Was ist Sams? Das ist physisch ein geschlechtsneutrales Kind mit dickem Bauch, nicht allzu elegant geformt und mit roten Haaren und kommt aus der Samswelt, in der das Übersams mit einem Buch voller Geheimnisse regiert und sowas wie eine Hexe ist. Es ist aber auch Ausdruck für überbordende Fantasie, Anarchie, Frechheit, außer Rand und Band Geratens, kindlichen Protestes gegen die Erwachsenenwelt. Wehe also, wenn das Sams einen Erwachsenen überkommt. Darum geht es hier nämlich, dass das Sams nicht nur bei Taschenbiers ein und ausgeht, nein, auch Herr Taschenbier wird ab und an und immer öfter von samsigen Anfällen heimgesucht. Dabei zeigen sich dann von Mal zu Mal mehr rote Haarbüschel vor allem auf seinem Hinterkopf. In der Sams-Variante scheint er nicht mehr ganz Herr seiner Sinne, seiner Bewegungen, seiner Gedanken und Handlungen zu sein. Wobei, was rothaarig kulturell so alles bedeutet, noch ein weiteres Thema wäre, man denke an Nestroys Talisman.
Ein Problem mit der Rolle Taschenbier fängt hier allerdings schon mit dem Buch an. Herr Taschenbier ist nämlich Erfinder und Tüftler. Er hat eben eine Maschine erfunden, da werden oben die Zutaten reingegeben und unten kommen fertige Regenschirme für Kinder heraus. Solche Tüftler und Erfinder sind in unserer Fantasie und nach unserer Kinoerfahrung meist schon leicht verrückte, verschrobene Figuren. Insofern gibt schon das Buch dem Darsteller der Rolle ein gewisses Problem. Denn wenn die Figur schon im Normalzustand nicht vollkommen normal, sagen wir „buchhalternormal“ ist, wie soll dann der exzessive Sams-Zustand noch definiert werden?
Aber vermutlich hat es gar keine Findungskommission für die Rolle Taschenbier gegeben, die sich genau die Problematik einer solchen Rolle bewusst gemacht und sich gezielt auf die Suche nach der stimmigen Besetzung gemacht hätte, die in diesem Film die tragende Hauptrolle spielt und die zu einem wesentlichen Teil für den Erfolg des Filmes gradezustehen hat. Vermutlich hat sich gar niemand gefragt, wo finden wir einen Schauspieler, der einerseits eine gepflegte Bürgerlichkeit glaubwürdig darstellen kann, der aber andererseits eine vollkommen ausgeflippte Figur bieten kann, die genau diese Bürgerlichkeit unverschämt und frech konterkariert, dieser Spontaneität und Unkonventionalität bewusst entgegensetzt, ihr sozusagen vollkommen glaubwürdig die Zunge rausstrecken kann, sich einen Deut um sie kümmert, sich über sie lustig macht. Vom Resultat her betrachtet müsste das Verfahren zur Besetzung dieser Hauptrolle vermutlich als vollkommen dilettantisch bezeichnet werden.
Jedenfalls wurde – vermutlich ohne jedes konkurrierende Casting und ohne weiteres Einschalten eines Darstellerradars – die Rolle Ulrich Noethen anvertraut. Wenn das nicht mal eine geschäftlich etwas leichtsinnige Entscheidung war, die den Erfolg des Filmes genau dort deckeln wird, wo er mit Kinderfilmen generell eh schon zu erwarten ist in Deutschland, bei jenem Stammpublikum für Kinderfilme, was es hier gibt wie für das gute alte Weihnachtsmärchen im Stadttheater. Außerdem ist das Sams eine bekannte Figur. So besehen ist die Besetzung so ziemlich wurst, mag sich der kurzfristig denkende Produzent gedacht haben.
Welche verschiedenen Behauptungen stellt nun Ulrich Noethen zu seiner Rolle Taschenbier und Taschenbier im Sams-Zustand auf? Zu Taschenbier bleibt er zu Recht im Rahmen der Erwartungshaltung an eine Noethen-Rolle: bürgerlich, anständig gesprochen, eine gewisse Zuverlässigkeit und Verlässlichkeit ausdrückend, ja er hat sogar am Anfang und dann gegen Ende nochmal kurze Momente, wo einem das Herz juchzen möchte, wo er einem punktgenau besetzt vorkommt, wo man denkt, das ist durch und durch dieser doch irgendwie Spießer, haargenau getroffen – was ja sonst eine Konstante bei seinen Besetzungen ist, dass sie nie punktgenau sind, also tauglich und seriös ihre Zwecke erfüllen, nie aber ein Übermaß an Interesse erwecken, beamtenschauspielerisch der Sache dienend funktionieren. Und dann kommen plötzlich so hoffnungsvolle Momente, die zum Hingucken zwingen. Da steht er kurzfristig völlig unangestrengt, gelöst und ernsthaft da, so dass er dem Zuschauer Platz lässt, Erwartungen in die Figur zu setzen, Emotionen zur Figur aufzubauen, dass man kurzfristig vor Glück schier platzen möchte, endlich mal eine punktgenaue Besetzung für Noethen. Zu früh gefreut.
Gut, das ist die eine Seite. Jetzt aber die Frage, welche Behauptungen er zur Sams-Seite seiner Figur aufstellt.
Im Film gibt’s verschiedene Ansätze zur Interpretation des Sams. Die kürzeste, keckeste und für mich einleuchtendste bietet Eva Mattes in der gar nicht besonders dankbaren Rolle als Gattin von Armin Rohde; sie streckt einmal bei einem Abgang einfach keck die Zunge raus. Klarer kann man eine Haltung zu einer Sache, eine Haltung die natürlich nicht bürgerlich korrekt ist, nicht ausdrücken. Samsig par excellence.
Vom Buch her sind es ferner da se lustige Aktionen wie die: Taschenbier bestellt für zwei Leute zwei Dutzend Pizzen oder rast mit dem blauen Bus, dem „Bamberger Pfeil“, riskant auf zwei Rädern durch Bamberg. Samsig gleich Nonsense, gleich Grenzüberschreitung.
Und nun die Sams-Angebote von Herrn Noethen: ein ungelenker wie unkontrollierter Bewegungsablauf, der vielleicht Befreiung suggerieren soll, akustisch-stimmliche Ausraster, eine Art irres Lachen, was keine dezidierte Haltung gegen die Bürgerlichkeit ausdrückt. Wie hysterisches Lachen. Tut das hysterische Lachen nicht viel eher einen Ich-Kommentar abgeben, dass man sich selber nicht für ganz für voll nimmt statt sich einer Sache gegenüber zu distanzieren, statt eine Haltung zu artikulieren, statt ein prononciertes Verhältnis zum Sachverhalt der Bürgerlichkeit herzustellen? Ist das wirklich samsig? Sind das den Alltagstrott verstörende Reaktionen? Oder ist Sams wirklich sowas wie besoffen, wie von Sinnen? Fällt mir schwer, dieser Interpretation was abzugewinnen. In der Sams-Variante nun schreit und plärrt Noethen, versucht sich auffällig zu gebärden und zu benehmen, strengt sich deutlich zu etwas an, was ihm nicht gegeben scheint, hat eine raue, rausgedrückte Lache wie ein besoffener Räuber oder ein Bösewicht, der einen dummen Streich gespielt hat, gänzlich uncharmant und bemüht und den Kommentar zur Samsigkeit gleich hineingespielt, insofern distanziert er sich in der Samsigkeit schon wieder von derselben. Bierzeltgrölfantasie. Je länger der Film dauert, desto mehr wirkt dies als Schmierentheater und überlappt sich zusehends auch mit der brav-bürgerlichen Variante der Figur.
Noethen bleibt auch im Sams-Exzess steif und brav, als ob er mit einem Schuhspanner versuche, die Gesichtsmuskeln in Richtung Sams zu verziehen. Er scheint innerlich das Sams nicht gefunden zu haben. Was er bietet, ist letztlich gequälte Beamtenschauspielerei. Ihm fehlt die Magie und kreative Phantasie der Bewegung. Noethen verkindertheatert und verdummt damit seine Figur unnötig. Seine fast hysterische Lache beim Rückwärtsfahren durch Bamberg.
Die Sams-Figur aber ist der zentrale Qualitätspunkt in diesem Film. Was uns Noethen jedoch mit seiner Gestaltung der Figur erzählen will, bleibt mir unergründlich.
Aber auch der filmtechnische Verwandlungstrick zum Samszustand macht es Noethen nicht leicht. Diese Verwandlung wird mit einem endlos lang dauernden technischen Trick, mit vielen Sternchen vor seinem Gesicht und Gesichtszuckungen in Kinosprache übersetzt, eine schwer lesbare Bildsprache wie eine Zangengeburt in diesem Fall, die zu entziffern dauert und dauert, der Wirkung eines Geistesblitzes konträr entgegengesetzt. Der Spontaneität, die bestimmt ein wesentliches Sams-Merkmal ist. Und wenn eine spontan sein sollende Sache schon so anfängt. Und vor allem, da es ständig wieder vorkommt und jedes Mal diese ganze aufwändige Verwandlungsnummer, so ermüdet das schnell, wirkt kontraproduktiv zur Idee des Sams als Symbol für Geistesblitz und dessen Freiheit und Unvoreingenommenheit, wird so gleichsam schon ins Gipsbett gelegt; so aber wirkt der Übergang verschmiert, schmiert sich rein in die Sams-Variante.
Auf weitere Schmerzpunkte im Film weist das Drehbuch von Paul Mar und Ulrich Limmer selber hin. Denn die Geschichte spielt in Bamberg und das ist so schön immer wieder ins Bild gerückt, dass einem unwillkürlich E.T.A. Hoffmann in den Sinn kommt, davon ist nun aber in diesem Film nicht ein Hauch, nicht ein Atem, wobei der doch zum Sams, was eine Fantasiefigur ist, mindestens eine Verwandtschaft aufweisen müsste. Und dann die Schokoladenfabrik. Irgendwann im Sams-Zustand verirren sich das Sams und der Herr Taschenbier in eine Schokoladenfabrik. „Charlie und die Schokoladenfabrik“ von Tim Burton wird da unweigerlich im Geiste assoziiert, ein Produkt großartiger Fantasie und macht einem bewusst, in welch Gefilden bescheidenen subventionierten Kinoanspruches man sich hier doch verirrt hat.
Auch die Titel machen skeptisch: die Namen von Stab und Darstellern, mit denen das Sams anfangs spielt, kommen allzu fett daher. Diese Wichtigkeit, die hier den Darstellernamen verliehen wird, die lösen sie leider im Verlauf des Filmes in keiner Weise ein.
Die einzige Figur in diesem Film, die für mich die richtige, oder sagen wir: die ideale Mischung aus Stilisierung, Realismus und Kinderfilmfigur gefunden hat, ist Heio von Stetten als Arzt. Bei ihm blinkt plötzlich kurzfristig etwas von der Listigkeit eines möglichen Erzählers der Geschichte auf, ihr Verhältnis zu den Dingen und den Geschichten und zur Fantasie und zur realen Welt. Der Arzt, der hat Pli, der hat Stil, und er kann spielen auf dieser Klaviatur.
Die Musik dagegen drückt voll das Misstrauen gegen die Inszenierung aus, kann aber mit Übertönen auch nichts helfen oder bietet eine Interpretation der Samsität, die sich mir nicht erschließt
Die Regie führte Peter Gersina.