Once Upon a Time in Anatolia

Wer von diesem Film was haben möchte, der sollte dies eher mit einer Erwartungshaltung an Malerei denn an Action-Kino tun. Wer für die Veduten Venedigs von Canaletto schwärmt, der dürfte auch hier fündig werden. Nuri Bilge Ceylan, der Autor und Regisseurs dieses Filmes malt natürlich keine Veduten und auch nicht Venedig. Der Vergleich zu Canaletto bezieht sich allein auf die Haltung und Begeisterung seinem Objekt gegenüber, auf die Genauigkeit der Beobachtung und vor allem auf den Spaß an den Lichtspielen, auf die Gesamtkomposition von Bildern, vielleicht fast einer Art Vernarrtheit in sein Objekt.

Nuri Bilge Ceylan malt Bilder aus Anatolien. Aber ihn interessieren nicht Häuser und Fassaden, ihn interessieren die Menschen, wobei ihm der Reiz der kargen Landschaft Anatoliens nicht verborgen bleibt. Und die Menschen setzt er nicht einfach auf einen Stuhl, um sie abzufilmen. Das Dutzend Menschen, Männer, die er im Fokus hat, verbindet er durch ein gemeinsames Projekt. Sie suchen eine Leiche, das Opfer eines Mordes.

Es ist eine präzise strukturierete Gruppe. Die zwei mutmaßlichen Täter, Polizisten, Gendarmen, Fahrer, zwei Arbeiter, ein Staatsanwalt und ein Arzt sind mit von der Partie, die sich in drei PKWs durch die nächtliche anatolische Landschaft bewegen. Da der Täter die Stelle nicht mehr genau erinnern kann, zieht sich dieser lose Handlungsbogen über eine Nacht und noch einen Teil des folgenden Tages. Da sehen dann der Staatsanwalt und der Arzt bei der Sektion der bis dahin gefundenen Leiche schon recht übernächtigt aus. Partiell auch ein Echo auf Stimmungen in „Lost Highway“ von David Lynch.

Die Suche nach der Leiche erlaubt Ceylan viele Fahrten des PKW-Konvois durch die anatolische Nacht zu zeigen, viel Anhalten, Aussteigen, die Scheinwerfer auf eine vom mutmaßlichen Mörder, der wie ein verwitterter Jesus aussieht, angedeutete Stelle, das Rennen der zwei Arbeiter mit den Schaufeln, Rennen als kleiner, diskreter Running Gag, Situationen des Wartens, viele Gespräche, auch bei den Fahrten. Gespräche über Büffeljogurth und nächtliches Austreten und das Männerproblem Prostata, über die Frau, die ihren Tod vorauswusste, darüber, dass hier alle Waffen haben und über Wachsamkeit, über Eheprobleme oder ein Kind zuhause, das dringend Medikamente braucht, und dass der Job die ideale Flucht von zuhause sei, über Grenzgemarkungen und eine neue Leichenhalle und über den Sinn des Lebens sowieso.

Nie lässt Celyan ein Figur einfach uninszeniert irgendwo stehen. Er komponiert die Bilder, die Szenen durch. Die Gendarmen im Hintergrund vertreten sich die Füße, dem Gefangenen, der geschlägert hat, muss die Wunde versorgt werden, ganz diskret im Hintergrund passiert das, einer hat auf einem Feld noch drei Kürbisse gefunden und mitgenommen, ein Auto hat Mühe mit Anfahren.

Die Gruppe ist bestimmt durch das Objekt ihres Interesses. Ein Fahrer (der die Gegend nicht kennt), ein Polizist („Polis“ steht breit auf seinem Rücken), ein Kommandant der Gendarmerie, der Arzt, der Staatsanwalt noch Polizisten und Gendarmen und schließlich die beiden fürs Grobe, die beiden Underdogs, die Arbeiter, die schaufeln dürfen.

Ein Kunstwerk gewiss, kunstvoll gewirkt, präzise gearbeitet – und nebenher hat Ceylan immer noch genügend Zeit, einen Wind zu setzen, einen Donner, ein Grollen, die Geräuschkulisse der Umgebung, die nicht im Bild ist, das weitet den Raum, einen Apfel, der ein Bächlein runter schwimmt, an drei bereits gestrandeten Äpfeln vorbei, da verselbständigt sich das Kunstwirken doch sehr oder wenn eine leere schwarze Mülltüte oder eine leere Plastikflasche vom Wind über den Hof getrieben werden.

Weil es sich hier um ein Kunstwerk handelt, das von der Story her, die eher an das Protokoll einer nächtlichen Leichensuche in Anatolien denken lässt, nicht unbedingt ein breites Publikum ins Kino locken dürfte, wirkt die grauenhaft routinierte und teils unglücklich besetzte deutsche Nachsynchronisation umso ärgerlicher. Schändung eines Kunstwerkes. Besonders der Polizist ist äußerst unglücklich besetzt mit einem manirierten Routinesprecher und er unterscheidet sich auch zu wenig von den anderen. Sicher, man gewöhnt sich dann stellenweise daran, aber mich hats immer wieder aus der konzentrierten Lektüre dieses minutiösen Berichtes rausgerissen. Konzentriert vielleicht auch aus dem Grund, weil nicht ganz klar wird, was Ceylan uns nun wirklich erzählen möchte. Mit dieser Nachsynchronisation haben sich die Verleiher keinen Gefallen getan und werden bestimmt nicht einen Zuschauer zusätzlich gewinnen.

Huis Clos by Night. Aber nicht Sartre. Ein Dutzend Menschen, die das genannte Projekt für eine Nacht zusammenzwingt. Absurd-existenzialistische Dialoge gibts auch wie, „das ist der richtige Weg, aber wo führt er hin?“ Da kann einem durchaus unbehaglich werden.

Gelegenheiten auch für Monologe und innere Monologe. Auch dafür lässt Ceylan sich viel Zeit, die Menschen im Sein zu zeigen. Sie müssen warten. Sie müssen keine Show bieten. Sie wollen lieber nach Hause. Aber ohne Leiche geht das nicht. Leichenlos in nächtlicher anatolischer Gegend.

Auch das Lästern über andere kommt vor, dass die einzige Sorge eines der Polizisten die der Stadtgrenze sei (weil da seine Zuständigkeit aufhört) oder über den Fahrer, der sich nicht auskennt oder nach Schlägen für den Gefangenen, dass dieser nur diese Sprache verstehe,

Einen Teil der Nacht verbringt die Gruppe, die einem mit der Fortdauer des Filmes immer vertrauter wird, bei einem Bürgermeister in einem Dorf in der Nähe. Da können sie sich ausruhen und verpflegen. Eine hübsche Tochter hat der auch noch.

Mit dieser Art von Kino verhält es sich so, da es sich nicht für einen plotmäßig vorgegebenen Spannungsbogen interessiert, dass es eine Stunde, zwei oder wie hier zweieinhalb Stunden lang dauern kann, es könnte aber auch vier oder sechs Stunden so weiter gehen, Bela-Tarrsche Längen erreichend, wobei Bela Tarr gewiss nicht so offensichtlich in die fiktional hergestellte Realität eingreift wie Ceylan, der – wie Canaletto jeden Millimeter Wasser- und Fassadenoberfläche – jedes Blatt, jeden Lichtstrahl, jeden Grashalm, jeden Baum, jede Wolke, jeden Donner, jede Geste als solche, als Stellenwert als solchen und in der Komposition zum Gesamten im Griff haben möchte, weshalb ihm ein Kino zum Schauen gelingt (und bei dieser Synchronisation: leider zum Weghören!).

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