Britisches Postkarten-Puppenstuben-Horror-Movie mit einem einsamen, bleich geschminkten und stets im Nirgendwo die Augen fixierenden Daniel Radcliffe in der Protagonistenrolle des Arthur Kipps, eines jungen Anwaltes, der von seinem Chef in undurchsichtiger Testament-Mission in einen abgelegenes Kaff an rauher englischer Küste gesandt wird.
Radcliffe lässt seinen Sohn zurück, verspricht diesem aber bis Freitag abend wieder zurück zu sein, denn der Sohn leidet unter dem Verlust der Mutter. Ob Radcliffe darunter leidet, wird nicht ganz so klar, er ist vor allem auf einen ruhigen, fast statischen Gang konzentiert und darauf, diesen gewissen, fast starren Blick zu produzieren, auch so, als ob die Augäpfel bald rauskullern würden, was sich für einen Horrorfilm offenbar ausgezeichnet eignet, das hat er schon mal bewiesen und ist damit berühmt geworden, gell Harry Potter!
Puppenstuben- oder Postkarten Film. Erstens weil der Film themenhinweisend mit einer Puppenstubenszene anfängt, in die niedlichen Tassen wird getan also ob Tee eingeschenkt wird, dann halten Kinderhände die Puppenstubentassen den Puppen an den Mund und die Puppen trinken den nicht vorhandenen Tee. Die Tassen scheinen aus ecchtem Porzellan zu sein, eine Kostbarkeit. Dieses „als ob Teetrinken“ wird mich den Rest des Filmes nicht loslassen: tun hier der Regisseur James Watkins und die Drehbuchautorin Jane Goldman bloss so, als ob sie uns eine Horrorgeschichte auftischen wollten?
Faktisch zu besichtigen ist hier jedenfalls eine in gleichmäßigem Rhyhtmus abwechselnde Reihenfolge postkartenschöner Bilder, die eine Geschichte von Susan Hill illustrieren unter gänzlichem Verzicht auf eine kinonötige und kinoverträgliche Spannungsdramaturgie. Durch diese Bilder geht immer wieder Radcliffe mit seinem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck.
Postkartenschön sind die Bilder, einerseits die prunkvoll und offenbar sehr genau und exquisit ausgestatteten Interieurs. Die Engländer können es sich also doch leisten, sich von den Europäern und ihrem Euro zu distanzieren, bei dem gewaltigen Reichtum an Möbeln und Spieluhren und ausgestopften Affen, die allein in einem eher schäbigen Haus in einem verlotterten grauen englischen Küstenort sich ansammeln, geschweige denn die Schätze, die sich in der Hauptlocation des Filmes, einem Gespenster-Haus auf einer dem Festland vorgelagerten Halbinsel bei Ebbe und bei Flut eine Insel, vorfinden. Auch Autos oder Kutschen die über den schmalen Ebbe-Fahrweg sich der Insel nähern, geben fantastische Bilder.
Die Insel erinnert auf den ersten Blick entfernt an Böcklins Toteninsel aber dann überwiegt doch wieder die Postkartenschönheit. Bei dem exquisiten Mobiliar und der übrigen Ausstattung dürfte so manchem Antiquitätenliebhaber der Speichel aus den Mundwinkeln tropfen.
Ein Thema ist bei der ganzen Bilderschau auch auszumachen: es geht um eine Versöhnung der Geister von Verstorbenen, einer Mutter und ihres Kindes, die dem von ihnen ehedem bewohnten Anwesen keinen Frieden schenken und die Menschen daran hindern, es weiter zu beleben oder gar zu bewohnen. Das Problem einer generationenübergreifenden Perpetuierung von Problematiken, die Verstorbene offenbar nicht zu lösen vermochten; an sich eine spannende Sache, die Weitergabe ungelöster Probleme von einer Generation an die nächste. Das Missing Link findet sich in einem schwarzen, zähen, Kutschen und Autos und Menschen verschlingenden Sumpf am Fuße eines Kreuzes im Ebbe-Flut-Niemands-Gelände zwischen Insel und Festland.
Nachtrag zur Einführung des Filmes: die mit den Puppen Tee-Trinken spielenden drei Mädels, die selbst wie die kostbarsten Puppen hergerichtet sind, werden durch den Horror aus dem Spiel gerissen, draußen muss was sein, sie treten zu dritt über zwei Stufen an das dreiteilige Fenster.
Horrormobiliar: die Wand des Schweigens der Dorfbewohner, die Überseekiste von Nathanael Drablow, alte Limousinen.
Radcliffes Blick drückt immer aus, er weiß nicht wie ihm geschieht. 200 gefühlte Jahre Harry Potter im Gesicht. Sein Gesicht hat auch prima Filmproportionen. Blick ist Mischung aus intro-retro-extrospektiv.
Der Solicitor. Das Mittagessen bei ihm. Die Zwillinge (zwei Möpse); Thementabu: Kinder, weil Bub gestorben. Aber Elisabeth fängt directemang damit an und kriegt ihren Anfall, gegen den nur Chloroform an die Nase beruhigend wirkt.
In den besten Momenten, so im ersten Drittel, gefiel mir der Film, ich kam mir vor wie einer, der ein superbekanntes Bilderbuch, das er einfach gerne anschaut, mal wieder zur Hand nimmt.
Bösartig gesagt könnte ich mir vorstellen, dass der Film in Auftrag gegeben wurde von einem Auktionshaus, das eine Einlieferung alter Möbel und Einrichtungsgegenstände mit einer kleinen Rahmenhandlung publikumswirksam präsentieren will.
Am deutlichsten wird die Einsamkeit des Daniel Radcliffe am zweiten Tag, den er allein im Inselhaus verbringt. Da lassen die Macher ihn gefühlte zwei Stunden in dem Haus rumgehen, Geräusche hören, einnicken, Gespenster sehen, Bilderkollektion zum Auswählen. Hier schreit eine Einsamkeit unverhohlen von der Leinwand herunter.