Ein genüsslicher und gekonnt gemachter Untergangsfilm. Ein Film fesselt mich immer dann, wenn die Struktur des Erzählten wie eine Folie auf meine Erfahrungs- und Erlebniswelt übertragbar ist, wenn sie möglicherweise hier etwas sichtbar machen kann. Egal in welchem Jahrhundert, in welcher Weltgegend der Film spielt. Die Franzosen können das einfach.
Jetzt machen wir mal wieder einen Film über die französische Revolution, um die vier Tage um den Sturm auf die Bastille, wird sich Benoit Jacquot, der Autor und Regisseur gesagt haben. Diesmal, weil es das Tagebuch gibt von Sidonie Laborde, „dem Landei aus verarmtem“ Adel, das seit vier Jahren am Hofe von Louis XVI im Hofstaat von Marie-Antoinette, einer Rolle wie für Diane Kruger auf den Leib geschrieben, als Vorleserin und Lieblingszofe von Marie-Antoinette dient. Ihre Sicht auf Welt und Hofstaat ist eine wache, unvoreingenommene, aber ihre Haltung ist voller Gehorsam und Disziplin.
Der Film fängt am 15. Juli 1789 an und hört am 17. Juli wieder auf. Er fängt also am Tag des Sturms auf die Bastille an. Bis die Nachricht sich ins ausladende Schloss Versailles fortgepflanzt hat und in den innersten Gemächern angekommen ist, das dauert. Hier geht vorerst das höfisch exakt austarierte Leben seinen Gang als sei nichts geschehen.
Sidonie wacht fast pünktlich auf, schafft es fast pünktlich bis zur Kammerzofe, die sie dann zur Königin reinlässt; vorher wird noch drüber diskutiert, was sie ihr vorlesen solle. Sie sei aber augenblicklich nicht an Literatur interessiert, das eine sei ihr zu traurig, das andere zu schwer. Sie will Modezeitschriften zusammen mit Sidonie lesen. Sie träumt von Kleidern, von Stickereien, von einer gestickten Dahlie.
Da Sidonie sich ständig kratzt, befiehlt die Königin Rosenholzwasser zu bringen und liebevoll massiert sie damit der Vorleserin den flohzerstochenen Arm. Das erbittert die Kammerzofe, darüber wird noch geredet werden müssen, dass sie sich kratze vor der Königin. Aber die Unterkünfte fürs Personal im riesigen Schloss sind nun nicht gerade erster Klasse, auch Ratten gibt es hier.
Der Gondoliere Paolo bezirzt alle Frauen, und will ihnen seinen Cazzo zeigen. Sidonie weiß nicht mal, was das Wort bedeutet. Ein Hofgespräch sind die 80 Desserts, die es eben beim Kardinal gegeben habe (die Bastille dürfte schon gestürmt worden sein). Der Hoftratsch, dass der König um zwei Uhr nachts geweckt worden sei, verursacht einen Aufruhr beim Hofstaat, der sich oft wie eine irre Herde in den Gängen von Versailles drängelt.
Sidonie kommt das alles wie ein Traum vor. Dieses Leben in der fast hermetischen Hofgesellschaft. Aber sie ist ja auch eine Privilegierte. Sie stickt ab und an mit der Stickerin und wird die Dahlie für die Königin selbst sticken.
Eine der Figuren am Hofe, die sich eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt haben ist Moreau, der Bibliothekar, der bis an sein Lebensende, Revolution hin oder her, sich Notizen machen wird.
In die Adelige Gabrielle de Polignac ist Marie-Antoinette, die schon zwei Kinder hat, unsterblich verliebt. Auch um dieses Verhältnis herum bilden sich Hofintrigen.
Wie die Revolution der feinen Hofwelt immer näher auf die Pelle rückt, wie sich erste Absatzbewegungen vom Hofe und vom König zeigen, kommen die Charaktere von so manchen Hofschranzen unverhohlen an den Tag, wie sie sich teure Kostbarkeiten untern Nagel zu reißen versuchen.
Wie sich Marie-Antoinette selbst mit Fluchtplänen nach Metz trägt und man schon zu packen beginnt, die Edelsteine müssen aus den Fassungen gerissen werden, dann brauchen sie weniger Platz; da bittet Marie-Antoinette Sidonie, die anstelle der sich erhängt habenden Stickerin die gewünschte Dahlie gestickt hatte, dies aber verleugnete, gebeten, sie möge, verkleidet als die Polignac mit Polignac und ihrem Mann, diese verkleidet als Zofe und Page, in die Schweiz fliehen.
Auf dieser Kutschenfahrt passiert man kurz die Revolution. Am Strassenrand taucht flüchtig eine widerliche Fratze mit Kapuze auf, die das Zeichen des Halsabschneidens macht.
Im Schloss zirkuliert bald nach dem Sturm auf die Bastille die Liste mit den 286 Köpfen, die rollen sollen auf. Blut war bislang allerdings nur an den Kratzwunden von Sidonie zu sehen. Dem Zuschauer Einblick in eine weitgehend bekannte historische Situation zu geben aus ungewöhnlichem Blickwinkel, meisterhaft geschildert; und der weiß um den Aufruhr in der Stadt, kennt die Revolutionsbilder von Gemälden und Filmen zur Genüge und ist fassungslos über dieses merkwürdige Personengefüge der Abhängigen, das sich um die Macht gebildet hat und zu wissen, wie endlich diese Macht sei und sich fast zu freuen, was mit all den Wichtigtuern und Hofschranzen beim Zusammenbruch der Macht passiert.
Wir haben es seit einem Jahr nachrichtennah miterlebt, Tunesien, Ägypten, Libyen, wie lange bleibt Assad noch. Oder ich sehe auch diesen Hofstaat um die 300 Millionen Subvention beim Deutschen Film herum; wie die Leute sich Zugang zu verschaffen suchen zu den wichtigen Geldgebern, das Getue und Gerede um die sogenannt Wichtigen. Dabei ist alles eine aufgeblasene Sache, möglich nur dank dem Wohlwollen des Staates, der dummerweise dabei noch primär an Wirtschaftshilfe denkt, und wie so ein Kino zustande kommt, was keinen interessiert, wie Popanze aufgeblasen werden, die kaum fiele die Förderung weg, in Nichts zusammenkrachen würden, so wird hier grandios sowohl der Hofstaat, seine Aufgeblasenheiten und Mechanismen wie auch dessen panischer Zusammenbruch geschildert. Zur These der deutschen Film-Fernsehlandschaft als eines aufgeblasenen Hofstaates fand sich in der FAS vom Pfingstwochenende ein passender Abschnitt in einem Interview von Jakob Buhre mit Katrin Sass, der damit endet: „Was die für Bücklinge machen, um die Karriereleiter hochzukomen, da wird mit zum Teil kotzübel“ (vorausgegangen ist die Frage nach der Einflussnahme (und nach der Quote), und dass darüber nicht offen geredet werden dürfe … „Und wenn mir mal jemand aus dem Westen sagt „bei Euch war ja jeder Dritte bei der Stasi“, dann denke ich, man könnte das Ganze doch mal umdrehen. Wer heute vom kleinen Aufnahmeleiter zum Produktionsleiter seine Karriere macht, da sind Leute dabei, wo ich denke: „Du wärst der Erste, der für die Stasi gearbeitet hätte.“ Was die heute für Bücklinge machen, um die Karriereleiter hochzukommen, da wird mir zum Teil kotzübel“.)