Die Unsichtbare

Fünf Gründe, warum dieser Film vermutlich nicht mal Theaterinsider vom Hocker reißen dürfte.
1. Einmal mehr, dass die Geschichte nicht über die Kraft des Hauptkonfliktes der Hauptperson erzählt wird. Das wäre hier an sich durchaus eine interessante Figur. Eine Schauspielerin, Fine Lorenz, gespielt von der dänischen Schauspielerin Stine Fischer-Christensen, gilt als „die Unsichtbare“, sie scheint auf der Bühne einfach nicht wahrgenommen zu werden. Außerdem hat sie einen schwierigen familiären Hintergrund, sie lebt mit ihrer Mutter, die auch mal von einem Taxifahrer zusammengeschlagen wird, wieso bleibt unklar, und einer jüngeren, schwerst behinderten Schwester zusammen. Zur Unterhaltung ihrer Schwester spielt sie der die verschiedensten Rollen vor. Diese Ausgangssituation hätte das Potential für einen gewaltigen Konflikt, der eine dramatische Handlung in Gang setzen kann, der einen Film sehr spannend machen könnte. Wurde hier leider nicht genutzt.
2. Auch das Milieu für den Film gäbe Zoffstoff und Spannung genug her, erst recht wenn eine wie unter 1. beschriebene Frau da eindringt und vom Regisseur für die Hauptrolle des Stückes „Camille“ besetzt wird. Um das Theatermilieu glaubwürdig zu beschreiben wäre wichtig, den Unterschied zwischen dem Spiel auf der Bühne und der Privacy vor und nach dem Auftritt herauszuarbeiten. Auch auf dieses Salzkorn für einen Theaterfilm wurde konsequent verzichtet. Oder es wurde einfach nicht beachtet. Es gibt unter gestandenen Mimen den Spruch, wenn einer am Probenraum horcht, ob er eintreten könne, „oh, sie sprechen natürlich, sie haben unterbrochen“. Diese Differenz im Sprechen herauszuarbeiten, wäre eine Bereicherung für den Film gewesen. Darauf wurde verzichtet.
3. Scheint mir dieser Film viel eher eine verehrende Veranstaltung um den Altar „Theater“ herum, die sich selber als Machtspiel oder Gurutum aufführt, indem sie merkwürdig besetzt und das auch begründet, dass manche Schauspieler jetzt ganz andere Rollen spielen „dürfen“ als in dem Vorgängerfilm „Novemberkind“, der vom gleichen Regisseur, Christian Schwochow und seiner Mutter Heide Schwochow als Drehbuchmitautorin, gedreht worden war. Ulrich Matthes und Anna Maria Mühe hatten im Vorgängerfilm die Hauptrollen gespielt. Die „dürfen“ jetzt gnädigerweise andere Rollen spielen, welch Getue, solche Begründungen für Besetzungen hören sich doch arg nach einem abgestandenen Begriff von Provinztheater an, wobei Anna Maria Mühe als die übergangene Kollegin, die eigentlich die Hauptrolle spielen wollte, am ehesten die kollegiale Schlangenfalschheit rüberbringt, während Ulrich Matthes den Schauspielschuldirektor so spielt, als sei er Leiter eines Ferienlagers, wie ein sich anbiedernder Referendar, ganz ohne den Gestus und Habitus und die Möchtegernwürde, die solche Figuren allzu gerne und allzu schleimig ausstrahlen. Auch die Besetzung der Rolle des Regisseurs, der die junge Schauspielerin zu trietzen versucht, ist mit Ulrich Noethen in Richtung eines grummeligen Opas charakterisiert und nicht mit einem Intellektuellen, der von seiner Arbeit besessen ist; Noethen fehlt das Need zur Regieführung, das Sadopotential enthaltende Gefühl für die Macht, die die Funktion verleiht. Er erweckt den Eindruck, da versucht ein Darsteller mit den ihm vorgegebenen Sätzen einen Regisseur zu mimen; aber lediglich gestylt sein wie ein Regisseur reicht dafür nicht. Das trägt bei zum Eindruck einer verkrampften Kunstbemühung, den dieser Film hinterlässt.
4. Weil die Schwuchows nicht nur keinen Grundkonflikt verfolgt sondern auch weitgehend auf einen zwingenden Handlungsfaden verzichtet haben. Das eine könnte allerdings vom anderen abhängen. So werden Szenen ausgewalzt, die für den Fortgang der Geschichte nicht von Belang sind, aber auch als Selbstzweck sich nicht verteidigen können, zum Beispiel der Selbstmordversuch von Fine (an dem kann man allerdings ablesen, wie böse die Noethen-Figur theoretisch sein müsste); die lange Reaktion der behinderten Schwester, die unplausibel noch dazu erscheint, gerade Behinderte haben in solchen Momenten oft einen unglaublichen Gefahrenriecher oder Instinkt und können zu den unerwartesten Reaktionen fähig sein, aber sicher nicht, dass sie mit dem Blut, was aus dem Arm geflossen ist, dämlich rumpatschen. Und wie dann die Mutter nach Hause kommt und spielen muss, als spüre sie von all dem nichts, wie sie Alltag mimen muss, das geht an die Grenze der Lächerlichkeit (wenn es nicht eine so gute Schauspielérin wäre wie Dagmar Manzel und die noch fragen muss, nun nicht das schon erwartete „alles gut?“ was im Film auch bis zum Überdruss strapaziert wird, sondern „Wie siehst Du denn aus“, ganz ohne Panik, offenbar mit vollkommen abgestorbenem Mutterinstinkt.
5. Wird auf ein weiteres raffiniertes Spannungsmoment verzichtet, klar, das hat es schon gegeben, das war hier, dass man über das Stück, das geprobt wird, so gut wie nichts erfährt. Das Spannendste daran kommt spät im viel zu langen Film, ob Fine sich auf der Bühne die Unterwäsche auszieht oder nicht.

Der hier praktizierte Begriff von Kunst scheint der zu sein: auf alles, was wichtig für den Fortgang der Geschichte wäre, zu verzichten, es nicht zu erzählen, sondern relativ wahllos mit einer gewissen zeitlichen Parallelität zwischen den Drehorten Theater, beim Lover von Fine und bei Fine zuhause (hier Haushaltsszenen) hin- und herzuschneiden.

Notizen: Nette Schauspielerübungen als Tier. Dem Noethen fehlt vollkommen die Perfidie. Dem Noethen fehlt auch die Gesamtidee der Inszenierung, unter der er jede Szene spielen sollte. Folge dieser Unklarheiten, dass die Leute, speziell wenn sie mal laut werden müssen, viel zu laut schreien. Noethen entwickelt sich in den ruhigeren Szenen stimmlich in Richtung Götz George-Grummler.

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