Oh Boy (Filmfest München)

Dieser Film kann gesehen werden als ein weitere Versuch einer Antwort auf die Frage, ist Film lern- und lehrbar. Und die Antwort lautet definitiv: NEIN. Er zeigt aber auch sehr schön, was möglicherweise lern- und lehrbar ist, warum mich die fördernden Anstalten im Anspann weniger gestört haben als anderswo. (Um kurz bei dem Thema zu verweilen: das scheint inzwischen wirklich eine Sucht zu sein, die von Funktionären bestückten Förderanstalten ganz groß an den Anfang des Filmes zu setzen, offenbar leiden die dermaßen an Minderwertigkeitsgefühlen, an Gefühlen des Mangels, an Defiziten von Anerkennung; die sollten sich vielleicht klar machen, dass sie nie Künstler sein werden, sondern Funktionäre sind und bleiben; und sollten sich bittschön bescheiden. Denn auch die Künstler sind nur Diener an der Kunst, aber die stehen nun mal im Rampenlicht).

Was spricht an in diesem Film, der eher ein Portrait denn ein Drama ist, der Niko, einen alkoholkranken, so kann man das wohl sagen, studentischen Versager, Studienabbrecher und Sohn eines erfolgreichen Vaters ist?

Mit Tom Schilling hat Jan Ole Gerster, der Regisseur und Autor dieses Filmes, eine interessante und generell überzeugende Besetzung gefunden. Schon die erste Szene zeigt, wie genau hier gearbeitet worden ist, wie versucht wird, mit wenig Text sowohl Konflikt als auch Charakterisierung der Figuren zu erreichen, so da sind Niko und seine Freundin. Bei ihr hat er gerade die Nacht verbracht, aber er muss los, sie möchte ihn noch etwas da behalten, sie möchte ihn ständig um sich, er scheint unzuverlässig, er scheint noch andere Interessen zu haben (oder Probleme) als nur die Liebe.

Auch die nächste große Szene führt uns mitten hinein in ein, wenn nicht in das elementare Problem von Niko. Es ist das Gespräch auf einem Amt, es geht um seinen Führerschein. Es geht um Alkohol. Auch hier sieht man, dass ganz minutiös gearbeitet worden ist an der Szene, dass jeder Satz eine überraschende Wendung, gar eine Pointe bietet (die dann auch ganz gut landen im Publikum). Andererseits keimt hier bereits der Verdacht, dass der Film mithilfe des kabarettistischen Elementes allzu leicht vom Grundproblem der Figur, zu dem Alkohol doch nur das Etikett sein kann, sich durch die Konzentration auf Szenenbrillanz entfernt oder sich darum drückt.

Es geht weiter so mit extrem gut gearbeiteten Szenen – das was offenbar lehr- und lernbar ist an einer Filmschule -, die aber doch eher davon ablenken oder sich nicht allzu sehr darum kümmern, was nun mit Tom los sei.

Er trifft einen alten Kumpel, der behauptet Schauspieler zu sein. Mit diesem fährt er an ein Filmset. Das ermöglicht eine perfekte Schauspieler-Wohnwagen- und eine Filmset-Szene mit einem hervorragenden Sprecherschauspieler, wie sie selten sind, der hier gerade einen Nazioffizier zu spielen hat. Insgesamt steht aber auch die Szene eher so da, als hätten die Macher gerne so eine Szene gedreht, ohne sich allzu sehr um Niko zu kümmern. Das Interesse daran, eine solche Szene zu drehen scheint mir größer als das daran, zu eruieren, was denn mit Niko los sei.

Immer wieder landet Niko im Kunstbereich. Denn eine Frau, die ihn von der Grundschule auf kennen will, lädt ihn zu einer Tanzperformance ein. Da treten er und sein Kumpel überdeutlich laut und instinktlos als verspätete Zuschauer auf. Nach der Performance setzt es eine weniger gelungene Auseinandersetzung mit dem Regisseur über Kunst.

Da Nikos Bankkarte eingezogen worden ist, muss er sich mit seinem Vater in Verbindung setzen, eine merkwürdig erstarrte Klischee-Figur eines erfolgreichen Deutschen, die zwar auf dem Golfplatz auftritt, aber wenig über ihr eigenes Umfeld mitbringt, das mag auch schon am Buch liegen. Papa jedenfalls gibt dem missratenen Sohn, woran er natürlich keine Schuld hat (das wird auch eher stereotyp behauptet), aber dazu ergeben sich leider keine Anhaltspunkte, noch ein letztes Handgeld, was schon bald in Berlin versickert sein wird.

Vielleicht sind die nächsten Nummern auf diesem Berlin-Tripp nicht mehr ganz so auf kabarettistische Brillanz hin gebürstet worden, aber dadurch haben sie es natürlich schwerer. Ein bisschen schwer tut sich auch, scheint mir, der Autor mit dem Thema Alkohol, das ja ein wunderbarer Faden durch die Exploration einer Persönlichkeit sein kann. Und da er klugerweise vermeidet, einen Themenfilm Alkohol zu machen, so taucht der Alkohol immerhin immer wieder auf, aber nicht als das Gift, was die zerstörerische Kraft für ein Drama hätte. Er taucht eher so auf, als wolle sich der Autor erinnern, da war doch was, ja, Alkohol – vielleicht hätte da im Vorfeld viel genauer das Verhältnis von Niko zum Alkohol, und wie er seine Persönlichkeit durchwebt und zu verschlingen droht, analysiert werden müssen, um es dann mit exakt der aufregenden Beiläufigkeit und Gefährlichkeit einzusetzen, die den Film zu einem Abbild einer Krankheit unserer Gesellschaft machen könnten, die weh tut. So aber kann man beste Schulnoten verteilen, bleibt aber als Zuschauer unbehelligt.

2 Gedanken zu „Oh Boy (Filmfest München)“

  1. Die Sicht der Analyse ist sehr subjektiv, formale Kritik kommt fast gar nicht vor. Und wie bitte stellen Sie sich vor, ohne Förderungen zu arbeiten? Dass sie Wert darauf legen, im Vorspann prominent abgebildet zu werden, ist nur fair und hat mit Minderwertigkeitskomplexen null zu tun. Eigentlich hätte ich mir den Rest ab da sparen können! Genau diese Herangehensweise ist für mich typisch Filmschule. Sei’s FU in Berlin bei den Film- und Theaterwissenschaftlern oder Konrad Wolf….

    „Immer wieder landet Niko im Kunstbereich.“ Und mir ist gerade mein Haustürschlüssel in den Gartenteich gefallen….

  2. Geldgeber braucht jeder, es kommt aber auf den Umgang damit an, wenn die hierzulande inzwischen fast wie Könige behandelt und verehrt werden, auch die oft tiefen Verbeugungen vor den Geldgebern bei Premieren, dieses schier Verschmelzen vor Dankbarkeit und Ehrfurcht, das macht jedenfalls die Macher klein. Geiler Umgang hier am Filmfest zu sehen bei „Rat Fever“ aus Brasilien, wie die die Förderer (ohne Petrobas scheint in Brasilien nichts zu gehen), wie maschinell hingestanzte Etiketts in hartem Rhythmus im Vorspann hingeknallt haben, das hatte Witz, Charme, dadurch haben die Macher, finde ich, ein klares Verhältnis dazu hergestellt und sich nicht klein gemacht vorm Geld.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert