Martha Marcy May Marlene

Das ist nicht Kino als Katharsis, das ist nicht Kino als Ort der großen Gefühle, das ist nicht Kino, um abzulachen, das ist nicht Kino zur geistigen Erbauung und Anregung. Das ist ein Kino der Enge. Der doppelten Enge. Der Enge in der Kommune, in der sie, Martha Marcy May Marlene eine Zeitlang lebt, wie die Enge des „großzügigen“ Hauses ihrer Schwester an einem See in Connecticut.

Denn die Enge der Gefühle der Hauptfigur Marthy Marcy legt sich wie ein Pressverband über den Zuschauer, schnürt ihn ein, lässt ihn mit einem Gefühl der Verantwortung für das Unglück dieser jungen Frau zurück. Es gibt in diesem Kino kein Entkommen dem Unglück, der Ziellosigkeit, der Opfernatur dieser Frau, die nicht weiß wer sie ist, was sie ist, was sie will, wohin sie will.

Es gibt diese Frauentypen, die sich andererseits so selbstverständlich in den Mittelpunkt, auch schauspielerisch als Protagonistinnen stellen, deren Hauptbehauptung darin zu bestehen scheint, vorwurfsvoll darin zu bestehen scheint, ich bin eine Frau, jetzt fangt was mit mir an. Dieses Kino ist insofern gefühlsmäßig lähmend oder schockierend, weil es auch keinen Ausweg durch eine distanzierende Story weist, diese Frau hat so gut wie keinen Background, außer dass wir erfahren, dass ihre Mutter gestorben ist, sie hat keine Zukunft, sie galt in der Kommune zwar als Lehrerin, als Leaderin, das wird man dort offenbar sehr schnell, nachdem der Oberguru das Jus Primae Noctis bei den Neuankömlinginnen sich herausgenommen hat, dem sie sich im weißen Morgenmantel hinzugeben haben.

Und schon können sie die nächste Abhängige einweisen, sind Teacher, Leader, was bei Marthas Schwester in Connecticut vollkommen falsch verstanden wird. Dort ist die Enge genau so vorhanden. Es geht nie um räumlich Enge, es geht um gefühlsmässige Enge, vielleicht auch um intellektuelle Enge, wenn nicht Leere, darum auch hat die Geschichte keinen Anfang und kein Ende, ist nicht in Griff zu kriegen, treibt die Frau nur immer mehr in Richtung psychischen Zusammenbruchs, denn es gibt auch von der Story her kein Korrektiv gegen diese vereinnahmende Gefühlswelt der Enge und Sehnsucht bei gleichzeitiger Desorientiertheit.

Eine Frau auf dem Weg in die Psychiatrie könnte der Film auch genannt werden. Er seziert aber nicht die Befunde, er malt lediglich die Gefühlswelt und darum auch ist die einzige Leistung dieses Filmes, diese auf den Zuschauer zu übertragen, was durchaus auch für viele, die in „normaleren, gezügelteren“ Gefühlswelten zuhause sind, als eine Zumutung verstanden werden kann. Denn Hilfe und Erlösung sind bei dieser Frau nicht in Sicht. Das ist ein deprimierender Befund.
Die Kommune heißt Catshills. Ein Lehrsatz vom Guru (nachdem sie bei einem Einbruch einen Mann getötet hatten): Der Tod ist das schönste am Leben. Die negative Sicht dieses Filmes illustrierend.

Aber Martha ist vielleicht auch herrschsüchtig und solange sie nicht herrschen kann, mit ihren Gefühlen nicht die Umwelt beherrschen kann, todunglücklich. Und wenn sie herrschen kann, ist sie weiter todunglücklich. Es wäre jetzt spannend dem Namen Martha in Film und Literatur etwas nachzuspüren. Fassbinder hat einen „Martha“-Film gemacht, auch eine sehr düstere Angelegenheit (allein in IMDb sind über ein Dutzend Titel „Martha“ angeführt, von 1916 bis 2011).

Frauen am Rande des Nervenzusammenbruches und wie sie keine Rücksicht auf ihre Umgebung nehmen. Das wird in diesem Film deutlich bei der Party, die ihre Schwester mit Ted gibt. Hier wirkt Martha nur noch zerstörerisch. Laut wikipedia ist Martha die Schutzheilige der Hausfrauen.

Buch und Regie: Sean Durkin

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