht, ich bin doch nicht verrückt. Wahrscheinlich komm ich hier sowieso nie weg. Und ich kann dich auch nicht hier runterstossen. Das schaff ich nicht.
(weicher Kern ist angestochen).

Die Sprache ist schon beinahe Poesie, aber dann sollte sie als reine Sprache bleiben, oder bewusst kunstvoll-künstlich inszeniert werden, dann käme der bukolische Traum von Emily Atef als solcher intendiert zur Geltung – vielleicht treibt der sprachrealistisch-emotionale Inszenierungsstil die gute Absicht oder den fast dichterischen Gedanken hier an den Rand der Lächerlichkeit.

Wie abstrakt zum Beispiel die Begegnung mit der Frau in einem einsamen Haus ist, vor dem Adele steht, wie sie sie begrüsst wie eine alte Bekannte und gleich an den Schultern nimmt, ins Haus führt, sie solle mit ihrer Mutter telefonieren; eine solche Realismus-Verweigerung sollte immerhin plausibel machen, was sie denn erzählen will; dass Leute unlogisch reagieren? Oder dass die halt das Drehbuch kennen?

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