Cinema Jenin

Jenin, die palästinensische Stadt im Westjordanland, dessen Flüchtlingslager 2002 von den Israelis zu großen Teilen brutal plattgewalzt worden war, hat ein Kino an einem zentralen Platz, was 20 Jahre lang der Verrottung preisgegeben war; Tauben waren die hauptsächlichen Bewohner.

Dass das Kino 2010 wieder eröffnet werden konnte, ist das Resultat einer guten Tat, die der Filmemacher Markus Vetter selbst in Gang gesetzt, durchgesetzt, mit zu Ende gebracht und auch noch dokumentiert hat. Das ist dieser Film. Dokumentation als Aktion und Dokument derselben.

Markus Vetters Film fängt mit Bildern aus seinem vorherigen Film „Das Herz von Jenin“ an, mit dem Transport des tödlich verletzten jungen Mannes, dessen Vater als ein Versöhnungszeichen die inneren Organe seines von den Israelis getöteten Sohnes zur Transplantation für israelische Kinder gespendet hatte. Das war Ismail Khatib. Der wurde der palästinensische Koproduktionspartner für das Projekt des Wiederaufbaus des Kinos, welches weltweit immer wieder von sich reden gemacht hat.

Der Film zeigt die ersten Besprechungen, fährt auf einer ruhigen Schiene, dass man schnell glaubt, ok, das geht jetzt so weiter bis das Kino betriebsbereit ist, weil man ja weiß, dass das Projekt erfolgreich war. Besprechungen mit den Eignern, mit Behörden, mit dem Mufti, Kooperationen mit dem Auswärtigen Amt, mit Brandenburg, mit Sponsoren wie Roger Waters von „Pink Floyd“, mit dem „Freedom Theatre“ in Ramallah, dessen Leiter Giuliano nach Fertigstellung des Filmes ermordert worden ist.

Der Bau eines Gästehauses für die vielen freiwilligen Helfer, die sich aus aller Welt meldeten. Eine Buße von 27 Schekel, weil Markus Vetter bei Ismail als Gast untergebracht war und Nachbarn sich gestört fühlten. Idealistische Zähigkeit wird sichtbar.

Bis dann Ende 2008/2009 Israel Gaza bombardiert und 1400 Palästinenser getötet hat, darunter viele Kinder. Da wollte Ismail nicht mehr mitmachen. Sah keinen Sinn mehr in dem Projekt. Keine Chance auf Frieden. Frieden ist zu einer Illusion geworden. Das Projekt auf der Kippe.

Dann aber eine große Delegation aus Brandenburg, eine Ansprache des Ministerpräsidenten Platzeck. Der Moment des Gazakrieges, der spricht den Zuschauer plötzlich auf einer viel tieferen Ebene an. Stellt gleichzeitig die idealistische Haltung des Filmemachers und seiner Mitstreiter plötzlich in Frage. Was wollen diese vielen Menschen den Palästinensern helfen, die nicht mal alle ein Kino wollen? Und was sollen dort für Filme gezeigt werden? Ist die Errichtung eines solchen Kulturbaus das Richtige? Ist es richtig, dass das von auswärts initiiert wird? Das wird besonders deutlich, wie ein israelischer Filmemacher anfängt mitzutun. Die riesige Angst, die Israelis würden von Amerika aus diesen Kinobau steuern. Angst vor Kulturimperialismus.

Das untergründige Thema, des Filmes scheint mir auch der Idealismus zu sein, der Idealismus des Markus Vetter und vieler seiner Helfer, sowie helfenden Organisationen. Dem von Markus Vetter haftet durchaus etwas Schwerblütiges an. Und wie das Kino fertig ist, fühlt er sich auch nicht mehr verpflichtet, wie sich bei der Podiumsdiskussion nach dem Screening des Filmes von Giuliano anlässlich der Eröffnung zeigt.

Man spürt aber auch den Sog des Idealismus, der einen wie eine klebrige Masse umhüllt. Denn dieser Idealismus ist durchaus zwiespältig zu sehen. Es ist auf den ersten Blick eine unverdächtig gute Tat. Gleichzeitig aber muss Markus Vetter leben davon. Und will mit dem Film sowohl Geld verdienen als auch sich einen Namen machen. – Das wundert mich vielleicht am meisten, dass nie zur Debatte stand, was für Filme dort nun wirklich gezeigt werden sollen. Es gab einmal ein Gespräch mit einem Geistlichen, wo versucht worden ist, zu eruieren, was wohl gezeigt werden könne.

Der Kino als Bau ist auch eine Machtbehauptung wie eine Kirche oder ein Rathaus, der Punkt wurde nur einmal kurz gestreift, wie der Berater des Präsidenten mit den Eigentümern telefoniert, die das Gebäude verfallen liessen und plötzlich auf den Geschmack des Geldes gekommen sind, und wie der Präsidenten-Berater sie drängt, doch den Vertrag zu unterschreiben, denn der Platz sei zentral in Jenin und man könne sich an der Stelle eine Ruine nicht mehr allzu lange leisten.

Oder der Besuch beim Präsidenten des Westjordanlandes, weil versprochenes Geld nicht überwiesen worden ist. Wie der Mitarbeiter des Präsidenten die Zahlung schon wieder rausschieben will; wie die Filmemacher sagen, ohne Geld können sie nur schwer Kabel kaufen und ohne Kabel usw. und der Präsident dann dem Berater nachdrücklich nahelegt, er solle die Überweisung am nächsten Tag veranlassen.

Dann die Schlussszene, die Podiumsdiskussion mit den Machern des Eröffnungsfilmes „Arnis Kinder“ vom Freedom Theatre von Giuliano, wie sich Kino zu Waffen verhalte; denn die beiden Diskussionsteilnehmer haben ihre Waffen dabei; sie können jederzeit von israelischen Geheimdienst erschossen werden – was Giuliano während des Schnittes des Filmes denn auch passiert ist. Aber Kino und Waffen, das geht nicht zusammen.

Wohltätigkeit hin oder her. Eben war zu lesen, dass der Giulianos Nachfolger vom Freedom Theatre von den Israelis so verhaftet worden ist, so rechtlos und anwaltslos wie es vielen Palästinensern immer wieder passiert.

Den Film sollte man allerdings allein deshalb schon anschauen, weil er einen der immer noch viel zu seltenen Einblicke in das Leben der Palästinenser in besetzten Gebieten gibt.

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