Was wäre das Kino ohne das Sehen und manchmal lehrt uns das Kino sogar etwas über das Sehen.
In diesem von Kubny & Schnell Film aus Köln produzierten Dokumentarfilm von Stefan Levi, der mit Lisa Wagner auch das Drehbuch geschrieben hat, geht es um das Sehen mindestens in zweifacher Hinsicht. Zum einen geht es um die medizinisch-chirurgische Wiederherstellung der Sehfähigkeit durch Operation des Grauen Stars in entlegenen Gebieten Nepals, wo der sehr häufig und auch schon bei jüngeren Menschen auftritt, es ist nicht nur der normale Alterungsprozess, es sind auch Ernährungsmängel und die Ultraviolettstrahlung in der Höhe, die ihn überdurchschnittlich häufig auftreten lassen.
Der Protagonist dieses Filmes ist der Augenarzt Dr. Sanduk Ruit. Er ist selbst in einer der entlegensten Gegenden der Welt, in Siwa weit hinten in Nepal, aufgewachsen. Zur nächsten Straße sind es von dort aus heute noch 3 – 4 Tagesmärsche. Für einen erblindeten Menschen ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Weg zu bewältigen und dann noch stundenlang mit dem Auto unterwegs zu sein bis zum nächsten Spital, wo ein Eingriff vorgenommen werden könnte.
Das Problem hat Dr. Ruit gesehen. Das ist die zweite Geschichte über das Sehen: mit dem Augenlicht auch Dinge zu sehen. Ihn haben seine Eltern, das waren Händler zwischen Tibet und Nepal, früh nach Darjeeling in ein Internat gesteckt, damit er eine gute Bildung bekommtt. In den sieben Internats-Jahren ist er ein einziges Mal in den Ferien nach Hause gegangen. Sonst musste er immer dort bleiben. Das habe ihn hart und willensstark gemacht, sagt er heute.
Er ist Augenarzt geworden und wollte gerade jenen Menschen helfen, die keinen Zugang zu professioneller medizinischer Versorgung haben. Er hat gesehen, dass der Graue Star eine der häufigsten Erkrankungen ist, gerade in armen und entlegenen Gebieten und das Leben der Betroffenen und der Familienmitglieder unsäglich schwer macht. Und er hat gesehen, dass die bis dahin übliche Operation des Grauen Stars 1000 bis 4000 Dollar kostete, dass der Patient nachher noch eine Woche lang total ruhig liegen musste. So hat er zu forschen angefangen und eine Linse und eine Operationsmethode entwickelt, die deutlich billiger waren. Die Linsen werden in Nepal hergestellt und kosten nur noch 20 – 40 Euro. Die Patienten können sofort nach dem Eingriff aufstehen, müssen allerdings einen Tag lang noch die Augen unter einem Verband schützen.
Der Film begleitet eine der Reisen von Dr. Ruit nach Siwa. Die Vorbereitungen im Tal. Das Herstellen und Verpacken der Linsen. Die ersten Wegstrecken auf wackeligen, motorisierten Gefährten. Behandlungsaufenthalte. Schließlich der Aufbruch zu Fuß nach Siwa. Dafür werden eine ganze Menge Träger engagiert, denn die mobile Operationsstation muss in Teile zerlegt und verteilt auf Körbe in langen Fußmärschen nach Siwa getragen werden. Dr. Ruit selbst bekommt beim Aufstieg Probleme mit dem Knie, aber wichtiger ist ihm, dass die Hände funktionieren für die diffizilen Operationen im improvisierten OP.
Der Film ist mehreres in einem. Am Anfang ein Infofilm über den Grauen Star, seine Verbreitung, seine Behandlung. Dann Abenteur- und Extrem-Touristikfilm zugleich, der lange Weg nach Siwa mit grandiosen Landschaftsaufnahmen. Stefano Levi hat immer ein Auge dafür, was sich am Rande des Weges abspielt, gibt uns so nebenbei auch einen eindrücklichen Einblick in das Leben in diesen kargen Tälern, in denen prächtige Rhododendren blühen; die Erde ist hart und steinig, das Pflügen kostet ein mehrfaches an Kraft als woanders. Teppiche und Reis werden auf Lasttieren zu Tal gebracht. Diese sind mit kleinen Schellen versehen, das hört sich an, wie unser vertrautes Herdengeläut aus den Alpen.
Bei der Ankunft in Siwa wird Dr. Ruit einen Augenblick lang sentimental, wenn er daran denkt, dass er von hier kommt; was sie als Buben für Schlingeleien angestellt haben, wie er nach dem Bruch eines Armes mit simplen Bambusrohren und Tuch geschient worden ist.
Der Film ist auch ein Stück Biopic über das Leben dieses Arztes, der sich in einem kleinen Segment der Verbesserung der Situation der Menschen verschrieben hat, der unkonventionelle Lösungen sucht und beharrlich auch findet, die nicht unbedingt im Interesse der großen Konzerne liegen. Zuletzt erhält der Film sogar eine heilsgeschichtliche Dimension; denn einen Tag nach der Operation, werden den Patienten die Verbände von den Augen genommen. Manche sehen nach Jahren das erste Mal wieder. Das sind Momente direkt ins Gefühlszentrum.
Einer der inzwischen eher seltenen Dokumentarfilme, die man unbedingt im Kino anschauen sollte; wegen der geschickten Vermischung der verschiedenen Genres, wegen den einmaligen Bildern aus Nepal und weil diesem Reisebericht von Stefano Levi etwas Persönliches anhaftet, Engagement und Offenheit, was die große Leinwand durchaus verträgt und füllt.